Der Gashahn wird immer weiter zugedreht. Seit dem vergangenen Jahr steigen die Energiepreise kräftig, mit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine ist der Gaspreis noch einmal in die Höhe geschnellt. Mit Ausrufung der Alarmstufe im Notfallplan Gas können Versorger die gestiegenen Kosten kurzfristig auf die Kunden abwälzen, sobald die Bundesnetzagentur die „Preisanpassungsklausel“ aktiviert. Spätestens dann wird die Energiekrise ihrem Namen gerecht.
Schon im ersten Kriegsmonat hat die Energiekostensteigerung die Industrieproduktion in Deutschland um rund ein Prozent gesenkt, und nach Forschungsergebnissen zu Energiepreisschocks stellten sich die vollen ökonomischen Wirkungen in der Vergangenheit erst über einige Quartale ein. In einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung äußern mehr Betriebe, dass es noch zu einer Reduktion ihrer Produktion kommen könnte, als dass es schon passiert sei. Energieintensive Betriebe gehören meist zur Grundstoffindustrie und stehen damit am Anfang von Lieferketten.
Produktionsausfälle haben über Netzwerke also Folgewirkungen auf große Teile der Wirtschaft. Die Lieferengpässe infolge der Corona-Krise, die seit einem Jahr auf der Industrieentwicklung lasten, sind dafür ein augenfälliges Beispiel. Üblicherweise führt das zu Kurzarbeit und treibt die Preise weiter in die Höhe.
Die Industrieproduktion schützen
Wirtschaftspolitische Instrumente sollten deshalb die Fortführung der Produktion unterstützen. Das verhindert, dass es weitere Produktionsausfälle und Kettenreaktionen gibt. Nicht nur den energieintensiven Betrieben, sondern auch deren Abnehmern würde in der Energiekrise womöglich nichts anderes übrigbleiben als der Weg in die öffentlich finanzierte Kurzarbeit. Ausfälle sollen also nicht wie bei Kurzarbeit abgefedert, sondern von vornherein vermieden werden.
Das ist möglich, wenn besonders betroffenen Betrieben Produktionsprämien gewährt werden. So wird Produktion und nicht der Ausfall unterstützt. In der Tat gehören zu den Wirtschaftshilfen im sogenannten Schutzschild der Bundesregierung auch vorübergehende Kostenzuschüsse für energieintensive Betriebe bei starken Energiepreissteigerungen.
Neben der Produktion müssen wir dabei auch die Anreize sichern: Die hohen Energiepreise veranlassen die Verbraucher in der ganzen Breite, Energie zu sparen, die Effizienz zu erhöhen, Innovationen bei Verfahren und Produkten umzusetzen sowie Energieträger umzustellen. Dieser Effekt ist für die Lösung der Energiekrise essenziell und darf nicht konterkariert werden. Deshalb wäre es nicht der richtige Weg, Energiepreise etwa durch Steuersenkungen zu reduzieren.
Keine falschen Anreize setzen
Produktionsprämien können aber anreizkompatibel ausgestaltet werden: Wichtig ist, die Zuschüsse nicht ausschließlich an der aktuellen Verbrauchsmenge zu bemessen. Denn wer für jeden verbrauchten Kubikmeter Subventionen erhält, hat weniger Anreiz, etwas an der Energieverwendung zu ändern. Stattdessen könnte man für die Verbrauchsmenge Maße heranziehen, die der Betrieb nicht (mehr) beeinflussen kann, wie Branchen- oder Vorjahreswerte.
So würde der Preiseffekt des teuren Energieverbrauchs weiterhin wirken. Allerdings wäre es explizit nicht das Ziel, dass der Energieverbrauch durch ein Herunterfahren der Produktion reduziert wird. Die Zuschüsse könnten deshalb zusätzlich an der erreichten Produktion beziehungsweise dem Umsatz im Vergleich zum Vorjahreswert orientiert werden. Laufende Informationen dazu wären zum Beispiel aus Umsatzsteuervoranmeldungen verfügbar. Noch weniger komplex wäre, zumindest den Verzicht auf Personalabbau und Kurzarbeit vorauszusetzen. Auch bei Gasauktionen als Anreiz zur Verbrauchssenkung ist darauf zu achten, dass nicht Lieferausfälle und Kurzarbeit in Betrieben nachgelagerter Produktionsstufen die Folge wären.
