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Energie & Klima

Standpunkte Warum es wichtig ist, die Energy-Sharing-Potenziale zu heben

Astrid Aretz und Jan Wiesenthal, wissenschaftliche Mitarbeiter am IÖW
Astrid Aretz und Jan Wiesenthal, wissenschaftliche Mitarbeiter am IÖW Foto: IÖW

Die EU gibt einen Rahmen für Energy Sharing vor, aber die Umsetzung in Deutschland liegt weit hinter den Möglichkeiten zurück. Astrid Aretz, Jan Wiesenthal und Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) erläutern, was die Vorteile dieser Bürgerbeteiligung sein können und warum es ein Versäumnis wäre, die Bedingungen nicht zu verbessern.

von Astrid Aretz, Jan Wiesenthal und Bernd Hirschl

veröffentlicht am 20.12.2023

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Vergangene Woche hat sich das EU-Parlament auf eine Reform des Strommarktes geeinigt. Energy Sharing war hier hierbei auch Gegenstand der Diskussion und wurde weiter konkretisiert sowie der regulatorische Rahmen erweitert. Es gibt aber noch große Freiheitsgerade bei der Umsetzung ins nationale Recht, die Deutschland nun bestmöglich ausnutzen sollte.

Schon mit der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) im November hatte die EU erneut Druck auf die Mitgliedsstaaten ausgeübt, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Der Ausbau liegt fortan im überragenden öffentlichen Interesse und dafür müssen verschiedene Instrumente umgesetzt werden. Geblieben ist die Rolle, die den Bürgerinnen und Bürgern zuteilwird, denn deren Engagement wird für den weiteren Ausbau als immer wichtiger angesehen.

In Deutschland gibt es bereits verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten, etwa in Energiegenossenschaften, Bürgerwindparks oder durch die Installation einer Solaranlage auf dem eigenen Dach. Nach wie vor aber fehlt der Rahmen, in dem Mitglieder von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften die in eigenen Anlagen produzierte Energie auch gemeinsam nutzen können. Mit Energy Sharing könnte ein Instrument geschaffen werden, mit dem in Ergänzung zu der gebäudebezogenen Eigenversorgung deutlich mehr Spielraum für eine verbrauchsnahe Erzeugung in einem größeren Umkreis über das Verteilnetz möglich wäre.

Wie wird Energy Sharing in Deutschland definiert?

Energy Sharing kann unter anderem aus der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie abgeleitet werden, in der Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften die Möglichkeit eingeräumt wird, nicht nur Anlagen gemeinsam zu betreiben, sondern den Strom ihrer Anlagen auch gemeinsam nutzen zu können. Das lässt viele Spielräume offen, die die Mitgliedsstaaten innerhalb ihrer jeweiligen Rahmenbedingungen konkretisieren müssen. In Deutschland gibt es dazu noch keine Spezifizierung.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat im Solarpaket I aber die Diskussion mit Stakeholdern zur Ausweitung der Möglichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung über das öffentliche Stromnetz angekündigt und den Dialog bereits begonnen. Nur durch die Nutzung des öffentlichen Netzes könnte Energy Sharing eine signifikante Marktbedeutung bekommen, erhöht aber auch die regulativen Anforderungen. Energy Sharing ist damit auch mehr als reiner Peer-to-Peer-Handel, bei dem überschüssige erneuerbare Energie an Dritte verkauft wird, jedoch keine gemeinschaftliche Nutzung im engeren Sinne erfolgt. 

Großes technisches Potenzial…

Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung hat in der Studie „Energy Sharing: Eine Potenzialanalyse“ das enorme Potenzial von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften aufgezeigt. Bei entsprechenden Rahmenbedingungen könnte Energy Sharing demnach theoretisch rund 35 Prozent des von der Bundesregierung aktuell geplanten Ausbauziels bis 2030 beitragen. Dies entspricht 75 Gigawatt beziehungsweise 75 Terawattstunden pro Jahr.

