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Energie & Klima

Standpunkte Weniger Sonntagsreden bei der Klimaschutzverordnung

Nils Meyer-Ohlendorf, Head International and European Governance, Ecologic Institute
Nils Meyer-Ohlendorf, Head International and European Governance, Ecologic Institute

Der Umweltausschusses des Europäischen Parlaments hat seine Reformvorschläge für die EU-Klimaschutzverordnung vorgelegt. Diese enthalten wichtige Verbesserungen, sind aber insgesamt enttäuschend, meint Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institut.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 23.05.2022

aktualisiert am 29.12.2022

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Die Notwendigkeit eines raschen Umstiegs auf saubere Energie sei noch nie größer und klarer gewesen als heute, schreibt die EU Kommission in ihrer „RePower EU“-Mitteilung. Der russische Überfall auf die Ukraine mache eine schnellere Dekarbonisierung erforderlich.

Sind dies Sonntagsreden oder Leitlinien für den klimapolitischen Alltag der EU? Ein wichtiger Praxistest ist dafür die Überarbeitung der EU-Klimaschutzverordnung – alias Lastenverteilungsverordnung (Background berichtete). Sie regelt 60 Prozent der Emissionen der EU und ist damit eines ihrer wichtigsten klimapolitischen Instrumente. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat vergangenen Montag seine Position zur Reform der Klimaschutzverordnung angenommen. Damit hat er wichtige Weichen für das weitere Gesetzgebungsverfahren gestellt. Doch hat er die Weichen in die richtige Richtung gestellt?

Anerkennung von Biokraftstoffen 

Vorab sei gesagt: Es gibt zwei große Verbesserungen: Zum einen sollen Umweltverbände und andere Teile der sogenannten interessierten Öffentlichkeit das Recht erhalten, Mitgliedstaaten vor nationalen Gerichten zu verklagen, wenn diese ihre Reduktionsziele verfehlen. Dieser Reformvorschlag hat großes Potential. Denn in vielen Mitgliedsstaaten sind Gerichtsverfahren wegen der Verfehlung nationaler Ziele bisher nicht möglich.

Zum anderen sollen Emissionen aus dem Verbrennen von Biokraftstoffen für die Zielerreichung künftig vollständig angerechnet werden – vorausgesetzt, sie erfüllen die Nachhaltigkeitskriterien der Erneuerbaren Richtlinie. Auch das ist eine wichtige Verbesserung. Denn in der Gesamtbilanz sind Emissionen aus Biokraftstoffen nur theoretisch klimaneutral, in der Praxis verursachen sie oft erhebliche Emissionen. Ihre Produktion belastet Biodiversität, Böden und Wasser.

Auch die Pflicht der Kommission, Legislativvorschläge für Reduktionsziele für die Landwirtschaft bis zum Juli 2023 vorzulegen, ist ein weiter, richtiger Schritt. Andere Verbesserungen stehen im Kleingedruckten. Künftig müssen Mitgliedsstaaten bei Zielverfehlung nicht nur Aktionspläne vorlegen, sondern auch ihre Klima- und Energiepläne sowie ihre Langfriststrategien überarbeiten. Sie müssen zudem öffentlich begründen, wenn sie bei der Überarbeitung dieser Pläne von den Empfehlungen der Kommission abweichen.

Schlupflöcher bleiben bestehen

Ansonsten ist das Ergebnis der Verhandlungen im Umweltausschusses allerdings enttäuschend. Wichtige Stellschrauben für eine schnellere Dekarbonisierung hat der Umweltausschuss nicht gedreht – obwohl sie auf dem Verhandlungstisch lagen.

Die EU-Klimapolitik hat viele Spieler, aber kein Spieler ist so wichtig wie die Mitgliedstaaten. Sie sind Gesetzgeber und Gesetzesumsetzer. Ohne sie ist Klimaschutz unmöglich. Aus dieser herausgehobenen Stellung folgt, dass Mitgliedstaaten auf transparente und politisch wirksame Weise verantwortlich und rechenschaftspflichtig für ihre klimapolitische Fort- und Rückschritte sein müssen. Für eine wirksame Rechenschaftspflicht sind rechtlich verbindliche Reduktionsziele für Mitgliedstaaten das beste Mittel.

