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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Bevölkerung verliert Vertrauen in Gesundheitspolitik

Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung
Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung Foto: Robert Bosch Stiftung, Gene Glover

Das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Gesundheitspolitik, eine qualitative und bezahlbare Versorgung sicherzustellen, sinkt Umfragen der Robert Bosch Stiftung zufolge seit Jahren. Dabei ist die Politik bei der Neuausrichtung der Primärversorgung prinzipiell auf dem richtigen Pfad, schreibt Bernhard Straub, Geschäftsführer der Stiftung im Standpunkt. Ein Aspekt, der jedoch immer wieder aus dem Blick gerate, sei die Prävention – trotz beachtlicher Hebelwirkung.

von Bernhard Straub

veröffentlicht am 27.03.2023

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Die Zahlen sind alarmierend. In der Bevölkerung herrscht immer weniger Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, für eine hochwertige und zugleich bezahlbare Gesundheitsversorgung zu sorgen. Liegt es am fehlenden Gespür der Politik für die Bedürfnisse der Menschen oder daran, dass Vorhaben zu langsam und unentschlossen umgesetzt werden? Beim Thema Digitalisierung zumindest scheint Letzteres der Fall zu sein. Die Umfrage, die morgen veröffentlicht wird, belegt zum wiederholten Mal, dass sich die große Mehrheit der Bürger:innen wünscht, die Möglichkeiten der Digitalisierung auch im Gesundheitsbereich stärker zu nutzen. Anders als es in der Vergangenheit von einzelnen Interessengruppen suggeriert wurde, umfasst diese Bereitschaft auch das Teilen gesundheitsrelevanter Daten, um die eigene Versorgung zu verbessern und die Versorgungsforschung zu unterstützen. 

Nun hat endlich auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung für das Gesundheitswesen vorgestellt. Vor wenigen Tagen folgte dann die Ankündigung, dass die digitale Patientenakte bis Ende nächsten Jahres flächendeckend eingeführt werden soll. Das ist zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass diesen Worten Taten folgen, denn die Umsetzung ist überfällig.

Wunsch nach wohnortnaher Versorgung und persönlicher Beratung

Digitalisierung kann aber nicht alle Probleme lösen. Die Umfrage belegt, dass der direkte Kontakt mit medizinisch ausgebildetem Fachpersonal für Patient:innen weiterhin zentral bleibt. Wichtig ist den Menschen, medizinische Anlaufstellen in ihrer Nähe zu haben, kurzfristig Termine zu bekommen und mehr Zeit von Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräften, zum Beispiel für die gemeinsame Entscheidungsfindung. Insbesondere chronisch kranke Patient:innen, Menschen in kleinen und mittleren Städten (bis 100.000 Einwohner:innen) und über 60-Jährige messen diesen Aspekten eine große Bedeutung bei.

Um diese Bedürfnisse zu adressieren, fördert das Robert Bosch Center for Innovative Health am Bosch Health Campus sogenannte PORT-Zentren (Patientenorientierten Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung). Sie sind kommunal verankert, bündeln die Leistungen der unterschiedlichen Gesundheitsberufe und bieten damit eine umfassende und bedarfsorientierte Grundversorgung in der direkten Umgebung.

In der Fläche bilden solche Angebote allerdings noch immer die Ausnahme. Zu den Ursachen zählen erhebliche Rechtsunsicherheiten, beispielsweise bei der Vergütung, und fehlende Anreize für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Gesundheitsberufsgruppen. Prinzipiell ist die Politik bei der Neuausrichtung der Primärversorgung auf dem richtigen Pfad. So sieht der Koalitionsvertrag beispielsweise die Einführung eines neuen Berufsbildes vor, der Community Health Nurse, die selbstständig Routineuntersuchungen durchführt, Bagatellerkrankungen behandelt, Therapien managt und Betroffene in der eigenen Gesundheitskompetenz schult. Das allein reicht aber nicht aus. Zusätzlich muss gesetzlich klar geregelt werden, welche ärztlichen Aufgaben die Community Health Nurse künftig übernehmen kann. Nur so erhält sie die Möglichkeit, rechtlich abgesichert ihren Aufgaben nachkommen zu können. Das gilt auch für einige vielversprechende Vorschläge der Krankenhaus-Kommission zur Neuausrichtung der Primärversorgung, darunter der Einsatz ambulanter Einrichtungen ohne ärztliche Aufsicht, die von Pflegekräften geleitet werden und die Basisversorgung abdecken können.

Nur mit mehr Prävention bleibt Gesundheitsversorgung bezahlbar

Auch die 1000 Gesundheitskioske, die die Bundesregierung vorsieht, könnten eine Lücke im System schließen, insbesondere an der Schnittstelle von gesundheitlicher und sozialer Beratung. Das Defizit in der Primärversorgung, das sich in den kommenden Jahren noch erheblich verschärfen wird, können die Gesundheitskioske allein aber nicht heilen. Dafür braucht es bessere Versorgungsstrukturen in den Regionen: Primärversorgungszentren, Gesundheitskioske, kommunale Medizinische Versorgungszentren und soziale Beratungsstellen müssen als eine sich gegenseitig ergänzende Lösung verstanden werden. Auch dafür brauchen wir neue rechtliche Regelungen. Mit der Krankenhausstrukturreform ergibt sich jetzt eine Möglichkeit für innovative Modelle, die den Bedarf und die Lebensumstände der Bevölkerung, den sogenannten Sozialraum, besser berücksichtigen als bisher.

Ein Aspekt, der bei all dem immer wieder aus dem Blick gerät und dem im Koalitionsvertrag gerade einmal neun Zeilen gewidmet wurden, ist die Prävention. Die Hebelwirkung einer gesunden Lebensweise kann für den einzelnen Menschen, die Gesellschaft und das Gesundheitssystem gar nicht hoch genug geschätzt werden. Vor dem Hintergrund einer dramatischen Zunahme von lebensstilbedingten Erkrankungen müssen mehr Anstrengungen in die Förderung der Gesundheitskompetenz fließen. Das gesamte medizinische Abrechnungssystem ist auf die Behandlung bereits bestehender Erkrankungen ausgerichtet. Viel zu wenig honoriert wird, wenn Menschen sich bemühen, Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Das muss sich ändern, denn anders werden wir langfristig keine bezahlbare hochwertige Gesundheitsversorgung mehr gewährleisten können. Dabei liegt genau dieser Punkt – eine bezahlbare Gesundheitsversorgung – den Menschen besonders am Herzen. 99 Prozent der Deutschen halten ihn für wichtig oder sehr wichtig.

Dr. Bernhard Straub ist Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung.

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