Der jüngste Vorschlag der EU-Kommission, Erdgaseinsatz im Rahmen der EU-Taxonomie unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen, hat zum Teil zu kontroversen Reaktionen geführt. Dabei gilt es gemeinhin als Konsens, dass Gaskraftwerke auf dem Pfad zur Klimaneutralität weiterhin benötigen werden. Die neue Bundesregierung erkennt im Koalitionsvertrag ebenfalls an, dass „Erdgas für eine Übergangszeit unverzichtbar ist.“ Die Errichtung moderner Gaskraftwerke soll beschleunigt werden. Doch der aktuelle Markt bietet für entsprechende Investitionen nur wenig Anreize. Daran wird auch das „grüne Label“ der EU-Taxonomie für Gaskraftwerke voraussichtlich nichts ändern.
Der Energiemarkt befindet sich mitten im Umbruch: Durch den Ausstieg aus Kohle und Kernenergie sind seit 2016 bereits fast acht Gigawatt (GW) regelbare Leistung vom Netz gegangen. In diesem Jahr werden mit Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet und auch der Abschied von der Kohleverstromung soll möglichst bereits 2030 statt 2038 vollzogen werden.
Es gehen also weitere Stromerzeugungskapazitäten für die Sicherung der Grundlast verloren. Zwar sind die Kapazitäten von Photovoltaikanlagen und Windrädern seit 2016 um insgesamt fast 35 GW angestiegen, allerdings sind diese nicht kontinuierlich verfügbar. Die Volatilität dieser Kapazitäten stellt den Strommarkt vor neue Herausforderungen.
Gaskraftwerke als Back-up der Energiewende
Moderne Gaskraftwerke sind besonders geeignet, um eine jederzeit abrufbare Grundlast an Strom bereitzustellen, also auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Moderne Gaskraftwerke lassen sich schnell hochfahren und emittieren im Schnitt 65 Prozent weniger CO2 als Braunkohlekraftwerke. Der Energieträger Gas lässt sich zudem durch grüne Gase dekarbonisieren – so werden Gaskraftwerke mithilfe von Wasserstoff ihre Emissionen in Zukunft weiter verringern und keine „stranded assets“.
Aktuell werden allerdings nicht annähernd so viele Gaskraftwerke gebaut, wie Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Auf Grundlage des Koalitionsvertrags und der jüngsten Dena-Leitstudie ist bis 2030 ein Zubau an Gaskraftwerken in Höhe von 23 Gigawatt nötig, wir sehen einen Bedarf an regelbarer Leistung von 20 bis 30 Gigawatt. Das entspricht etwa 50 bis 75 Kraftwerken. Die Bundesnetzagentur erwartet aber lediglich einen Zubau von 3,6 GW Gaskraftwerksleistung zwischen 2021 und 2024. Wollen wir die für 2030 gesteckten Ziele erreichen, muss die zusätzliche Kraftwerkskapazität jetzt – also acht Jahre vorher – nicht nur geplant, sondern auch zu Investitionsentscheidungen gebracht werden. Rasches Handeln ist notwendig, damit Deutschland nicht auf eine Stromlücke zusteuert oder die klimaschädlichen Kohlekraftwerke länger am Netz lassen muss.
Zu wenig Anreiz für Investoren
Das aktuelle Strommarktdesign, der sogenannte Energy-Only-Markt (EOM), liefert zu wenig Anreize für Investitionen in Gaskraftwerke. In diesem Markt bilden sich die Preise ausschließlich aus Angebot und Nachfrage der tatsächlichen Stromerzeugung. Da Ökostrom bei der Einspeisung ins Netz Vorrang genießt, ist es möglich, dass Gaskraftwerke nur für wenige Stunden laufen. In diesen Stunden ist die Nachfrage dann sehr hoch, was im EOM bedeutet, dass der Strom zu dieser Zeit sehr teuer ist. Die Investitionssummen müssen also in immer weniger Betriebsstunden mit sehr hohen Strompreisen refinanziert werden.
Bei der Entscheidung zur Beibehaltung des EOM stand im Vordergrund, Überkapazitäten im Markt zu vermeiden. Künftig sehen wir uns aber einer Situation mit Kapazitätsknappheiten gegenüber. Der EOM führt in einem berechenbaren Umfeld zu Kosteneffizienz, er überträgt das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage auf den Strommarkt. Das ist vom Prinzip her zu begrüßen. Allerdings überlässt Deutschland die Energiewende zurecht nicht rein dem Markt, sondern will durch politische Eingriffe eine dynamische Transformation erreichen.
So sollen die Klimaziele schneller erreicht werden, als es das marktwirtschaftliche Instrument des Europäischen Emissionshandels (EU-ETS) vorgibt. Gleichzeitig leistet sich die Bundesrepublik mit dem Atom- und dem Kohleausstieg einen weiteren erheblichen Markteingriff. Das führt zu starken Marktverzerrungen und damit zu Risiken. Wir sehen das aktuell durch das „Missing-Money-Problem“: Es finden sich nicht genügend Investoren für die dringend benötigten Gaskraftwerke.
Das Investorenrisiko steigt durch die Vorgabe, dass neue Kraftwerke innerhalb ihrer Amortisationszeiträume auf Wasserstoff umgerüstet werden müssen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für Investoren kommt mit den fehlenden konkreten Anforderungen der Politik hinzu: Wo kommt der Wasserstoff her? Welche Wasserstoffproduktionen werden als CO2-arm angesehen?
Kapazitätsmechanismus muss geprüft werden
Daran wird auch der Vorschlag der EU-Kommission, Gaskraftwerke unter Bedingungen als nachhaltig zu definieren, vermutlich wenig ändern. Die Komplexität der Kriterien wird die Unsicherheit für Investoren eher noch erhöhen. Deshalb ist es notwendig, das aktuelle Strommarktdesign zu hinterfragen und stattdessen die Einführung eines Kapazitätsmechanismus zu überprüfen. Er könnte der zukünftigen Versorgungssicherheit einen Preis geben und dazu führen, dass Investoren mehr Anreize haben, in Kraftwerke zu investieren, welche wiederum verlässliche Leistung zur Sicherung der Stromversorgung in Zeiten von Dunkelflauten bereitstellen.
Auch die oftmals geäußerte Kritik, Kapazitätsmärkte seien mit EU-Recht unvereinbar, ist nicht richtig. Belgiens Regierung hatte bereits 2019 bei der EU-Kommission ein Vorhaben für einen Kapazitätsmarkt eingereicht. Im letzten Sommer wurden die belgischen Pläne in Brüssel genehmigt, damit das Land nach Ausstieg aus der Kernenergie die Stromversorgungssicherheit gewährleisten kann.
Es war
ein wichtiger erster Schritt, dass die neue Regierung in ihrem
Koalitionsvertrag die Prüfung „wettbewerblicher und technologieoffener Kapazitätsmechanismen“
in Aussicht stellt. Diese Prüfung und die anschließende Einführung müssen nun
rasch erfolgen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die
Geschwindigkeit der Emissionsminderung verdreifachen. Die deutsche
Gaswirtschaft steht bereit und will die Energiewende nach Kräften unterstützen.
Daher ist die Umgestaltung des Strommarktdesigns nun unumgänglich, um
den Zubau der bis 2030 dringend benötigten Gaskraftwerke anzureizen, den
Kohleausstieg zu beschleunigen und eine zuverlässige Stromversorgung in
Deutschland zu sichern.