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Energie & Klima

Standpunkte Eigentor für die EU: Fossiles Gas und Atomstrom als nachhaltige Investitionen

Johannes Schroeten, Researcher, E3G
Johannes Schroeten, Researcher, E3G Foto: E3G

In ihrem Standpunkt analysieren Johannes Schroeten und Tsvetelina Kuzmanova von der Klimadenkfabrik E3G die Debatte um die EU-Taxonomie und gelangen zum Schluss: Der Diskurs sei geprägt von Missverständnissen und Fehleinschätzungen, mit signifikanten Risiken für den Sustainable Finance Standort Deutschland und EU.

von Johannes Schroeten

veröffentlicht am 15.11.2021

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Stellen Sie sich vor, Sie planen für Ihre Kinder Geld in Aktien anzulegen. Auf Nachfrage der Kundenberaterin entscheiden Sie sich, in einen nachhaltigen Fond zu investieren. Dieser sei sogar mit der EU-Taxonomie – die EU-weite Klassifizierung für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten – vereinbar! Zuhause blättern Sie den Anlageprospekt durch und entdecken, dass der Fond Anteile eines bekannten Atomstrom-Konzerns aus Frankreich und eines Gasförderunternehmens aus Deutschland hält.

Wenn es nach einigen EU-Mitgliedsstaaten geht, könnte genau dies bald Realität sein – und die Rolle der Taxonomie als Transparenzmaßnahme gegen Greenwashing (das Deklarieren von nicht-nachhaltigen Anlagen als solche) ad absurdum führen. Die Position Deutschlands als einflussreiche Stimme in der EU könnte hierbei entscheidend sein.

Wissenschaftsbasierte Vorschläge verenden im politischen Tauziehen

Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission schließt Gas und Atomenergie von der Einstufung als nachhaltige Investitionen aus. Doch einige Gas- und Atombefürwortende EU-Mitgliedsstaaten haben mit einem Veto gegen den Rechtsakt gedroht. Das Fehlen einer proaktiven, sich klar zu einer wissenschaftsbasierten Taxonomie bekennenden Position Deutschlands war dabei nicht hilfreich. Daraufhin beschloss die EU-Kommission, die Frage von Gas und Atomenergie in einem separaten Rechtsakt zu klären. Dies geschah nicht zuletzt auf Druck Frankreichs, das eine Pro-Atomkraft-Koalition von Mitgliedsstaaten organsiert hat. 

Seitdem verzögerte die Kommission die Veröffentlichung und Entscheidung über den Rechtsakt, unter anderem um Klarheit über den Kurs der neuen Bundesregierung zu haben. Öffentlich hat die Bundesregierung bisher ihre Ablehnung zur Einstufung von Atomenergie als nachhaltige Energieerzeugung zum Ausdruck gebracht, wobei sich die SPD vielfach offen für Gas in der Taxonomie gezeigt hat.

Eine Entscheidung ist nun imminent, sodass die Taxonomie, stand jetzt, Atomstrom und Gas zu bestimmten Konditionen als nachhaltig einstufen wird. Die Debatte wurde zuletzt weiter angeheizt durch ein sogenanntes „Non-Paper”, das vergangene Woche in Brüssel kursierte. Das Papier sieht eine extrem großzügige Definition von Gas und Atomenergie als nachhaltig vor.

Drei schwerwiegende Missverständnisse kennzeichnen diese Position:

I. Die Taxonomie schränkt private Investitionen ein

Tatsächlich ist die Taxonomie erstmal nur ein Label, eine Definition, um nachhaltige von nicht-nachhaltigen Aktivitäten zu unterscheiden. Die Taxonomie garantiert, dass beispielsweise ein nachhaltig investierender Pensionsfonds dies wirklich tut. Sie verbietet aber weder Investitionen, noch werden diese im Kapitalkostenvergleich unattraktiver. Natürlich ist ein möglicher Effekt der Taxonomie, dass sich durch Nachfrage der Anleger*innen die Finanzierung nachhaltiger Investments an den Kapitalmärkten vergünstigt oder sich die Kapitalkosten „dreckiger“ Aktivitäten verteuern. Ob dies so kommt, obliegt jedoch allein den Marktkräften.

