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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Brauchen wir bessere Impfstrategien?

Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege
Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege Foto: Sven Hoppe/dpa

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek blickt im heutigen Standpunkt auf die Covid-19-Pandemie zurück und erklärt, welche Lehren aus dieser Zeit für das künftige Impfmanagement gezogen werden können.

von Klaus Holetschek

veröffentlicht am 14.10.2021

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Wenn ich heute auf die Leistung Deutschlands in der Corona-Pandemie und das Impfen sehe, meine ich: Wir haben gemeinsam viel erreicht. Bis Anfang Oktober haben rund 57 Millionen Personen eine Erstimpfung und rund 54 Millionen den vollen Impfschutz erhalten. Das ist eine großartige Leistung aller Impfzentren, der Gemeinschaft aller Ärztinnen und Ärzte und allen daran beteiligten Akteuren. Es würde zu weit führen, alle aufzuzählen. Deshalb von Herzen und auf gut Bayerisch: „Vergelt‘s Gott!“

Aber: 54 Millionen, das sind NUR rund 65 Prozent unserer Bevölkerung. Und uns fehlen – bei Impfstoff, der mehr als ausreichend vorhanden ist – vielfach Impfwillige, die bereit sind zur Impfung. Man könnte also zum Fazit kommen: unsere Impfstrategie hat gereicht für 54 Millionen, aber reicht sie aus für den Rest – insbesondere mit Fokus auf die Unentschlossenen oder auch Trägen. Einen harten Kern an Impfgegnern, der fünf Prozent ausmachen dürfte, werden wir nicht bekommen.

Wir müssen besser lernen, Strategien über die Zeit und entlang von Veränderungen anzupassen. Wir werden neue und andere Elemente der Strategie brauchen. Nehmen Sie die Virus-Varianten. Die Delta-Variante hat das deutlich gezeigt! Denken wir an das Post-Covid-Syndrom. Es darf von niemandem unterschätzt werden. Denken wir an Auffrischungs-/Boosterimpfungen. Wir brauchen sie für vulnerable Gruppen und Berufe, die sich tagtäglich für Gesundheit und Pflege unserer Ältesten einsetzen.

Fünf Thesen zur Impfstrategie

Wir haben ein Bündel an Herausforderungen im Zusammenhang mit Corona, mit dem Impfen und den Jahren, die vor uns liegen. Ich will in fünf Thesen darlegen, wo wir stehen und was wir gelernt haben und dabei auch das Impfen insgesamt in den Blick nehmen.

  • These 1:

Die Geschwindigkeit, mit der wir Impfstoffe (gegen Corona) erforscht, entwickelt und zum Einsatz gebracht haben, ist eine beispiellose Leistung. Erhalten wir uns diesen nationalen wie internationalen Willen zur Umsetzung und zum Ergebnis. Wir – und dabei meine ich zuallererst die weltweite Forschung und Wissenschaft – haben die Herausforderung angenommen und in atemberaubender Zeit – auch mit staatlicher – Unterstützung Ergebnisse in Form von Impfstoffen produziert. Nehmen wir uns zukünftig ein Beispiel daran, wie sehr wir Dinge beschleunigt, aber auch entbürokratisiert haben, um schnell – dabei aber nicht unvorsichtig – ans Ziel zu kommen.

  • These 2:

Das Phänomen Pandemie war in den vergangenen Jahren immer wieder ein Gespräch unter Experten wert. Wir alle aber waren nicht wirklich vorbereitet. Weder organisatorisch-strukturell noch mit Blick auf das Impfen. Wir brauchen etwas, das in der Wirtschaft seit langem „Predictive Maintenance“ genannt wird: vorausschauende Wartung. Natürlich kann nicht alles stets und immer vorbereitet sei. Aber eine Lehre aus der Pandemie ist: Katastrophen- und Notfallschutz sind elementar – auch im Gesundheitsbereich. Da können wir noch besser werden. Und das gilt natürlich auch beim Impfen, der individuellen Vorsorge, bei der wir so viel erreicht haben.

