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Energie & Klima

Standpunkte Den Fokus nicht verlieren

Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer Christ & Company
Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer Christ & Company Foto: Christ&Company/Tristan Unkelbach

Der Finanzminister rüttelt am angestrebten Kohleausstieg 2030. Völlig aus der Luft gegriffen sind die Zweifel an der Umsetzung zwar nicht, meint Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Christ & Company, in seinem Standpunkt. Doch ein reduziertes Ambitionsniveau und vor allem noch mehr Unsicherheit beim Klimaschutz könnten sich weder Deutschland noch Europa leisten – auch aus Sicht der Unternehmen.

von Andreas Kuhlmann

veröffentlicht am 02.11.2023

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„Lindner stellt den Kohleausstieg 2030 infrage“, titelte der Tagesspiegel am 1. November und bezog sich damit auf die Aussage des FDP-Finanzministers „Für das Klima bringt das Datum nichts“. Und auch andere Medien haben die Aussagen Christian Lindners in einem Interview im Kölner Stadt-Anzeiger aufgegriffen. Alles wankt.   Jetzt will die FDP auch noch aus dem Kohleausstieg aussteigen?

Um es klar zu sagen: Es ist bedauerlich, dass sich die Aussagen mehren, die am klimapolitischen Ambitionsniveau rütteln. Nun muss man zur Verteidigung des Ministers sagen, dass er faktisch nicht viel Neues gesagt hat. „Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus Kohlestrom 2030 beenden“.

Klar, niemand hat je geplant, die Lichter auszuschalten, wenn der Aufbau einer neuen Energieversorgung nicht rechtzeitig gelingen sollte. Im Koalitionsvertrag steht ohnehin nur, dass „idealerweise“ bis 2030 Schluss mit der Kohleverbrennung sein soll. Doch dass dieser Schritt mit Blick auf die europäischen Mechanismen wie den Emissionshandel ETS für die Klimaziele ohnehin nichts bringe, gibt den Aussagen eine Richtung, die nicht besonders glücklich ist. Schon allein technisch-ökonomisch nicht, weil es die Möglichkeit gibt, die so eingesparten Emissionen im ETS stilllegen zu lassen.

Vor allem aber ist der Blick auf die Gesamtlage wichtig: Geopolitische Konflikte und fürchterliche Kriege dominieren die politische Agenda. Notfallmaßnahmen mussten alte Fehler der Politik korrigieren, neue Herausforderungen bringen die Ampel-Koalition bis an ihre Belastungsgrenze. Wirtschaftsakteure haben eine entschlossene Politik zur Bekämpfung der Versorgungskrise erleben dürfen und kräftige Impulse mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Wahr ist aber auch, an vielen Stellen ist Politik noch nicht so weit, wie es für unternehmerische Klarheit erforderlich wäre. Noch immer stehen wichtige Entscheidungen aus: Industriestrompreis ja oder nein? Und wenn ja, wie eigentlich genau? Wann kommt die erforderliche Infrastruktur in Form von neuen Strom-, Wasserstoff- und CO2-Netzen? Wie genau werden die Stützungsmaßnahmen einer trotz aller ambitionierten Ziele ins Trudeln geratenen Windindustrie aussehen, wie genau die Fördermaßnahmen für den Aufbau einer Solarproduktion in der der EU? Wann endlich entfaltet der begonnene Abbau administrativer Hürden seine volle Wirkung?

Und vor allem – mit Blick auf das von Lindner angerissene Thema – wie gelingt der Aufbau weitgehend klimaneutraler gesicherter Leistung? Die Kraftwerksstrategie ist längst überfällig. Wenn es hier nicht schnell vorwärts geht, dann hat Lindner sogar recht.  Viele fossil betriebene Kraftwerke können dann nicht abgeschaltet werden, sie müssten im Zweifel in die „Reserve“ oder sogar im Markt bleiben, um extreme Strompreise zu vermeiden. Das ist ohne Zweifel und auch vor dem Hintergrund des ETS schlecht für die Klimaziele.

Dennnoch gilt: Trotz allem starken Engagements der Bundesregierung fehlt es noch immer an Klarheit und Orientierung mit Blick auf die Umsetzung von Energiewende und Klimaschutz. In so einer Phase ist es nicht hilfreich, das klimapolitische Zielbild unnötig aufzuweichen. Es ist eh schon schlimm genug: die Aufbruchstimmung von vor zwei Jahren hat gelitten und das schadet dem Engagement, dem Klimaschutz und der Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Das zeigt auch der Blick aus größeren Höhen. Egal ob Prognosebericht für die EU, World Energy Outlook des IEA oder Stellungnahme des Expertenrats Klimaschutz: In allen Analysen führt der Status Quo nicht zum versprochenen Ziel. Das Ambitionsniveau droht noch weiter zu sinken. In der EU zum Beispiel, wie man an der Aufweichung der energetischen Mindeststandards für Gebäude (MEPS) auch unter deutscher Beteiligung sehen kann. Aber auch hierzulande, wie das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung und dessen Bewertung durch den Expertenrat zeigen.

Wohl war, die eigentliche Herausforderung von Klimaschutz ist, überaus ambitionierte Ziele, die möglicherweise in den vorgegebenen Zeiträumen nicht erreichbar sind, in konkrete Gesetzgebungsvorhaben umzusetzen. Das bringt Spannungen und diese Wiederum haben Auswirkungen auf unternehmerische Entscheidungen und offenbar auch Einschätzungen im politischen Raum.

Wichtig in dieser Situation und bei alledem: Fokus nicht verlieren! Das vermeintlich Erreichte gerät schnell ins Rutschen. Die berechtigte Erwartung an die Bundesregierung ist, das Amibitionsniveau aufrecht zu halten. Klarheit zu schaffen, über die Zeitpläne der wichtigsten Schritte. Und:Entscheidungen zu einem Abschluss zu bringen und klar zu kommunizieren, wenn etwas nicht so schnell gelingen kann wie man es einst erhofft hat.

Die größte Bremse für Energiewende und Klimaschutz ist Unsicherheit. Dann erodiert das Vertrauen in die Ziele und in die Kooperationsbereitschaft der vielfältigen Akteure. Politik in Verantwortung sollte sich dessen bewusst sein – unter anderem bei der Diskussion über den Kohleausstieg. Sonst werden wir selbst bei dem spannendsten Zukunftsprojekt, das Deutschland zu bieten hat ins Hintertreffen geraten. Nicht gut für den Klimaschutz und auch nicht gut für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland.

Andreas Kuhlmann ist seit Juli dieses Jahres Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Christ & Company Consulting in Berlin. Zuvor war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (Dena).

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