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Energie & Klima

Standpunkte Warum Zukunftsinvestitionen eine Expert:innenkommission brauchen

Simon Wolf und Kai Bergmann, Germanwatch
Simon Wolf und Kai Bergmann, Germanwatch Foto: Germanwatch

Wenn der Haushalt 2024 endlich in trockenen Tüchern ist, muss die Diskussion um die langfristige Finanzierung von Klimaschutz und anderen gesellschaftlichen Herausforderungen beginnen. Es sollte die Aufgabe einer neu einzusetzenden Expert:innenkommission sein, die Debatte um dringend notwendige Zukunftsinvestitionen zu versachlichen. Simon Wolf und Kai Bergmann von Germanwatch machen Vorschläge für eine Reformagenda.

von Simon Wolf und Kai Bergmann

veröffentlicht am 16.01.2024

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Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November bewegt der Haushaltsstreit die Gemüter der Republik. Wenn alles nach Plan läuft, wird der Bundestag Ende Januar den Haushalt verabschieden und kurze Zeit später auch der Bundesrat zustimmen. Der jetzt auf dem Tisch liegende Vorschlag, auf den sich Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner geeinigt haben, ist nur eine Minimallösung mit vielen Schönheitsfehlern.

Wichtiger als weitere Nachbesserungen ist jetzt aber, den Haushalt für 2024 möglichst bald in trockene Tücher zu bekommen – um dann schnellstmöglich in die wesentlich substanziellere Diskussion einzusteigen, wie die Finanzierung der Klimaschutztransformation und weiterer Zukunftsaufgaben mittel- und langfristig gelingen kann. Diese Diskussion muss sachlicher und faktenbasierter geführt werden als die Auseinandersetzung um den Haushalt 2024. Die Bundesregierung sollte daher die Einsetzung einer Expert:innenkommission erwägen, die sich eingehend mit den vielen derzeit kursierenden Vorschlägen für die Absicherung von Zukunftsinvestitionen beschäftigt.

Seit Einführung der Schuldenbremse waren sich nie so viele Expert:innen zumindest in einem Punkt einig: Die derzeitigen Schuldenregeln machen eine angemessene Reaktion auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit unmöglich. Zahlreiche Ökonomen haben sich in den vergangenen Wochen in diese Richtung geäußert, von der Vorsitzenden der „Wirtschaftsweisen“ über den Chef des arbeitgebernahen IW Köln bis zum gewerkschaftsnahen IMK. Auch aus der Politik gibt es zunehmend parteiübergreifend Stimmen auf Bundes- und Landesebene, die eine Neuregelung fordern, unterstützt von Wirtschaftsakteuren, Sozial- und Umweltverbänden.

Nicht nur der Investitions- und Finanzierungsbedarf für die Klimaschutztransformation ist in den kommenden Jahren riesig. Auch bei den öffentlichen Infrastrukturen, bei Schulen, Digitalisierung sowie in den Kommunalhaushalten türmt sich ein riesiger Investitionsstau auf, der sich nach den Regeln der Schuldenbremse nicht auflösen lassen wird. Dadurch droht Deutschland in vielen Bereichen weiter ins Hintertreffen zu geraten. Der öffentliche Finanzierungsbedarf ist so groß, dass er sich nicht durch Haushaltsdisziplin zusammensparen lässt – oder nur um den Preis, die Zukunftsfähigkeit zu untergraben und die Axt an den Sozialstaat zu legen.

Gerade private Investitionen brauchen Planungssicherheit

Eine nachhaltige Antwort kann nicht darin bestehen, regelmäßig einen Notstand auszurufen und die Finanzierung jeweils kurzfristig zu sichern. Bei der Finanzierung etwa von Klimaschutz, Bildung oder Gesundheitswesen geht es um mittel- bis langfristige Herausforderungen mit entsprechend langfristigen Planungshorizonten. Verlässlichkeit ist gefragt.

Das gilt auch und insbesondere dort, wo es um private Investitionen geht. Diese müssen zwar eindeutig den Löwenanteil der Transformationsfinanzierung ausmachen, werden aber in den kommenden Jahren in vielen Fällen von einer öffentlichen Ko-Finanzierung oder Absicherung abhängen – bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktionsverfahren in der Industrie genauso wie bei den Investitionen privater Haushalte in neue Heizungen und die energetische Sanierung. Auch die zunehmenden Naturkatastrophen wie jüngst das Hochwasser in Niedersachsen zeigen die Grenzen einer Finanzpolitik diktiert von der Schuldenbremse auf. Sie erlaubt zwar Notlagenbeschlüsse zur Behebung der Schäden, erschwert aber die Vorsorge, mit der die Belastungen für die Haushalte deutlich reduziert würden. Diese Zukunftsinvestitionen zu unterlassen, macht schon allein finanzpolitisch keinen Sinn.