Der Ausgleich von Preisdifferenzen würde auch den Ersatz russischen Gases begünstigen, denn Alternativen sind meist teurer. Produktionsprämien stärken zudem die Finanzierungsfähigkeit der betroffenen Betriebe für dringend notwendige Investitionen in Dekarbonisierung. Werden die Zahlungen als Betriebseinnahmen behandelt, würde ein Teil über Steuern an den Staat zurückfließen, falls Gewinn gemacht wird. Netto differenzieren sich die Hilfen also automatisch danach, wie stark Betriebe in Bedrängnis sind – besonders, wenn auf die Zuschüsse ein höherer Steuersatz angewendet wird. So ließen sich die Zuschüsse vereinfachen und zusätzliche frühzeitige Prüfungen der Gewinnlage vermeiden.
Ein solches Instrument ist besonders wertvoll, wenn sich die Energiekrise noch weiter verschärft. Das teilweise Öl-Embargo der EU und die aktuelle Absenkung der Liefermenge durch Nord Stream 1 sind bereits Schritte in diese Richtung. Auch bei einem vollständigen Gas-Lieferausfall aus Russland gäbe es weitere starke Energiepreissteigerungen, der Kohle- und Ölbedarf und der überwiegende Teil des Gasbedarf könnten aber anderweitig gedeckt werden.
In diesem Szenario ginge es darum, die industrielle Basis in Deutschland und Europa zu sichern. Nötigenfalls sollten daher die Kostenzuschüsse moderat über den bisher eng definierten Kreis sehr energieintensiver Unternehmen ausgeweitet und über September hinaus verlängert werden. Bei einer Ausweitung könnte als zusätzliches Kriterium der Grad der Verflechtung herangezogen werden, beispielsweise ein Mindestanteil der Produktion beziehungsweise Leistungen, der an andere Unternehmen geliefert wird.
Transformationsentscheidungen unterstützen
Im Übrigen ist die Idee von Kostenzuschüssen, die von der aktuellen Verbrauchsmenge abgekoppelt sind, genauso für Haushalte relevant. Das Konzept eines Klimageldes folgt diesem Prinzip, wie auch die Energiepauschale im zweiten Entlastungpaket der Bundesregierung. Im Hinblick die Alarmstufe im Notfallplan Gas könnten kurzfristig weitere entsprechende Entlastungen eingeplant werden. Das würde auch die soziale Unwucht der Energiekostensteigerungen mildern, die durch Bonuszahlungen fürs Energiesparen noch vergrößert würde, denn in einkommensschwachen Haushalten gibt es nicht viel überflüssigen Verbrauch einzusparen.
Produktionsprämien sichern also sowohl die industrielle Kapazität als auch Anreize zur Transformation. Beide Funktionen müssen durch weitere Instrumente gestärkt werden. Im Falle eines Gas-Lieferausfalls gehören dazu erweiterte Kurzarbeit und Überbrückungshilfen für rationierte Betriebe und im Extremfall eine umfassende Möglichkeit von Rekapitalisierungen im Sinne des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF).
Und jetzt sofort geht es um Anreize und Hilfen für Investitionen in Dekarbonisierung, Energieeffizienz sowie Umstellung von Energieträgern und Vorprodukten. Diese sind wichtig, da derartige Investitionsentscheidungen mit Blick über die aktuelle geopolitische Anspannung und die derzeit hohen Energiepreise hinaus getroffen werden. Die Förderung sollte deshalb bereits jetzt intensiviert und vereinfacht werden, aber offen und im Sinne der klimapolitisch notwendigen Transformation gestaltet, um das Produktions- und Energiesystem zu diversifizieren und einseitige Festlegungen zu vermeiden. Denn die ökologische Transformation wird uns länger begleiten als Diskussionen um einen Lieferstopp.
Professor Enzo Weber ist Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und
gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung. Das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für
Arbeit.