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Energie & Klima

Standpunkte Nach dem BVerfG-Urteil: Moderne öffentliche Haushalte statt Schuldenstreit von gestern

Diether Schönfelder, Senatsdirektor, Hamburg
Diether Schönfelder, Senatsdirektor, Hamburg Foto: Diether Schönfelder

Das Verfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds und der anschließende schon fast rituelle Streit über die Schuldenbremse zeigt ein Dilemma: Das traditionelle öffentliche Haushaltswesen wird den Herausforderungen einer Zukunftsfinanzierung nicht gerecht. Welche Lösungen bieten sich an? Moderne kaufmännische Haushalte im Bund und allen Ländern einführen, schlägt der Hamburger Senatsdirektor Diether Schönfelder in seinem Standpunkt vor.

von Diether Schönfelder

veröffentlicht am 24.11.2023

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Das Urteil des BVerfG zum Klima- und Transformationsfonds und zum Nachtragshaushalt des Bundes 2021 ist überzeugend begründet. Das Gericht hat damit klargestellt, was nicht geht: die nachträgliche Umwidmung für andere Zwecke in einem anderen Jahr bereitgestellter Haushaltsmittel auf dem kurzen Nachtragshaushaltsdienstweg des Bundestages.

Was aber geht dann? Eine nachhaltige Finanzierung der Anpassungsschritte, die Deutschland jetzt braucht, verlangt ebenso nachhaltige Haushaltskonzepte. Das Aussetzen der Schuldenbremse, wie von Teilen der Regierungsparteien überlegt, ist keine Antwort auf die Frage, wie wir künftigen Generationen keine ausgezehrten Finanzen hinterlassen. Aber auch die regierungsexterne wie -interne Opposition hat jenseits unkonkreter Sparaufrufe keine besseren Konzepte vorgelegt und läuft Gefahr, künftigen Generationen ausgezehrte Infrastrukturen zu hinterlassen.

Wir werden also aus dem Dilemma der Zukunftsfinanzierung in den Schlachten von gestern nicht herauskommen. Weil eine Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der bisherigen Schuldenbremse nicht in Sicht ist, aber vor allem, weil es bisher an rationalen Kriterien dafür fehlt, wofür und in welchem Ausmaß staatliche Kreditaufnahmen möglich, sinnvoll und wirtschaftlich sind.

Im bisherigen Haushaltsrecht gibt es dafür zwar Werkzeuge wie zum Beispiel die vom Bundestag zu beschließende Übertragbarkeit von Mitteln, mehrjährig wirkende Verpflichtungs­ermächtigungen und sogar eine notlagenbedingte Kreditaufnahme über die Schuldenbremse hinaus, die mit entsprechend überzeugender Begründung vom Haushalts­gesetzgeber beschlossen werden könnte.

Ein grundlegendes Problem bleibt aber. Die hergebrachte („kamerale“) Haushaltswirtschaft, auf der auch die Schuldenbremse aufsetzt, hat als einfache Buchführung mit Einnahmen- und Ausgabenrechnung primär Zahlungsflüsse und Haushaltsliquidität im Blick. Sie bezieht aber weder eine Betrachtung des öffentlichen Vermögens noch künftige Chancen und Risiken ein.

An den Spätzle sparen und das Haus verwittern lassen?

Angewandt auf die zur Schuldenbremse vielzitierte schwäbische Hausfrau: wenn sie so wirtschaften würde, rationierte sie in knappen Zeiten die wöchentlichen Spätzle mit Soß‘, achtete aber weder auf die positive (und beleihbare) Wertentwicklung des vorhandenen kleinen Häuschens noch auf die Kosten der in zwei Jahren noch teureren Erneuerung des verwitterten Außenputzes. Und schon gar nicht darauf, dass sich ein Investment in eine Solaranlage mit Stromspeicher und Wärmepumpe mit einer Amortisationszeit von unter zehn Jahren rechnen könnte.