Die Klimaschutzverordnung leistet genau das. Sie setzt Mitgliedsstaaten rechtlich verbindliche Reduktionsziele bis 2030. Aber es ist unklar, ob sie auch nach 2030 Reduktionsziele enthalten wird. Denn nach dem Umweltausschuss gibt es keine Pflicht für die Kommission, nationale Ziele für die Zeit nach 2030 vorzuschlagen. Nach Annahme des neuen 2040-Ziels ist die Kommission nur verpflichtet, Vorschläge zur Reduktion der erfassten Emissionen zu machen. Diese Vorschläge können nationale Ziele nach 2030 beinhalten, müssen es aber nicht.

Während der Verhandlungen gab es viele Vorschläge, nach denen die Kommission einen Legislativvorschlag für die Verteilung des neuen 2040 Zieles der EU auf die Mitgliedstaaten hätte machen müssen. Diese Vorschläge hatten breite Unterstützung, wurden aber am Ende nicht angenommen. Ebenso wenig wie der Vorschlag, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, Klimaneutralitätsziele in ihre Langfriststrategien aufzunehmen.

Eine andere wesentliche Aufgabe der Klimaschutzverordnung ist es, ein Budget für die von ihr erfassten Emissionen festzulegen. Auch hier hat die Einigung im Umweltausschuss Defizite. Schlupflöcher blieben erhalten, wie etwa die sogenannte Sicherheitsreserve oder die ETS-Flexibilität. Die LULUCF-Flexibilität (Emissionen aus dem Landsektor) bleibt bestehen, obwohl sie eine problematische Gleichsetzung von Reduktionen und CO2 Entnahme enthält. Allerdings hat der Umweltausschuss einen Vorschlag der Kommission für eine weitere LULUCF-Flexibilität abgelehnt.

Noch wichtiger ist, dass der Umweltausschuss bei der Festlegung des Reduktionspfades eine weniger ambitionierte Variante gewählt hat, als möglich gewesen wäre. Anstatt den Durchschnitt der niedrigen Emissionen in den Jahre 2018 – 2020 als Ausgangspunkt des Reduktionspfades zu nehmen, wurde die höheren Durchschnittsemissionen der Jahre 2016-2018 zugrunde gelegt. Mit dieser Variante erhöht sich das Emissionsbudget erheblich – angesichts des sehr kleinen und schnell schmelzenden Restbudgets der EU ein großes Problem. Um mehr Transparenz zu schaffen, hätte der Umweltausschuss zudem das Gesamtemissionsbudget bis 2030 in der Verordnung quantifizieren sollen.

Falsches Framing der Klimaschutzverordnung

Schließlich hat es der Umweltausschuss ebenfalls versäumt, eine Skurrilität der EU-Klimaschutzpolitik zu beenden. Obwohl die geltende Klimaschutzverordnung an keiner Stelle den Begriff „Effort Sharing“ oder „Lastenteilung“ verwendet, heißt sie bei EU-Institutionen oder Umweltverbände so. Dies ist kein Lapsus, sondern eine wichtige Frage des Framings. Begriffe wie „Effort Sharing“ oder „Lastenteilung“ sind inhaltlich schief und für die Öffentlichkeit unverständlich. Sie verdecken den Zweck der Verordnung: Klimaschutz. Der Umweltausschuss hätte als offizielle Kurzfassung den Namen „Klimaschutzverordnung“ annehmen sollen. Dieser Vorschlag lag auf dem Verhandlungstisch.

Insgesamt klingt der Kompromiss im Umweltausschuss noch viel zu viel nach Sonntagsreden. Eine Schippe Ambition drauflegen ließe sich noch im Plenum des Parlaments und im folgenden Trilog mit dem Rat – damit die Klimaschutzverordnung fit für den klimapolitischen Alltag der EU wird.

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