Der aktuelle Bericht des Expertenrats für Klimafragen zeigt, dass der Gebäudesektor zum vierten Mal in Folge das zulässige jährliche Emissionsbudget überschritten hat und auch in einem projizierten „Weiter-so-Szenario“ bis 2030 das zulässige Klimabudget überschreiten wird. Eine grundlegende Kursänderung in der Energiepolitik im Hinblick auf den Gebäudesektor ist deshalb unabdingbar. Zur Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor ist weniger der Neubau, der in Deutschland bisher nur sehr schleppend vorankommt und zudem Milliardenhilfen benötigt, sondern viel wichtiger eine Sanierungsoffensive im Gebäudebestand notwendig, welche auch von unterschiedlichen Interessenverbänden gefordert wird.
Doch gerade hier haben alle bisherigen Bundesregierungen und ihre Förderinstitutionen in den letzten 20 Jahren versagt und es nicht geschafft, die Sanierungsrate von Gebäuden auf die notwendigen zwei bis drei Prozent pro Jahr zu steigern. Im Gegenteil, die Sanierungsrate sinkt immer weiter unter ein Prozent statt zu steigen. Der derzeitige Kurs, dies allein durch immer höhere Sanierungsförderungen auszugleichen, würde nicht nur die öffentlichen Haushalte überfordern und hätte problematische Verteilungswirkungen, sondern scheitert an einer falschen Kommunikation.
Bewerben von Sanierung als lukrative Investition geht fehl
Mit aktuellen Maßnahmen wie der Förderung eines Heizungstausches wird versucht, die Gebäudeeigentümer:innen davon zu überzeugen, dass sich die Investition in eine Sanierung lohnt. Durch diese Kommunikation wird das Bild der Sanierung als Investition erzeugt und ein Verhalten gefördert, das in den Wirtschaftswissenschaften seit langem bekannt ist: Investitionszurückhaltung aufgrund individueller Risikoaversion. Diese Investitionszurückhaltung ist vor allem bei privaten Immobilieneigentümer:innen zu beobachten und ist nach unseren Erfahrungen vor allem darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Unsicherheit über zukünftige Energiepreise, unklarer politischer Entscheidungen zur CO2-Bepreisung und zu Förderungen das Risiko hoch erscheint, dass sich diese Investitionen zu Lebzeiten nicht lohnen.
Bei den Vermieter:innen kommt die Sorge hinzu, dass Mietpreisbremsen, bürokratische und rechtliche Schwierigkeiten eine angemessene Verzinsung der Sanierungsinvestitionen verhindern könnten. Auch bei Mieter:innen ist nach unserer Erfahrung die Perspektive auf die energetische Sanierung mit der Erwartung von kurzfristiger Warmmietenneutralität falsch und wird durch mediale und politische Darstellungen weiter verzerrt: Mieter:innen schauen in der Regel mehr auf die Kaltmiete als auf die Warmmiete und unterschätzen die damit verbundenen Risiken bei Energiepreissteigerungen, obwohl sie genau dies in den letzten beiden Jahren schmerzlich erfahren mussten.
Notwendiger Perspektivenwechsel: Sanierung als Versicherung
Die Wahrnehmung der Sanierung als Investition beziehungsweise die Fokussierung der Mieter:innen auf die Kaltmiete mit den beschriebenen negativen Folgen für die Investitionszurückhaltung kann jedoch durch eine entsprechende Kommunikation vermieden werden. Nach unseren Erfahrungen unter anderem aus den bundesweiten Quartiersprojekten Stadtquartier 2050 und Open District Hub ist ein Perspektivenwechsel sowohl bei Eigentümer:innen als auch bei Mieter:innen äußerst hilfreich. Dabei kommt es darauf an, die Gegenfrage zu stellen: Haben Sie bei der Vollkaskoversicherung für Ihr Auto schon einmal die Rendite ausgerechnet? Denn offensichtlich ist diese höchstens dann positiv, wenn Sie einen selbstverschuldeten Unfall haben. Und sind Sie unglücklich, wenn das nach ein paar Jahren immer noch nicht der Fall ist?
