Noch immer produziert die Industrie überwiegend auf Basis von fossilen Energieträgern wie Erdgas, Kohle oder Mineralölprodukten. Dieser Energiebedarf muss zukünftig klimaneutral gedeckt werden, um die Klimaziele des Landes zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts langfristig zu halten. Bisher verläuft die Dekarbonisierung der Industrie planmäßig. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes wird die Industrie ihr Emissionsminderungsziel für 2030 übertreffen und 37 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente mehr einsparen als nach EU-Recht vorgeschrieben.
Ob das ein nachhaltiger Trend oder eine konjunkturbedingte Erscheinung ist, bleibt allerdings fraglich, denn gerade die schwer zu dekarbonisierenden Hochtemperaturprozesse, zum Beispiel zur Herstellung von Stahl oder Glas, sind für das Erreichen des Netto-Null-Ziels unverzichtbar. Hier setzt die Bundesregierung bisher verstärkt auf Elektrifizierung und Wasserstoff sowie in geringerem Ausmaß auf Fernwärme und Biomasse. Andere Dekarbonisierungstechnologien, wie Hochtemperatur-Wärmespeicher finden dagegen bisher wenig Beachtung, unter anderem weil die Bedeutung dieser Technologien recht unbekannt ist. Zudem wurden die technischen Fortschritte der letzten Jahre noch nicht durch einen angepassten Rechtsrahmen und eine Neubewertung der Technologie gespiegelt.
Wasserstoff wird knapp sein
Das Problem mit der Fokussierung auf Elektrifizierung und Wasserstoff: Sie setzt zwei Bedingungen voraus, die voraussichtlich nur schwer zu erfüllen sind, nämlich große Mengen an erneuerbarem Strom und Wasserstoff sowie die notwendige Infrastruktur. Der Stromverbrauch der Industrie wird bis 2045 von 200 Terawattstunden auf rund 300 TWh steigen. Auch Wasserstoff wird in großen Mengen benötigt. Allein für die Umstellung auf das Direktreduktionsverfahren in der Stahlindustrie werden bis 2030 bis zu 22 bis 24 TWh Wasserstoff benötigt. Grüner Wasserstoff wird bis 2030 nicht in den benötigten Mengen und Preisen zur Verfügung stehen, sodass weiterhin auf „grauen“ Wasserstoff oder Erdgas zurückgegriffen werden muss. Die erhofften Emissionsminderungen bleiben damit vorerst aus.
Neben ungewissen Kosten, Verfügbarkeit und der ineffizienten Stromnutzung muss auch die Frage, wer den knappen Wasserstoff nutzen darf, in die Diskussion aufgenommen werden. Wasserstoff als großflächiges Medium zur Dekarbonisierung von Hochtemperaturwärmeprozessen kann nur erfolgreich sein, wenn diese Fragen geklärt sind. Daher benötigt es jetzt eine Diversifizierung der Technologieoptionen, um keine Wettbewerbsnachteile für gewisse Standorte, Unternehmen oder Industrien zu erzeugen. Zu viele Unsicherheiten sind mit dieser Pfadabhängigkeit verbunden, die auch im Zwischenbericht zur Systementwicklungsstrategie aufgeführt sind. Um diesen Unsicherheiten zu begegnen, heißt es im Strategiepapier: „Das Energiesystem muss flexibel auf die Transformation der Industrie reagieren können.“
Flexibles Energiesystem oder flexible Industrie?
Flexibilität ist wichtig, muss aber nicht notwendigerweise aus dem Energiesystem kommen. So kann der richtige Einsatz von Hochtemperatur-Wärmespeichersystemen Flexibilität von Seiten der Industrie liefern und die Unsicherheiten des Wasserstoffs – Transport, Kosten oder Verfügbarkeit – ausräumen. Moderne Hochtemperatur-Wärmespeicher können ein Temperaturniveau von circa 1300 Grad Celsius erreichen und damit Prozessschritte dekarbonisieren, die aktuell noch als schwer dekarbonisierbar gelten.
Der systemische Nutzen von Hochtemperatur-Wärmespeichern ist dabei ähnlich dem von Stromspeichern: Thermische Speicher können als netzentlastende Technologie eingestuft werden und in das bestehende Stromnetz integriert werden. Strom kann zu Überschusszeiten günstig bezogen, in Wärme umgewandelt, über mehrere Stunden und Tage effizient gespeichert und bei Bedarf dem Prozess zugeführt werden. Dies kommt nicht nur den überlasteten Netzen zugute, sondern ist auch für die Industrie der kostengünstigste Weg zu dekarbonisierten Prozessen.