Daraus folgt zweierlei: Zum einen muss Finanzpolitik wesentlich besser darin werden, mit öffentlichen Geldern private Investitionen zu hebeln und innovative Geschäftsmodelle zu fördern, wo dies sinnvoll ist. Dazu gehört auch, Förderprogramme stärker an realen Bedarfen auszurichten. Zum anderen müssen wir Wege finden, öffentliche Transformationsfinanzierung langfristig und im ausreichenden Umfang sicherzustellen. Mit minimalinvasiven Anpassungen der Schuldenbremse, wie die von Christian Lindner vorgeschlagene Bereinigung der Berechnungsgrundlagen, wird es nicht getan sein.

Breit aufgestellte Kommission kann Lösungen erarbeiten

Um eine solche Reform vorzubereiten, sollte die Bundesregierung die Einsetzung einer breit aufgestellten Expert:innenkommission erwägen – mit Ökonom:innen, Vertreter:innen aus Parteien, Wirtschaft, Gewerkschaften, sowie Umwelt- und Sozialverbänden. Diese sollte nicht in erster Linie politische Positionen aushandeln, sondern die verschiedenen Reform-Möglichkeiten fundiert bewerten. Dazu sollte sie drei Kriterien zurate ziehen:

Erstens die Art und Weise, in der eine umfangreichere und längerfristige Finanzierung der Transformation ermöglicht wird. Im Raum stehen dabei im Wesentlichen zwei Vorschläge, die sich auch ergänzen könnten und jeweils eine Grundgesetzänderung benötigen würden: Die Einrichtung eines Transformationsvermögens, analog zum Sondervermögen der Bundeswehr. Die Alternative ist die die Abschaffung beziehungsweise Reform der Schuldenbremse. Dafür werden eine ganze Reihe von Reformoptionen diskutiert. Die vorgeschlagene Kommission sollte die Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorschläge herausarbeiten und dabei die positive Wirkung auf private Investitionen mitbetrachten.

Die Überlegungen sollten zweitens über die derzeit in der Diskussion befindlichen Vorschläge hinausgehen und strukturelle Anpassungen in Erwägungen ziehen, die zur Finanzierung der Transformation beitragen. Die konsequente Anwendung des „Green Budgeting“-Ansatzes oder eine an den Klimazielen ausgerichtete öffentliche Beschaffung können genauso dazu gehören wie die sozialverträgliche Streichung fossiler Subventionen oder eine sozial gerechte Erweiterung der Steuerbasis – etwa auf Finanzmarkteinkommen.

Drittens sollte das Expert:innengremium eine umfassende Betrachtung vornehmen in dem Sinne, dass Investitionsbedarfe nicht gegen andere gesellschaftliche Ziele ausgespielt werden. Die Finanzierung der Transformation und Sozialausgaben werden gleichermaßen Auswirkungen auf den Umfang des Haushalts haben. Diese Ziele müssen gleichrangig behandelt werden – das eine darf nicht mit Schlagwörtern wie „Staatsquote“ dem anderen geopfert werden. Auch das versprochene Klimageld und Zukunftsinvestitionen dürfen nicht gegeneinander gestellt werden, wie dies Finanzminister Christian Lindner am Wochenende tat.

Mit in den Überlegungen berücksichtigt werden sollte auch, wie die Mittel für die internationale Klimafinanzierung auf eine langfristig stabile Grundlage gestellt werden können. Der faire deutsche Beitrag zum Erreichen des 1,5-Grad-Pfads und für die Resilienz der besonders verletzlichen Menschen und Staaten muss sich aus nationalen und internationalen Maßnahmen zusammensetzen. Die Industrieländer müssen entsprechend ihrer historischen Verantwortung für die Klimakrise dazu beitragen.

Nur so kann es gelingen, dass auch die Öl-, Gas- und die reicheren Schwellenländer ihren Teil zur Finanzierung beitragen. Deutschland ist, was die Klimafinanzierung angeht, bisher mit gutem Beispiel vorangegangen und hat damit viele andere Staaten animiert, mitzuziehen. Es wäre fatal für Klimaschutz und Resilienz weltweit, wenn diese Lokomotive durch die Schuldenbremse ausgebremst würde – ausgerechnet im für die Klimafinanzierung so wichtigen Jahr 2024.

Simon Wolf ist Bereichsleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik der NGO Germanwatch. Kai Bergmann arbeitet dort als Referent für deutsche Klimapolitik.

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