Der Handlungsdruck auf die Bundesregierung, den Energiesektor deutlich schneller klimafreundlich zu gestalten, ist enorm gestiegen. Nachdem die EU schon im letzten Jahr das Emissionsreduktionsziel bis 2030 auf mindestens 55 Prozent anhob, hat sich die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes auf eine Reduktion von 65 Prozent bis 2030 verpflichtet. Nun müssen beide konkretisieren, wie diese Ziele umgesetzt werden sollen. Die EU gibt mit dem „Fit für 55“-Legislativpaket dafür einen weiteren Handlungsrahmen vor.
Dass sich dafür der Ausbau der erneuerbaren Energien
deutlich beschleunigen muss, steht außer Frage. Das Ziel ist, nicht nur einen
größeren Anteil des jetzigen Stromverbrauches regenerativ zur Verfügung zu
stellen, sondern auch den zusätzlichen Bedarf der Elektrifizierung des
Verkehrs- und Wärmesektors erneuerbar abzudecken.
Bereits 2018, also deutlich bevor die Klimaziele angepasst
wurden, hat die EU mit der Verabschiedung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie
RED II die dezentrale Energiewende deutlich hervorgehoben. Sie hat erkannt,
dass der Vorteil erneuerbarer Energien darin liegt, sie dort zu produzieren, wo
sie auch verbraucht werden. Deshalb hat sie mit den Möglichkeiten von Energy
Communities und Energy Sharing die Grundlage dafür geschaffen, dass möglichst
viele und vielfältige Akteure in ihrem eigenen Umfeld aktiv werden können. Die
EU gibt dazu möglichst einfache Bedingungen mit auf den Weg. Weil so mit
geringer Komplexität regenerative Energien selbst verbraucht werden können,
adressiert die RED II gerade Bürger:innen.
Deutschland war Vorreiter
Die Bundesregierung und allen voran das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) haben sich im Vergleich zu den letzten zehn Jahren durch gegenteilige Maßnahmen hervorgetan. Sie bremsen seit gut einem Jahrzehnt eine Bewegung aus, die in der Vergangenheit internationaler Vorreiter und Pionier beim Ausbau erneuerbarer Energien war. Im Jahr 2012 lag der Anteil der Bürgerenergie an der installierten Leistung erneuerbarer Energien in Deutschland bei 40 Prozent. Das Spektrum reicht von Photovoltaikanlagen auf Eigenheimen über Biomasseanlagen von Landwirten bis zu Windrädern oder Solarparks von Energiegenossenschaften. In den Folgejahren nahm dieser Anteil jedoch immer weiter ab. Was also ist da schiefgelaufen?
Ein Erfolgsfaktor für die Bürgerenergie bis dahin war vor allem eine geringe Komplexität energierechtlicher Vorgaben, insbesondere beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). Die energiewirtschaftliche Abwicklung ermöglichte es Bürger:innen, im eigenen Umfeld aktiv zu werden, ohne selbst zur Expert:in avancieren zu müssen.
Spätestens seit 2012 wurde diese frühe und wirksame Blüte für ambitionierten Klimaschutz jedoch gestutzt. Die Bundesregierung hat vor allem die Komplexität der Energieprojekte sukzessive erhöht und damit Bürgerenergie immer weiter verdrängt. Verpflichtende Direktvermarktung, Ausschreibungen oder eigens notwendige Tarife für Eigenverbrauch in Mehrfamilienhäusern (Mieterstrom) sind nur drei Beispiele dafür.
Den oft ehrenamtlich getragenen Strukturen in der Bürgerenergie wurden so stetig höhere Hürden in den Weg gestellt. Dieser Trend lässt sich auch an den Gründungszahlen von Energiegenossenschaften genau ablesen, die ab dem Jahr 2013 schlagartig zurückgingen: In den vier Jahren 2009 bis 2013 entstanden 557 Genossenschaften, von 2014 bis 2018 nur noch 97. Zuschläge bei Ausschreibungen für Wind- und Solarenergie erhalten Energiegenossenschaften aktuell kaum noch und Deutschland hat sich zum Bremser entwickelt, während andere europäische Länder vorpreschen.
Neue Impulse für die Bürgerenergie
Gerade im Licht der aktuell neu verankerten Klimaziele und des enormen Handlungsdrucks beim Ausbau erneuerbarer Energien erscheint es absurd, dass dieser breit getragenen Bewegung derart der Wind aus den Segeln genommen wurde. Umso wichtiger ist es jetzt, gegenzusteuern und das vorhandene Engagement der Bürger:innen für die Energiewende neu zu entfesseln. Dafür braucht es viel mehr als die besonderen Ausschreibungsbestimmungen für Bürgerenergiegesellschaften in Paragraf 36g EEG. Erforderlich ist nun vor allem die vollständige Umsetzung der EU-Vorgaben der RED II-Richtlinie bis Ende Juni 2021, wovor sich die Bundesregierung seit mehr als zwei Jahren drückt.
Insbesondere Energiegemeinschaften sind ein wichtiger
Schlüssel, um selbst produzierte Energiemengen auch mit mehreren Akteuren zu
verbrauchen. Weil Umlagen, Steuern und Abgaben auf den Eigenverbrauch entfallen
sollen, kann nicht nur die energiewirtschaftliche Abwicklung niederschwellig
gestaltet, sondern können auch Messkonzepte vereinfacht und für eine
minimalinvasive Umsetzung zum Beispiel in Bestandsgebäuden gesorgt werden.
Es liegt nun am BMWi, der Bürgerenergie wieder den Rücken zu stärken, damit das 55-Prozent-Reduktionsziel der EU und erst recht das Ziel der 65 Prozent aus dem Klimaschutzgesetz auch erreichbar sind. Im „Spiegel“-Interview sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier: „Wir müssen erstens sicherstellen, dass unsere Klimaziele tatsächlich erreicht werden, und zweitens verhindern, dass dies einseitig zulasten der jüngeren Generationen geht.“ Wenn er das ernst meint, muss die Regierung die RED II vollständig umsetzen und Schluss machen mit einer Politik für die großen Energiekonzerne, die die kleinen Akteure und Pionier:innen der Energiewende in Ketten legt.
Christoph
Rinke (siehe Background-Porträt)
ist Vorstandsmitglied der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin. Der Wirtschaftsinformatiker
mit zusätzlichem Magister in Philosophie, Literatur und Geschichte setzt sich
seit vielen Jahren für Stromnetze in Bürgerhand ein.