Wenn die Antworten auf diese Fragen in aller Regel „Nein“ lauten, dann lässt sich dieses Bild auch auf Sanierungen übertragen, denn nichts anderes sind sie: Versicherungen gegen zukünftige Energiepreisrisiken: Sowohl Nutzer:innen im privaten Eigentum als auch Mieter:innen reduzieren Ihr Risiko steigender Nebenkosten. Und bei den Eigentümer:innen kommt noch hinzu, dass sie die Risiken der Vermietbarkeit und des Wertverlustes ihrer Immobilie ebenfalls durch eine energetische Sanierung reduzieren.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Risiko großer Energiepreissteigerungen real ist und sowohl Eigentümer:innen als auch Mieter:innen zum Teil vor existenzielle Herausforderungen stellt – beispielsweise Verlust der Wohnung, Überforderung der finanziellen Möglichkeiten und Verlust eines Altersvorsorgebausteins. Gerade zum Schutz vor solchen existenzbedrohenden Risiken gibt es in vielen Bereichen bereits Versicherungen, die energetische Sanierung wird jedoch unverständlicherweise bisher nicht als solche bezeichnet und kommuniziert.
Die Forschung zeigt, dass dieser Perspektivenwechsel bei energetischen Sanierungen einen erheblichen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten von Hauseigentümer:innen hat. Anstelle der Darstellung der prognostizierten Investitions- und Amortisationskennzahlen kann die Darstellung der zukünftigen Energiekosten beziehungsweise deren Reduzierung durch eine energetische Sanierung die Investitionen in energetische Sanierungen deutlich erhöhen. Insbesondere das Aufzeigen des Versicherungseffektes einer energetischen Sanierung bei Energiepreissteigerungen führt zu einem Umdenken der Hauseigentümer:innen und die oben beschriebene individuelle Risikoaversion erzeugt dann positive statt negative Effekte.
Einfache Kommunikation mit großer Wirkung
Wir verstehen nicht, warum diese einfache Kommunikation weder von der Politik noch von den Förderinstitutionen noch in der medialen Berichterstattung aufgegriffen wird. Der vergangene Sommer hat gezeigt, wie stark der Einfluss von Politik und Presse auf das Entscheidungsverhalten von Hauseigentümer:innen ist und wie Unsicherheiten zu neuen Gesetzen und Förderinstrumenten das Verhalten nachhaltig negativ beeinflussen können.
Durch den Perspektivenwechsel und die damit verbundene Kommunikation, energetische Sanierungen als Versicherung zu bewerben, können Entscheidungen mit geringen Mitteln positiv beeinflusst werden. Zur Steigerung der Sanierungsraten sollten daher zunächst diese „low-hanging fruits“ genutzt und nicht weitere (komplizierte) Förderinstrumente – wie das erneut vorgeschlagene Drittelmodell – entwickelt werden. Dies schont die öffentlichen Haushalte, verringert die Verunsicherung der Hauseigentümer:innen und kann einen Beitrag liefern, um die Sanierungsraten nachhaltig zu steigern. Dafür ist es höchste Zeit!
Visualisierung von Verbrauch verbessert Energiekonsumverhalten
Darüber hinaus zeigt unsere langjährige Erfahrung undForschung, dass die Visualisierung von Energieverbräuchen gepaart mit Handlungsempfehlung für energiesparendem Verhalten das Energiekonsumverhalten der Bewohner:innen verbessert und die Akzeptanz für energetische Sanierungsmaßnahmen steigert. Im Projekt Stadtquartier 2050 wurde dafür eine Quartiers-App für die Bewohner:innen entwickelt. Diese visualisiert feingranular erfasste Energieverbräuche des eigenen Haushalts sowie des gesamten Quartiers in Überlingen und hatte bei den Bewohner:innen positive Resonanz auf das Projekt und für energiesparendes Verhalten ausgelöst.
Es ist wichtig, dass die Bewohner rasches und gut wahrnehmbares Feedback zu Ihrem Verhalten bekommen und nicht erst zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich nicht mehr an die Ursachen für hohen Energieverbrauch erinnern. Man sollte deshalb diese Alternativen zu den bekannten Anreizmechanismen wie finanzieller Förderung der öffentlichen Hand nutzen, um die Sanierungsraten zu steigern und das Nutzerverhalten zu verbessern. Beides gehört zusammen, um nicht nur den Energiebedarf, sondern auch den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu senken.
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Ulrich Buhl und Dr. Jakob Rockstuhl vom FIM/FIT Augsburg arbeiten in der Energieforschung zur klimaneutralen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie haben auch in verschiedenen Quartiersprojekten (Open District Hub, Stadtquartiert 2050) zur Wärmewende geforscht, diese mitgestaltet und beraten hierbei Eigentümer:innen und Mieter:innen. Ihr Fokus liegt dabei auf Investitionsentscheidungen zu energetischen Gebäudesanierungen, auf Nutzerakzeptanz und politischen Förderinstrumenten.