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Sustainable Finance

Standpunkte Die Sozialwirtschaft – ein weißer Fleck!?

Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas
Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas Foto: BKC

Der Fokus auf Real- und Finanzwirtschaft auf der Sustainable-Finance-Landkarte greift zu kurz, meint Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas eG. Die Sozialwirtschaft sei ein weiterer ökonomischer Pfeiler. Doch sie habe Nachhaltigkeitsanforderungen bislang nicht genug im Blick.

von Helge Wulsdorf

veröffentlicht am 22.09.2022

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Geht es um Sustainable Finance, richtet sich der Blick schnell und fast ausschließlich auf das Zusammenspiel von Real- und Finanzwirtschaft. Es verwundert, dass die Sozialwirtschaft in der Nachhaltigkeitsdiskussion, wenn überhaupt, nur ein Nebenschauplatz ist. Das muss sich ändern, ist sie doch mit Millionen von Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber in Deutschland und zudem ein nicht zu vernachlässigender CO2-Emittent.

Schließlich unterhält der Großteil der Sozialwirtschaft Gebäude wie Krankenhäuser, Altenhilfeeinrichtungen, Kindergärten, Schulen, Werkstätten oder Heime. Beispielsweise wollen der Deutsche Caritasverband mit seinen rund 25.000 Einrichtungen im Jahr 2030 und die Diakonie Deutschland mit ihren 5.000 Unternehmen bis 2035 klimaneutral sein.

Hochwertige Daten für Geldgeber unerlässlich

Für solch ambitionierte Ziele braucht es Klimadaten, die seitens der Einrichtungen und Unternehmen bislang zumindest in der erforderlichen Quantität und Qualität nicht vorliegen. Die Klima- und Umweltdaten sind aber nicht nur für den Kurs der Klimaneutralität innerhalb der Sozialwirtschaft relevant, sie interessieren auch und vor allem deren Finanzierer, wozu speziell für den konfessionsgebundenen Bereich die Kirchenbanken zählen.

Die Regulatorik verlangt, dass Finanzinstitute zukünftig ihre Nachhaltigkeits- und Klimarisiken ausweisen und bewerten müssen. Speziell die Finanzaufsicht macht es sich zur Aufgabe, finanzielle Risiken, die sich durch Klima- und Nachhaltigkeitsindikatoren ergeben, genau unter die Lupe zu nehmen. Neben den finanzierten Emissionen bei den Geldanlagen rücken damit gleichermaßen die bei den Kreditvergaben ins Blickfeld von Sustainable Finance – so auch die in der Sozialwirtschaft.

Aufsicht verlangt Berichterstattung von Banken

Das Merkblatt der Finanzaufsicht Bafin zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken konzentriert sich bereits seit 2019 auf diejenigen physischen und transitorischen Risiken, die zunehmend Wirkung entfalten werden und die von den zu beaufsichtigenden Unternehmen im Rahmen ihres Risikocontrollings zu steuern sind. Die Aufsicht gibt damit die Stoßrichtung vor und hat sich dabei besonders die Vermeidung von Greenwashing auf die Fahnen geschrieben. Die Banken stehen daher in der Pflicht, über Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken zu berichten.

Somit muss das Zusammenspiel zwischen Sozial- und Finanzwirtschaft zunehmend ins Blickfeld von Sustainable Finance rücken. Banken, die die Sozialwirtschaft finanzieren, werden nicht umhinkommen, klima- und nachhaltigkeitsrelevante Risiken in ihren Kreditvergabeprozessen als zusätzliche Entscheidungsgrundlage zu integrieren. Besonders ambitionierte Bankhäuser werden bei ihren nachhaltigen Kreditstrategien nicht nur Nachhaltigkeitsrisiken bewerten, sondern auch die sozial-ökologischen Wirkungen von Kreditvorhaben. Sie werden Bonus-/Malus-Systeme implementieren. Das heißt, die Kreditkonditionen werden mit abhängig gemacht von den Nachhaltigkeitsrisiken und -wirkungen des Kreditprojekts.

Kreditkonditionen an Risiken und Wirkungen ausrichten

Sustainable Finance fordert neben der Finanzwirtschaft gleichermaßen die Sozialwirtschaft heraus, da letztgenannte ihre Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken wird ermitteln und mit ihren Finanzierungspartnern wird teilen müssen. Die Sozialwirtschaft ist zwar zumeist gemeinnützig. Das ist aber nicht damit gleichzusetzen, dass sie per se nachhaltig ist und zwangsläufig ihren Diensten in sozial-ökologischer Weise nachgeht.

Die noch ausstehende Diskussion über die soziale Taxonomie der EU wird zeigen, ob und inwieweit Investitionen in die Tätigkeitsfelder der Sozialwirtschaft als nachhaltig eingestuft werden. Es wächst inzwischen das Bewusstsein dafür, dass der Kelch der Nachhaltigkeitsregulatorik an der Sozialwirtschaft nicht vorbeigehen darf und wird. Die von der EU auf den Weg gebrachte Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) ist ein Beispiel dafür. Größere, mitarbeiter- und umsatzstärkere sozialwirtschaftliche Einrichtungen und Unternehmen werden zukünftig CSRD-pflichtig, da die außerfinanzielle Berichterstattung fortan auf nicht kapitalmarktorientierte Organisationen erweitert wird.

Sozialwirtschaft muss Strategien entwickeln und transparent berichten

Eine Reaktion auf diese Entwicklung ist der demnächst erscheinende DNK-Leitfaden des Deutschen Nachhaltigkeitskodex für die freie Wohlfahrtpflege. Er ist ein wichtiges Hilfsmittel, mit dem sich die Verantwortlichen in Caritas, Diakonie und Sozialwirtschaft dem Thema nähern können und die Möglichkeit haben, die entscheidenden Daten systematisch zu erfassen und offen zu legen.

Ziel des Leitfadens ist es, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und dazu eine standardisierte Berichterstattung gemäß DNK aufzubauen. Dies gebietet die Übernahme von Verantwortung für Mensch, Gesellschaft und Umwelt als ureigener Auftrag der Sozialwirtschaft. Mit dem Kodex soll Transparenz geschaffen werden für deren Anspruchsgruppen, zu denen unter anderen deren Geldgeber zählen.

Es zeigt sich somit, dass die Sozialwirtschaft eine nicht zu unterschätzende Sustainable-Finance-Akteurin ist. Schließlich leistet sie wesentliche Transformationsbeiträge zu einer zukunftsgerechteren Welt. Aus einer glaubhaften ökologischen Nachhaltigkeitsstrategie ergeben sich Chancen für Einrichtungen und Unternehmen der Sozialwirtschaft. Diese sind allerdings nicht nur mit Blick auf Sustainable Finance zu entfalten und zu heben. Gleiches gilt auch für soziale Nachhaltigkeitsindikatoren, die gerade für die Profilbildung dieser Akteure zentral sind.

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