Beispiel Masern: Wir vergessen über Corona andere gefährliche Krankheiten nicht. Die Impfung gegen Masern ist ein Meilenstein für einen größtmöglichen Schutz von Jung und Alt.

Beispiel FSME: die sogenannte Zecken-Schutzimpfung gegen Hirnhautentzündung. Gerade wegen der Corona-Pandemie sind die Menschen verstärkt in die Natur gegangen. Diese Schutzimpfung zur richtigen Jahreszeit ist wichtiger denn je.

Beispiel Grippe: Minister Spahn, RKI-Präsident Wieler und der Vorsitzende der STIKO Mertens haben gemeinsam zur Grippeimpfung aufgerufen. Dem kann ich mich nur anschließen. Je mehr Menschen sich gegen Grippe impfen lassen, desto besser.

  • These 3:

Sowohl in der Pandemie, als auch beim Impfen gilt: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation! Kommunikation ist ein zentrales Element jeder Strategie, sie muss zentral sein auch bei jeder Impfstrategie. Sicher können wir heute vielfache Anekdoten zur Corona- und zur Impfkommunikation erzählen. Sie werden uns manchmal zum Lachen, oft aber auch zum Weinen bringen. Kommunikation ist entscheidend bei allem, was gut, aber auch allem, was schlechter läuft. Sie motiviert uns und sie uns regt auf.

Nehmen wir die Kommunikation zum Impfstoff von AstraZeneca. Nehmen wir den Fakt, dass wir noch Ende Juni zu wenig Impfstoff hatten, einen gefühlten Tag später aber schon zu wenige Impflinge. Dies ist keine grundsätzliche Kritik am Faktischen. Aber eine tagtägliche Herausforderung für unsere Kommunikation in der Krise gegenüber Millionen Menschen, die Führung erwarten.

  • These 4:

Kommt der Impfling nicht zum Corona-Impfstoff, muss der Corona-Impfstoff zum Impfling kommen. Der Wechsel in unserer Logistik vor Ort, der Wechsel vom statischen zum mobilen Impfzentrum, zu den niedrigschwelligen Angeboten war richtig und er hat sich ausgezahlt. Die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, wo sie sich aufhalten, wo sie ihr Leben leben, hat uns vielleicht noch nicht das finale Ergebnis gebracht, das wir uns erhofft haben.

  • These 5:

Der Öffentliche Gesundheitsdienst: Corona hat uns wie durch ein Brennglas gezeigt, wo wir nachjustieren müssen. Im Bereich des medizinischen oder fachlichen Stammpersonals haben wir neue Stellen geschaffen, die Bezahlung attraktiver gemacht, die Nachwuchsförderung verbessert und Leistungen für Ärzte im ÖGD aufgestockt. Die Gesundheitsämter sind neben Kliniken und Praxen die dritte starke Säule im Gesundheitssystem. Nicht erst mit der Pandemie wissen wir um ihre Bedeutung. Ich werde alles dafür tun, den ÖGD weiter auszubauen.

Wir haben Lehren gezogen, wir haben Strategien angepasst und uns in vielen Bereichen neu und besser aufgestellt. Wir setzen weiterhin auf einen ergänzendes, staatliches Impfangebot mit Schwerpunkt mobilen Impfteams und wir werden die Impfquote weiter steigern.

Mein Appell ist klar. Nehmen Sie vorhandene Impfangebote wahr! Nie war es einfacher, eine Impfung zu bekommen. Impfen ist DER Ausweg aus Pandemie. Wir alle wollen zurück zur Normalität.

Ich danke allen, die mit großem Engagement den Erfolg bis heute möglich gemacht haben. Impfen in all seinen Facetten ist ein Beitrag, der Leben schützt und Leben ermöglicht. Möge uns das Coronavirus in seiner Dimension sehr bald verlassen, die Notwendigkeit zu impfen wird bleiben.

Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege sowie Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, wird beim heutigen Tagesspiegel Impfgipfel die Opening Keynote halten.

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