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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Die Transformation ist unsere gemeinsame Aufgabe

Lutz Hager ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care
Lutz Hager ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care Foto: Konrad Gös

Zeitenwende – das ist auch in der Gesundheitsversorgung nicht zu groß gedacht. Gesunderhaltung und Patientenorientierung greifen als Leitbegriffe dieser Wende ineinander: Nur wenn Gesundheitsversorgung und -förderung auf die Menschen zugeht, werden Patientinnen und Patienten ihre Fähigkeiten mobilisieren und werden wir besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen erreichen können, erklärt Lutz Hager, Vorstandsvorsitzender des BMC.

von Lutz Hager

veröffentlicht am 13.04.2023

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Bestmögliche Gesundheit für alle, das ist ein zentrales Versprechen für die Erneuerung unseres solidarischen Gesellschaftsvertrags in einer Gesellschaft des längeren Lebens und der verstärkten Zuwanderung. Dies ist auch aus der Binnenperspektive des Gesundheitswesens dringend erforderlich. Schon jetzt kommen wir finanziell und personell an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Bei aller „Durchhaltefähigkeit“, die alle Bereiche des Gesundheitswesens in der Pandemie und danach unter Beweis gestellt haben: Durchhalten ist nicht genug. Resilienz beinhaltet Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft gleichermaßen, im Besonderen auch die Fähigkeit zur Kooperation. Denn nur gemeinsam gelingt die Wende. Wir müssen unsere Ziele neu ausrichten und Gesundheitsversorgung grundlegend transformieren.

Es sind nicht mangelnde Ressourcen, die diese Wende verhindern, sondern ein Knoten aus geerbten Pfadabhängigkeiten, der vielerorten Fehlanreize produziert, Frustrationen schafft und Gestaltungsspielräume unnötig beschneidet. Mehr noch, Regulierungsdichte und gesetzgeberische Tätigkeit im Gesundheitswesen nehmen seit Jahrzehnten stetig zu; die Probleme sind dadurch nicht kleiner geworden. Es darf daher nicht bei „noch mehr Reformen“ im alten Zuschnitt bleiben.

Gesundheitsversorgung muss in Dekaden gedacht werden

Eine Neuausrichtung ist zweifellos ambitioniert, vielleicht ein Generationenwerk. Umso mehr muss sie daher über den Tellerrand isolierter Baustellen hinausgreifen. Aktuelle Debatten greifen hier oft zu kurz; dazu drei Beobachtungen:

1.Wir müssen aus der Anbieter- in die Patient:innen- und Betroffenenperspektive wechseln. Institutionen-, sektoren- und professionenbezogenes Denken kennzeichnet trotz anderslautender Bekundungen viele Debatten und Vorhaben. Ambulant und stationär sind Schubladen aus der Vergangenheit.

2.Es gibt viele Krankheiten, aber nur eine Gesundheit. Gesundheitspolitik kreist noch immer fast ausschließlich um Krankheiten – und spielt diese nicht selten gegeneinander aus. Daraus entsteht ein Ringen um Aufmerksamkeit. Einzelne Initiativen können aber jeweils nur partielle Beiträge zur Weiterentwicklung in Richtung eines salutogenen Gesundheitssystems leisten.

3.Gesundheitspolitik ist so viel größer als das Gesundheitswesen. Corona hat gezeigt, dass vulnerable Gruppen am meisten leiden, von bestehenden Angeboten aber nicht erreicht werden – eine Achillesferse für die Gesundheitsversorgung insgesamt. Es fehlt weiterhin ein Masterplan für Bevölkerungsgesundheit im Querschnitt aller Politikbereiche und -ebenen. Dieser müsste Anstrengungen gerade dort konzentrieren, wo das Gesundheitssystem heute zu kurz greift und keine geeigneten Lösungen bietet.

So sehr wir darin irren, die Herausforderungen mit den alten Instrumenten lösen zu können, so sehr unterschätzen wir die Chancen neuer Wege. Die Auswirkungen und Chancen der digitalen Transformation (oder besser: Revolution) werden dramatisch unterschätzt. Gleiches gilt für das Potenzial, das in informierten und aktiv mitwirkenden Patientinnen und Patienten und in motivierten, qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schlummert. Und auch die Innovationskräfte im Gesundheitswesen selbst, die durch höhere Freiheitsgrade und mehr Unternehmertum geweckt werden könnten, kommen nicht zum Tragen. Dabei erschließt „Gesundheit“ als Megatrend und Produktivkraft fortlaufend neue Möglichkeiten.

Innovationen reagieren auf Bedarfe

Die „Hot Spots“ der aktuellen Fachdiskussionen spiegeln präzise Innovationsfelder für eine Gesundheitsversorgung von morgen: Das Krankenhaus der Zukunft wandelt sich zum dezentral organisierten Kompetenzzentrum, die Primärversorgung agiert als interprofessionelles, sozialraumbezogenes Netzwerk, Bürgerinnen und Bürger wechseln bruchlos vom virtuellen Gesundheits(daten)raum zum Ansprechpartner ihres Vertrauens und eine im Hintergrund laufende Automatisierung löst Routinetätigkeiten ab und koordiniert Prozesse.

Dies gelingt, wenn in Partnerschaften neue Fähigkeiten entstehen. Daher ist die Regionalisierung der Gesundheitsversorgung von so großer Bedeutung. Diese verbindet zwei entscheidende Elemente der Versorgung: Die Organisationsperspektive, die für Versorgungsnetze erforderlich ist, und den spezifischen Bedarf der Bevölkerung vor Ort – und sie ist auf lange Zeit angelegt. Der Einstieg in die Regionalisierung hat daher das Potenzial zu einer echten Systemveränderung.

Gesundheitsversorgung ist ein Gemeinschaftsprojekt

Eine Richtungsänderung kann, so paradox es klingen mag, nur mit mehr Freiheiten gelingen. Dies spricht Deregulierung an, Investitionsbedingungen und agile Methoden. Und noch ein weiteres ist essenziell: „Culture eats strategy for breakfast“ – nur: die Kultur der Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ist noch entwicklungsfähig. Sie ist aber der Schlüssel. Vertrauen wächst daran, dass Anstrengungen ein geteiltes Zielbild zugrunde liegt. Die gemeinsame Richtung macht den Unterschied, denn Gesundheitsversorgung ist ein Gemeinschaftsprojekt.

Blicken wir in die Versorgungslandschaft, finden sich bereits zahlreiche Initiativen, in denen Akteure aus allen Bereichen intersektoral, interprofessionell und SGB-übergreifend erfolgreich zusammenarbeiten. Diese Lösungen verdienen Aufmerksamkeit und Diskussion in einem konstruktiven Klima. Beim BMC-Kongress am 18./19.4. in Berlin bringen wir auch dieses Jahr Projekte zusammen, die genau diesen Weg gehen – und dabei Hürden überwinden. Wer sich, auch in internationaler Perspektive, informieren, inspirieren und austauschen möchte, findet keinen besseren Ort – herzliche Einladung!

Prof. Dr. Lutz Hager ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care e. V. (BMC)

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