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Energie & Klima

Standpunkte Klimaschutz in der Defensive – was tun?

Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program des Ecologic Instituts
Nils Meyer-Ohlendorf, Leiter des International and European Governance Program des Ecologic Instituts

Klimaschutz verliert an unmittelbarer politischer Bedeutung. Die Klimabewegung wird von vielen nicht mehr als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Anliegens gesehen. Dafür gibt es viele Gründe. Starke Polarisierung ist einer. In seinem Standpunkt diskutiert Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institute, was getan werden könnte.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 12.01.2024

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Politisch ist Klimaschutz in der Defensive. Die öffentliche Unterstützung für die Klimabewegung in Deutschland hat stark abgenommen. 2021 unterstützten 68 Prozent die Klima- und Umweltbewegung, im Mai 2023 sind es nur noch 34 Prozent – so eine repräsentative Studie von More in Common. Die AfD – die Partei mit der stärksten Ablehnung von Klimapolitik – steht seit Monaten im Umfragehoch. Nicht nur Umfragen belegen diesen Trend, auch die jüngsten Landtagswahlen.

Der Ausblick ins neue Jahr verspricht keine Trendwende. Nach der Europawahl im Juni könnte der Gegenwind sogar stärker werden. Rechte Fraktionen, die Klimaschutz mehr oder weniger grundsätzlich ablehnen, könnten laut aktuellen Umfragen hinzugewinnen. Die künftige klimapolitische Positionierung der EVP – einem Schlüsselspieler im Europäischen Parlament – ist unklar. Da das Europäische Parlament oft die klimapolitisch ambitionierteste EU-Institution ist, könnte Klimapolitik weiter in die Defensive geraten.

Klimaschutz an einem Wendepunkt?

Für diesen Trend gibt es viele Gründe. Dazu gehören hohe Energiepreise und Inflation. Das Gebäudeenergiegesetz hat viel Zustimmung gekostet. Streit in der Koalition ist quasi eine Garantie für zurückgehende Zustimmung zur Programmatik der Bundesregierung. Kampagnen à la „Heizhammer“ sind weitere Faktoren. Insgesamt wird deutlicher, dass Klimapolitik stärker den Einzelnen betrifft.

Die deutsche Öffentlichkeit ist zudem allgemein im Zustand größerer Verunsicherung. 81 Prozent blicken mit Beunruhigung in die Zukunft, nur 14 Prozent mit Zuversicht. Vergleichbare Werte gab es nur zwischen 2003 und 2005 in einer Phase hoher Arbeitslosigkeit. Es gibt ein weit verbreitetes Gefühl der Bevormundung. Diese diffuse Gefühlslage hilft Klimapolitik nicht.

Ein weiterer zentraler Grund für den Gegenwind ist, dass Klima neben Zuwanderung zum Thema mit der stärksten Polarisierung geworden ist. Die Klimadebatte wird stärker durch Identitätskonflikte und Ideologie geprägt.

Polarisierung gehört zur Debatte, aber in Übermaßen und in Kombination mit Identitätskonflikten und Ideologisierung ist sie für Klimapolitik ein großes Problem. Es wird schwieriger, Klimaschutz zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt zu machen und Mehrheiten zu organisieren – Grundbedingungen für erfolgreiche Umsetzung. In der polarisierten Debatte ist mehr oder weniger offene Fundamentalopposition gegen Klimaschutz möglich. Wichtig ist dann Zuspruch im eigenen Lager, nicht der Kompromiss. Es spielt kaum eine Rolle, wenn in einer unverständlichen Sprache oder irrational und emotional argumentiert wird, solange das eigene Lager die Signalwirkung erkennt.

Nach der More in Common Studie fanden im Mai 2023 nur noch 28 Prozent der Befragten, dass die Klimabewegung eine „verständliche Sprache“ spreche (2021 war dies 65 Prozent). Nur noch ein gutes Viertel dachte, dass die Klima- und Umweltbewegung offen dafür sei, „dass Leute wie ich bei ihr mitmachen“ und das „Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick“ habe (2021 waren dies 63 beziehungsweise 60 Prozent). Für Klimaschutz sind dies dramatische Zahlen: Die Klimabewegung wird nicht mehr als gesamtgesellschaftliche Bewegung wahrgenommen.

