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Energie & Klima

Standpunkte Energy Sharing gegen die Krise

Viola Theesfeld, energiepolitische Referentin, Bündnis Bürgerenergie (BBEn)
Viola Theesfeld, energiepolitische Referentin, Bündnis Bürgerenergie (BBEn) Foto: Bündnis Bürgernenergie

Das Konzept des Energy Sharings sieht vor, Wind- und Photovoltaikanlagen gemeinschaftlich zu errichten und den erzeugten Strom über das Verteilnetz den Mitgliedern von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Das EU-Recht unterstützt diesen Ansatz. Statt über Laufzeitverlängerungen für Akw zu diskutieren, sollte die Bundesregierung deshalb endlich einen funktionierenden Rechtsrahmen schaffen.

von Viola Theesfeld

veröffentlicht am 19.08.2022

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Bürgerenergie war von Anfang an Initiator und Treiber der Energiewende in Deutschland und ist weiterhin ihr Rückgrat. Viele Bürger:innen haben schon vor langer Zeit die Vorteile erkannt, auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen und den Bau der ersten EE-Anlagen aus Bürgerhand in die Wege geleitet. Trotz zunehmender administrativer Hürden befanden sich 2019 noch rund 40 Prozent der installierten Erneuerbaren-Leistung in privater und landwirtschaftlicher Hand. Die Erfolgsfaktoren sind Dezentralität und räumliche Verbrauchsnähe sowie die Preisentwicklung von Wind und Solarenergie. Eine dezentrale Energieversorgung kann auch eine Antwort auf die aktuelle unsägliche Debatte über die Verlängerung der Laufzeiten von AKWs sein.

Die Menschen wollen nicht länger ohnmächtig den Entwicklungen gegenüberstehen. Viele sind daran interessiert, sich am Ausbau der erneuerbaren Energien zu beteiligen und davon auch finanziell zu profitieren. Dies stellt einen deutlichen Bruch zum ursprünglich zentralistisch ausgestalteten Energiesystem in Deutschland dar. Die Menschen wollen nicht nur Energiekonsument:innen, sondern Prosumer:innen sein.

Die dezentrale Energiewende bringt eine Reihe von Systemänderungen mit sich, doch vor allem auch das Potenzial, die Energiewende gemeinsam zu stemmen. Die Bundesregierung möchte bis 2030 einen Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch erreichen. Dazu müssen alle geeigneten Flächen, etwa von städtischen Wohngebäuden oder Hallen landwirtschaftlicher und gewerblicher Nutzung auf dem Land, effizient genutzt werden. Dafür braucht es unbürokratische Rahmenbedingungen und vor allem die Akzeptanz und Investitionsbereitschaft der Menschen vor Ort.

Die Systemwende kann nur mit der Bürgerenergie als tragender Säule einer klimafreundlichen Energieversorgung gelingen. Sie ist geprägt durch ein großes Maß an Akzeptanz und Identifikation sowie Eigenverantwortung und Teilhabe der Menschen, die sich in Bürgerenergiegesellschaften, Genossenschaften, mittelständischen Unternehmen und kleinen Gruppen organisieren.

Der Marktrahmen muss EE-Gemeinschaften ermöglichen

Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass sich der Einsatz auch finanziell lohnt. Dafür ist ein Marktrahmen gefragt, der die Gründung von sogenannten Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften ermöglicht, damit diese Wind- und Photovoltaikanlagen gemeinschaftlich errichten und den erzeugten Strom über das Verteilnetz ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen können (Energy Sharing).

Das aus dem EU-Recht stammende Konzept geht auf Artikel 22 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zurück und hätte bereits bis Mitte 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Das Bündnis Bürgerenergie beschreibt die Funktionsweise in einem Konzeptpapier. Dies bildete die Grundlage für eine Potenzialstudie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW): Wenn das Konzept Energy Sharing aus dem EU-Recht in nationales Recht umgesetzt würde, könnten 90 Prozent der volljährigen Bürger:innen in Deutschland von günstigeren Strompreisen profitieren.

Das „Osterpaket“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck passt zwar die Definition der Bürgerenergiegesellschaft als Pendant der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft an, das Modell Energy Sharing wird aber nur im Entschließungsantrag benannt und trotz der Dringlichkeit vorerst nicht umgesetzt.

Dezentrale Flexibilität und Netzentlastung

Um das Energiesystem mittels Energy Sharing zukunftsfähig zu machen, müssen bei der gesetzlichen Ausgestaltung die Wärme- und Verkehrswende mitgedacht werden. Von großer Bedeutung sind die dezentralen Flexibilitätspotenziale, die Energy Sharing im Sinne einer Sektorenkopplung aktivieren kann – beispielsweise beim erzeugungsgerechten Laden von E-Autos oder dem flexiblen Betrieb von Wärmepumpen. Die verbrauchsnahe Energieerzeugung kann Netzebenen entlasten – insbesondere, wenn ein Anreiz für eine Lastverschiebung geschaffen wird. Schließlich sollten die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften das Stromnetz nutzen können und einen finanziellen Vorteil erhalten, wenn sie selbst erzeugten Strom aus „ihrer Anlage“ zeitgleich und regional verbrauchen.

Energy Sharing beantwortet viele drängende Fragen der aktuellen energiepolitischen Krise. Es ist ein Hebel für den dringend benötigten Zubau von erneuerbaren Energien und befreit uns aus der Abhängigkeit von Energieimporten. Zudem sorgt es für eine gerechte Verteilung der Wertschöpfung sowie eine breite Teilhabe an der Energiewende. Damit können Vorbehalte abgebaut und die Energiepreise für die Mitglieder der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft vergünstigt werden. Die Politik sollte folglich alles daransetzen, unverzüglich einen Rechtsrahmen für Energy Sharing zu schaffen. Weitere Verzögerungen können wir uns nicht leisten.

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