Würden Bund und Länder anders als auf diese Weise nachhaltig rechnen, müssten sie ihr Haushaltssystem endlich neu kaufmännisch („doppisch“) ausrichten und die Schwächen des heutigen Systems durch eine transparente Ausweisung von Vermögen und Zukunftslasten wie -chancen, Abschreibungen und Rückstellungen überwinden. An die Stelle der heutigen Kapitel und Titel würden eine nach Produktbereichen gegliederte und durch Ziele und Kennzahlen flankierte Ergebnisrechnung (Erträge abzüglich Aufwendungen = Ressourcen­verbrauch) und eine Bilanz (Vermögen des aktuellen Jahres im Vergleich zum entsprechenden Vermögen des Vorjahres) treten.

Kaufmännische Haushalte für Transparenz und Generationengerechtigkeit

Damit bestünde die Chance auf mehr Transparenz über die finanzielle Lage durch zusätzliche und aktuellere Informationen, auf mehr Generationengerechtigkeit (damit die Staatsverschuldung nicht stärker als der Vermögenszuwachs wächst) und auf eine bessere Steuerung durch Politik und Verwaltung mit klaren Zielen und messbaren Kennzahlen. Nach solchen Grundsätzen würden wie heute schon der Privatwirtschaft, wo „Fremdkapital oder Eigenkapital“ keine rechtliche oder ideologische Grundsatzfrage ist, sondern eine pragmatische Rechenaufgabe, auch Zukunfts­investitionen dann möglich, wenn sie sich rechnen, das heißt ihre Abschreibungen verdienen und/oder berechenbar dazu beitragen, künftigen Vermögensverzehr zu vermeiden.

Die schwäbischen Hausfrauen und -männer in den meisten Bundes- und Länderparlamenten brauchen dafür auch kein Turbo-Studium in Betriebswirtschaft, sondern könnten schon lange existierende und praxiserprobte Konzepte nutzen. Das Rechnungswesen in den meisten deutschen Kommunen wird längst doppisch geführt. Auf europäischer Ebene gibt es mit EPSAS seit 2018 einen etablierten Standard für das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen. Und Hamburg wendet mit der strategischen Neuausrichtung seines Haushaltswesens seit 2015 flächendeckend die Grundsätze kaufmännischer Haushaltsführung abgesichert durch ein komplett neu gestaltetes kaufmännisches Haushaltsrecht in der Praxis an und berücksichtigt im Landeshaushalt sowohl das öffentliche Vermögen als auch die bilanzierbaren Zukunftslasten.

Das alles wäre kein simpler Weg. Aber einer, der nicht rückwärtsgewandt danach sucht, ob nun die Schuldenbremse oder der falsche Umgang mit ihr „schuld“ an dem Urteil des BVerfG ist. Ein Weg, der das Urteil und seine Folgen dazu nutzt, das öffentliche Haushaltswesen auch in Bund und allen Ländern endlich in einem parteiübergreifenden Prozess grundlegend zu modernisieren. Kriterium guten Haushaltens wäre dann nicht mehr eine abstrakte zahlungsorientierte Schuldenquote, sondern die konkret gemessene Entwicklung des öffentlichen Vermögens.

Sind schwäbische Konzerne bessere Vorbilder als schwäbische Hausfrauen?

Wenn sich der haushaltende Staat damit so verhielte wie ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen, wäre viel gewonnen. Denn – so ebenfalls das Bundesverfassungsgericht – auch mangelnder Klimaschutz schränkt die Freiheit künftiger Generationen tiefgreifend ein. Notwendige Maßnahmen zu unterlassen, weil wir unseren Kindern keine Schulden hinterlassen wollen, darf also nicht dazu führen, dass wir ihnen keine nachhaltigen öffentlichen Infrastrukturen hinterlassen. Insofern ist für die Haushalte von Bund und Ländern wahrscheinlich ein auch mit Fremdkapital entschlossen in Elektromobilität investierender schwäbische Konzern das bessere Vorbild als eine schwäbische Hausfrau, die weniger Flädle in die Suppe tut.

Diether Schönfelder leitet als Senatsdirektor das Amt für Administration und Recht in der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende der Freien und Hansestadt Hamburg. Als gelernter Jurist hat er Erfahrung mit Ressourcenmanagement, Personal, Organisation und Digitalisierung in mehreren Hamburger Behörden und war 2005/2006 Leiter des Projekts „NHH“ zur Einführung eines kaufmännischen Haushaltswesens in Hamburg. Dieser Standpunkt ist sein privater Meinungsbeitrag.

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