II. EU-Staaten müssen ihre Investitionspolitik anpassen

Ebenso wie private Anleger*innen können auch Staaten weiterhin ihre energiepolitischen Prioritäten finanzieren. Es gibt keinerlei Pläne, die Taxonomie als verpflichtende Leitplanke für staatliche Investitionen einzuführen. Investitionen, die weder finanziell noch umweltpolitisch nachhaltig sind (Stichwort Atomkraft!), werden nicht durch die Taxonomie beschnitten.

Allerdings kann die Taxonomie ein wichtiges Instrument sein, um gegenüber Bürger*innen transparent zu kommunizieren, wie öffentliche Investitionen getätigt werden. Doch damit umweltschädliche Investitionen den Steuerzahlenden nicht als „grün“ verkauft werden braucht es eine Taxonomie, welche einer wissenschaftsbasierten Nachhaltigkeitsdefinition entspricht.

III. Die Taxonomie wird zum „Goldstandard“

Die EU hat die Taxonomie als ihre Flaggschiff-Initiative und das Herzstück der europäischen Sustainable Finance Strategie präsentiert, um den europäischen Kapitalmarkt als Vorreiter im Rennen um ein nachhaltiges Finanzwesen zu positionieren. Doch sie wird nicht automatisch als Fixstern für nachhaltiges Investment gelten. Es gibt bereits freiwillige Initiativen, die nachhaltige Finanzmärkte nutzen, wie etwa der EU-Standard für Green Bonds und der  Standard der Climate Bonds Initiative. Diese sind in ihren Vorgaben bis dato strikter (schließen Gas und Atomenergie aus) als das „Non-Paper“, das in Brüssel zirkulierte.

Es besteht also das Risiko, dass die Taxonomie an den Finanzmärkten gar nicht, oder zumindest nur eingeschränkt, angewendet wird. Sollten die vorgeschlagenen Regeln vom Rechtsakt der Kommission aufgegriffen werden, würde sich die EU selber ihrer Vorreiterrolle berauben und ihre Position im internationalen Wettstreit um den Aufbau eines nachhaltigen Finanzsystems, etwa mit China oder den USA, eklatant schwächen.

Lackmustest für Deutschland

Während eine verwässerte Taxonomie minimal zusätzlichen Investitionsspielraum für Projekte der Gas- oder Atomenergie schaffen würde, sähe sich die EU mit signifikanten Reputations- und Akzeptanzrisiken im Markt konfrontiert. Die UN Net-Zero Asset Owner Alliance, die immerhin 40 Prozent der globalen Kapitalanlagen umfasst, hat bereits signalisiert, dass für sie Gas und Atomstrom nicht nachhaltig sind.

Alle Augen sind jetzt auf Deutschland gerichtet. Erst kürzlich hat Frankfurt am Main den Zuschlag für den Standort des International Sustainability Standard Board erhalten. Vergangene Woche hat sich die Bundesregierung auf der Klimakonferenz in Glasgow zu einem Ausstieg der öffentlichen Finanzierung fossiler Energieträger im Ausland verpflichtet. Im nächsten Jahr wird die deutsche G7-Präsidentschaft das Thema Sustainable Finance weiter vorantreiben müssen. Die Taxonomie ist ein Lackmustest, ob die Ampelkoalition ihr Versprechen einer Klimaregierung hält. Die Ambition ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem anzustreben, wäre unbedeutend, wenn man sich nicht einmal auf eine wissenschaftsbasierte Definition von Nachhaltigkeit einigen kann.

Durch ihr bisheriges Lavieren hat die geschäftsführende Bundesregierung in der Taxonomie-Frage einem Kuhhandel mit Frankreich, der sowohl Atomstrom als auch Gas anvisiert, zumindest nicht ausgeschlossen. Eine Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen hat sich nun dagegen ausgesprochen. Wenn der zukünftige Klimakanzler (und jetzige Finanzminister!) nicht mit der Last einer unglaubwürdigen Taxonomie in die neue Regierung starten will, muss Olaf Scholz jetzt deutlich machen: Eine Gas- und Atomstrombefürwortende Taxonomie kann weder dem Sustainable Finance Führungsanspruch Deutschlands noch dem der EU und erst recht nicht einer überzeugenden Klimapolitik gerecht werden.

Johannes Schroeten ist Researcher International Financial Institutions beim Think-tank E3G. Tsvetelina Kuzmanova arbeitet dort als Policy Advisor für Sustainable Finance.

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