Ablehnung der Letzten Generation

Obwohl Klimaschutz ein Verlierer dieser Polarisierung ist, ist die Klimabewegung für sie teilweise mitverantwortlich. Dies ist offensichtlich für einen kleinen, aber sichtbaren Teil der Klimabewegung. Die Aktionen der Letzten Generation stoßen auf sehr viel Ablehnung und polarisieren. Sie beherrschen die Berichterstattung und ziehen die Klimadebatte mit starken Bildern in eine Auseinandersetzung zwischen Identitäten: normale Menschen vs. realitätsferne Radikale.

Jüngste Äußerungen aus der Klimabewegung zum Gazakrieg verstärken die Polarisierung – nicht nur weil, der Krieg als solcher stark polarisiert, sondern auch weil Statements zum Krieg ideologisiert sind. CAN International – ein Netzwerk von 1900 Klima-NGOs aus 130 Staaten – behauptet beispielsweise, dass „der Widerstand gegen den israelischen Kolonialismus stehe an vorderster Front im Kampf gegen die westliche Vormachtstellung, die die Arbeitskraft rassistisch eingeteilter Völker des globalen Südens ausbeute und die Ökosysteme der Erde zerstöre“. Um die Wurzel der Klimakrise anzugehen, müssten die „imperialistischen, kolonialistischen und kapitalistischen Unterdrückungssysteme“ bekämpft werden. Die Rhetorik und Einseitigkeit des Statements stoßen auf viel Empörung und Zurückweisung.

Es wäre aber zu kurz gesprungen, die Ursachen für die Polarisierung allein bei diesem Teil der Klimabewegung zu sehen. Es muss auch eingestanden werden, dass die Klimabewegung insgesamt zum stärker polarisierten Teil der Öffentlichkeit gehört. Nach der MIDEM-Polarisierungsstudie sind Personen, die linken, linksextremen oder grünen und ökologischen Positionen zuneigen, im Schnitt deutlich stärker polarisiert als Menschen, die sich eher ‚rechts‘ verorten.

Zudem verengen Teile der Klimabewegung die Debatte und polarisieren dadurch. Sie nutzen häufig den Populismusbegriff – obwohl dieser nichts beschreibt, allein den politischen Gegner diskreditiert, diffuse Trennlinien aufmacht und Polarisierung beschleunigt. Klimapolitische Diskussionen sind in den politischen Ansichten zudem oft nicht ausreichend divers. Die Überzeugung, „Rechten“, „Populisten“ oder „Klimaleugner“ dürften keine Bühne gegeben werden, ist weit verbreitet. Damit bekommen radikale Gegner der Klimapolitik ihre Lieblingsbühne, nämlich die Bühne, keine Bühne zu haben, ausgegrenzt zu werden und Opfer zu sein. Die Sachdebatte wird dadurch schwieriger und Klimapolitik wirkt abgekapselt. Extreme Positionen werden gestärkt und gemäßigte geschwächt. Mehrheiten werden so nicht gewonnen. Das hat 2023 gezeigt.

Neue Antworten müssen gefunden werden

Damit Klimaschutz ein gesamtgesellschaftliches Großprojekt bleibt und Mehrheiten gewinnt, ist es ein wohlbegründetes strategisches Interesse, Polarisierung entgegenzusteuern. Dieses strategische Interesse muss deutlicher formuliert werden und handlungsleitend sein. Klimapolitik sollte als ein wenig polarisierter Teil der politischen Debatte wahrgenommen werden. Dafür muss auch die Klimabewegung politische Identitäten meiden und politisch divers sein. Sie muss eine Lanze für Pluralismus brechen und die offene Kontroverse suchen, auch mit ihren härtesten Gegnern. Idealerweise ist diese Kontroverse eine Sachdebatte, die ehrlich diskutiert, welche Konzepte am besten Klimaneutralität erreichen.  Sie ist praktisch, allgemein verständlich und zuversichtlich.

Das ist offensichtlich leichter gesagt als getan. Für Polarisierung gibt es viele Gründe – etwa rechte Hetze, fragmentierte Meinungsbildung in Parallelwelten oder die Möglichkeit, Hass gratis in Echtzeit und reichweitenstark im Netz zu verbreiten. Kein Einzelakteur kann dies allein ändern. Aber es steht zu viel auf dem Spiel, als dassmore of the same“ die Antwort auf starke Polarisierung sein könnte.

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