Im Gegensatz zu klassischen Stromspeichern, die häufig auf Lithium-Ionen-Batterien basieren, kommen Hochtemperatur-Wärmespeicher ohne Seltene Erden aus. Zudem können sie industrielle Abwärme speichern und im Sinne der Energieeffizienz die Wärme auf unterschiedlichen Termperaturniveaus weiteren Prozessen zuführen. Um diese Vorteile nutzen zu können, muss die Technologie die notwendige regulatorische und politische Unterstützung in Deutschland bekommen. Deren Fehlen behindert momentan den Einsatz der technisch reifen Technologie. Ein Grund ist der starke regulatorische Fokus auf Wasserstoff. Für die Dekarbonisierung der Industrie benötigt Deutschland ein breites Technologieportfolio und Pläne für das Gros der Wärmeprozesse.
Alternativen fördern
Hochtemperatur-Wärmespeicher wurden richtigerweise bereits in das 8. Energieforschungsprogramm aufgenommen und werden in Zukunft nicht nur zur Dekarbonisierung der Industrie, sondern auch zur zunehmenden Kopplung des Wärme- und Stromsektors beitragen. Die Wahl der optimalen Technologieoption zur Dekarbonisierung von Hochtemperatur-Prozessen in der Industrie hängt von den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Industrieprozesses ab. Neben Hochtemperatur-Wärmespeichern werden Hochtemperatur-Wärmepumpen, Direktelektrifizierung, grüner Wasserstoff und die effiziente Nutzung von Abwärme zur Zielerreichung beitragen müssen. Ein kombinierter Ansatz aus verschiedenen Technologieoptionen wird notwendig sein, um eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen, essenziell sind daher faire Wettbewerbsbedingungen der verschiedenen Erfüllungsoptionen.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat gerade die Möglichkeit, diese fairen Marktchancen durch die Ausarbeitung der Wärmespeicherstrategie zu schaffen. Wichtig ist, dass Hochtemperatur-Wärmespeicher als zielführende Erfüllungsoption zur Dekarbonisierung der Industrie anerkannt werden, sodass die Sicherheit für Industrieakteure und Hersteller besteht, den Technologiepfad weiter zu verfolgen. Zudem gilt es perspektivisch, Energiespeicher als vierte Säule unseres Energiesystems (neben Erzeugung, Transport, und Verbrauch) zu klassifizieren. Wärmespeicher haben hier eine ähnliche systemische Rolle wie Stromspeicher und sollten daher regulatorisch gleichgestellt sein. Grundvoraussetzung bleibt die stringente Sektorenkopplung von Wärme und Strom.
Systemische Vorteile ausspielen
Um die systemischen Vorteile von Wärmespeichern voll auszuspielen ist auch eine Revision von Nutzen statt Abregeln (§ 13k EnWG) wichtig. Der Paragraf verhindert momentan die effektive Dekarbonisierung von Prozesswärme, da nur Zuschaltlasten aus anderweitig abgeregelten Strommengen darunter fallen, während der Großteil der Energieversorgung als Sowieso-Verbrauch eingeordnet werden würde und damit nicht den Strom nutzen darf. Das steht damit konträr zu praktischen Power-to-Heat- und Speicherlösungen, die Prozesse von fossilen auf strombasierte Energieversorgung umstellen und blockiert günstige Dekarbonisierungsmöglichkeiten für Industrien sowie systemische Entlastungspotenziale.
Schlussendlich sollte auch der Hochlauf von Hochtemperatur-Wärmespeichern durch klare Zielsetzungen verankert werden. Insbesondere Ziele für erneuerbare Energien für Prozesswärme sind essenziell, um den Ausstieg aus der fossilen Wärmeerzeugung zu meistern. Hochtemperatur-Wärmespeicher können hier einen bedeutenden Beitrag leisten, sofern regulatorisch faire Wettbewerbsbedingungen zu anderen Erfüllungsoptionen gewährleistet sind.
Dr. Susanne König ist Mitgründerin und CFO des Speicheranbieters Kraftblock sowie Vorstandsmitglied des Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES).