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Energie & Klima

Standpunkte Angestrebte Gasabkommen: Höchste Zeit für einen seriösen Prüfprozess

Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch Foto: Germanwatch

Wie groß ist die russische Gaslücke wirklich? Und wie können wir sie verkleinern? Bundekanzler Scholz bleibt Antworten auf zentrale Fragen schuldig, meint Christoph Bals, Geschäftsführer von Germanwatch. Er macht Vorschläge, wie diese beantwortet werden sollten.

von Christoph Bals

veröffentlicht am 06.01.2023

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Der Winter war bislang die meiste Zeit relativ warm. Da wieder ein größerer Teil der Atomkraftwerke in Frankreich läuft, muss Deutschland nicht mehr so viel Strom dorthin liefern. Die erneuerbaren Energien haben 2022 nach ersten Berechnungen etwa 47 Prozent des Stroms in Deutschland geliefert – mehr als je zuvor. Und viele Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger haben ihren Anteil dazu beigetragen, dass der Gasverbrauch im Jahr 2022 rund 20 Prozent unter dem des Vorjahres lag. Als Konsequenz sind zum Start des neuen Jahres die Gasspeicher mit 90 Prozent noch gut gefüllt, sogar mehr als vor einigen Wochen. Entsprechend ist der Gaspreis zum Jahresende mit 76,50 Euro pro MWh wieder auf ein erträgliches Niveau gesunken. Zeit also, um mit kühlem Kopf noch einmal auf die geplanten Gasgeschäfte der Bundesregierung zu schauen.

Schließlich wurde am 15. Dezember nicht, wie ursprünglich vorgesehen, jene Vorlage der KfW-Aufsichtsratssitzung vorgelegt, mit der die Grundlage für die Unterstützung von Gaslieferungen aus dem Senegal und anderen Ländern geschaffen werden sollte. Außen-, Wirtschafts- und wohl auch Entwicklungsministerium konnten gemeinsam eine voreilige Festlegung der Bundesregierung verhindern.

Kein Prüfprozess zur Gasversorgung

Zum Hintergrund: Beim G7-Gipfel Ende Juni in Elmau hatte die G7 unter Präsidentschaft von Bundeskanzler Scholz zwar darauf hingewiesen, dass durch den Ausfall russischen Gases Flüssigerdgas-Investitionen notwendig sein könnten. Aber sie kündigte zugleich Kriterien dafür an: Es gehe nur um Gasverträge, die russisches Gas ersetzen. Dies dürfe der Großgefahrenschwelle der Klimakrise, dem 1,5 Grad-Limit, nicht widersprechen. Es dürften keine Pfadabhängigkeiten entstehen, die das konterkarieren.

Bisher aber gibt es gar keinen Prüfprozess der Bundesregierung, dem – entsprechend der radikal veränderten Energiepreissituation seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine – auch angepasste Szenarien zugrunde liegen würden: Wie groß ist der Gasbedarf, um die zu erwartende Lücke durch das weggebrochene Gas aus Russland zu füllen? Bis wann und in welchen Schritten kann diese Lücke durch Effizienz, erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff dauerhaft geschlossen werden? Und wie kann die bis dann verbleibende Restlücke so geschlossen werden, dass dadurch keine Pfadabhängigkeiten – weder hier noch in den Exportländern – entstehen, die das 1,5-Grad-Limit torpedieren? Bisher hat das Kanzleramt einen entsprechenden Prüfprozess der Regierung nicht auf den Weg gebracht oder gar blockiert.

Kanzleramt drängt auf Gasimporte

Es passierte sogar das Gegenteil: Im Kabinettsbeschluss vom 29. September, in dem es eigentlich um den „Wirtschaftlichen Abwehrschirm“ angesichts der Gas- und Strompreiskrise ging, wurde weitgehend unbemerkt und ohne Planung eines seriösen Prüfprozesses angekündigt, „mit Ländern, in denen die Möglichkeit zur Erschließung neuer Gasfelder besteht, im Rahmen der Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens zusammenarbeiten, um die ausfallenden russischen Gaslieferungen durch neu erschlossenes LNG-Angebot zu ersetzen.“ Während nach mir vorliegenden Informationen das Wirtschafts- und Klimaministerium, das Auswärtige Amt, das Umweltministerium und das Entwicklungsministerium auf einen solchen Prüfprozess drängen, wird dies vom Kanzleramt und dem Finanzministerium abgeblockt.

Kanzler Scholz jedoch erklärte im November beim UN-Klimagipfel in Scharm El Scheich den Umstieg auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz als „sicherheitspolitischen Imperativ“. Deutschland werde „ohne Wenn und Aber“ aus den fossilen Energien Kohle, Öl und Gas aussteigen. Spätestens seitdem steht auch seine internationale klimapolitische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, wenn Gasabkommen ohne den notwendigen Prüfprozess erfolgen.

Angesichts der Meinungsverschiedenheiten in der Regierung wurde, anders als eigentlich vorgesehen, am 15. Dezember nicht der Vorschlag für den „Pariskompatiblen Sektor-Leitlinienvorschlag“ für KfW-Eigenmittel, also vor allem die KfW-Tochter IPEX, dem Verwaltungsrat vorgelegt. Dem Außen-, dem Wirtschafts- und wohl auch dem Entwicklungsministerium gingen schon die im Dokument vorgesehenen Ausnahmeregelungen zur Kohärenz mit dem 1,5 Grad-Limit zu weit. Dem Kanzleramt und Finanzministerium hingegen ging der problematische Vorschlag nicht weit genug. Sie wollten, dass die IPEX nicht nur Gaskraftwerke, sondern auch den Aufschluss neuer Gasfelder unterstützen kann. Die Entscheidung wurde verschoben.

Was jetzt notwendig ist

Überfällig ist nun einerseits ein seriöser Prüfprozess der Bundesregierung:

  • Was ist tatsächlich nötig, um die Gaslücke durch den Ausfall des russischen Gases zu schließen? Immerhin kommen vermehrt unabhängige Studien zum Ergebnis, dass schon zwischen 2025 und 2027 die absehbaren Lieferungen die Nachfrage in Deutschland und der EU überschreiten könnten. Und klar ist: Jetzt vereinbarte neue Gasfelder könnten bis dahin noch gar nicht oder nur minimal liefern.
  • Wie ist die durch erneuerbare Energien, Effizienz und Elektrifizierung absehbar schrumpfende Gaslücke so zu füllen, dass dies weder hier noch in den Exportländern zu Pfadabhängigkeiten führt, welche die 1,5 Grad torpedieren? Gerade neue Gasfelder schaffen diese Pfadabhängigkeiten.

An diesen Prüfergebnissen sollten sich dann nicht nur die Leitlinie für die KfW-Eigenmittel (IPEX) orientieren, sondern auch jene für die KfW-Entwicklungsbank, den Kreditversicherer Euler Hermes (jetzt Allianz Trade) und die gesamte Außenwirtschaftsförderung.

Andererseits bräuchten wir neben dem bereits massiv beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien dringend ein Programm, um bis 2027 einen Großteil der Häuser, die vor der ersten Wärmeschutzverordnung – also bis 1976 – gebaut worden sind, seriell wärmepumpenfähig zu sanieren. In diesen am schlechtesten gedämmten Häusern wird im Gebäudebereich das meiste Gas verbraucht. Hier rechnet sich eine Sanierung am schnellsten und hier bedarf es einer staatlichen Unterstützung, weil in diesen Gebäuden tendenziell die ärmere Hälfte der Gesellschaft wohnt. Dies würde Arbeitsplätze finanzieren, anstatt die Gaspreise hochzutreiben und damit den russischen Angriffskrieg sowie die Aktivitäten gegen Menschenrechte, Demokratie und Klimaschutz etwa durch Iran, Saudi-Arabien, Katar oder den fossilen Konzern der Koch-Brothers in den USA zu fördern. Dabei handelt es sich um eines der größten Flüssiggashandelsunternehmen der Welt und zugleich der wichtigste Finanzier von Anti-Klimaschutzkampagnen in den USA.

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