Eine noch nicht geklärte Frage ist, ob Energy Sharing auch netzentlastend wirken würde, wenn die Mitglieder sich durch Anreize netzdienlich verhalten würden. Wir haben in der Studie als Ergebnis einer Simulation eine geringe Netzentlastung zeigen können. Ob diese aber auch tatsächlich einen Beitrag zur Minderung von Netzproblemen oder Netzausbau leisten kann, ist derzeit noch nicht abschließend beurteilbar. Noch wichtiger als das rein technische Potenzial oder eine etwaige Netzentlastung erscheint uns allerdings die soziale Dimension des Konzepts

…noch größeres soziales Potenzial

Anders als bei anderen Instrumenten bietet Energy Sharing die Möglichkeit der echten Teilhabe an der Energiewende aller Menschen. Ein eigenes Dach, um als Prosumer aktiv zu werden, größere finanzielle Mittel, um in Bürgerenergiegesellschaften zu investieren oder das Wohlwollen des Eigentümers, eine Mieterstromanlage zu errichten, sind bei entsprechender Ausgestaltung eines Energy-Sharing-Konzepts nicht notwendig. Somit könnten und sollten (!) mit Energy Sharing auch Zielgruppen wie Mieterinnen und Mieter oder einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger adressiert werden.

Teilhabe steigert die Selbstwirksamkeit und damit auch die Akzeptanz. Diese Akzeptanz ist essenziell, um die immer noch große Transformation des Energiesystems schnell voranzubringen. Auch wenn letztlich die zu erwartenden Effekte von Energy Sharing vorab nicht genau abgeschätzt werden können, benennt die wissenschaftliche Literatur genau diese Teilhabe als einen wichtigen Akzeptanzfaktor. 

Woran hakt es gerade? 

Größte Hürden sind derzeit die Komplexität bei der Umsetzung und ungünstige Rahmenbedingungen, die zu unwirtschaftlichen Geschäftsmodellen führen. Bei einer Nutzung des öffentlichen Netzes fallen Abgaben und Umlagen in erheblichem Maße an und die Gemeinschaft muss sämtliche Pflichten eines Energieversorgers erfüllen. Ohne einen professionellen Partner geht es daher derzeit in der Praxis im Regelfall nicht. Zudem ist die erforderliche und unterstützende digitale Infrastruktur noch nicht weit verbreitet, denn bei Verbrauchern und Erzeugern sind Smart Meter notwendig, um festzustellen, zu welchen Zeiten Strom gleichzeitig verbraucht wird.

Auch wenn mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende neuen Schwung in den Ausbau der Smart Meter gekommen ist, verbreiten sie sich insbesondere im privaten Bereich noch schleppend. Die Umsetzung von Energy Sharing ist insofern zwar theoretisch möglich, praktisch ist es aber nur sehr eingeschränkt umsetzbar. Hierfür bräuchte es also für einen Übergangszeitraum vertretbare, pragmatische Lösungen

Deutschland sollte dringend etwas tun

Eine aktuelle Studie vom Öko-Institut und der Stiftung Umweltenergierecht im Auftrag des Umweltbundesamts kommt zu der Einschätzung, dass die Umsetzung von Energy Sharing rein juristisch betrachtet derzeit bereits grundsätzlich möglich sei und demnach die Bundesregierung keine weiteren Umsetzungspflichten zu erfüllen habe. Diese Einschätzung ist unabhängig von einem derzeit anhängigen Vertragsverletzungsverfahren, in dem die Europäische Kommission den Stand der Umsetzung bewerten wird. Wie auch immer die Bewertung der Kommission ausfallen wird, so lässt sich vorweg konstatieren: Den Geist der RED III erfüllt die derzeitige Ausgestaltung von Energy Sharing in Deutschland auf jeden Fall nicht.

Und der Anspruch der Bundesregierung sollte nicht sein, lediglich die Minimalanforderungen aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie einzuhalten. Gute Beispiele aus Nachbarländern wie Österreich zeigen, dass es auch anders geht. Wir empfehlen, hierzulande jetzt ähnliche Regelungen zu schaffen, mit denen Energy Sharing wirtschaftlich abbildbar ist, Komplexität reduziert wird, Anreize zum netzdienlichen Verhalten gefördert und Einstiegsbarrieren reduziert werden, damit auch finanziell Schwächere partizipieren können. Deutschland sollte vorangehen und den Beitrag für die Stromwende heben: Indem es die technischen und ökonomischen, vor allem aber auch die sozialen Potenziale von Energy Sharing nutzt, kann es wieder zum Pionier der Energiewende werden. 

Dr. Astrid Aretz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsfeld Nachhaltige Energiewirtschaft und Klimaschutz am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Jan Wiesenthal ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter. Prof. Dr. Bernd Hirschl leitet das Forschungsfeld und ist auch Leiter des Fachgebiets Management regionaler Energieversorgungssysteme an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg

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