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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mit Datenzwang raus aus der Coronakrise?

Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Sprecher des Bündnisses für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS).
Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Sprecher des Bündnisses für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS). Foto: Mirko Milovanovic

Der Expertenrat der Bundesregierung fordert aktuell die schnellere Erhebung von Gesundheitsdaten. Eine bessere Pandemiebewältigung lässt sich daraus jedoch nicht ohne Weiteres ableiten. Vielmehr hat die Politik ihre Hausaufgaben zu machen – zum Beispiel in Sachen Kommunikation und Organisation, meint der Arzt Andreas Meißner.

von Andreas Meißner

veröffentlicht am 01.02.2022

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Mehr Daten, weniger Pandemie – stimmt diese Gleichung wirklich, die der Expertenrat der Bundesregierung in seiner neuesten Stellungnahme aufgestellt hat? Er bemängelt, dass in anderen Ländern „eine Datenerhebung in Echtzeit auf individueller Fallebene zur effizienten Bewältigung der Pandemie erheblich beigetragen“ hätte. Was zur Schlussfolgerung führt, dass nun schleunigst die elektronische Patientenakte automatisch für jeden eingeführt werden müsse, ohne komplizierten Antrag bei der Krankenkasse wie derzeit erforderlich. Damit würden sich dann anonymisierte Gesundheitsdaten in Echtzeit erfassen lassen. Aber liegt es wirklich an zu wenigen Daten, dass wir immer noch in der Coronakrise stecken?

Verwiesen wird etwa auf israelische Gesundheitsdaten, die früh Hinweise auf die Notwendigkeit einer Booster-Impfung geliefert hätten. Der Expertenrat meint daher, dass etwa die Erfassung der Therapiemaßnahmen und des Impfstatus aller Bürger vonnöten seien. Die überraschend rasch schon nachlassende Wirkung der Doppelimpfung erschließt sich daraus nicht automatisch. Sie hätte eher mit einer gründlichen Kohortenstudie erkannt werden können, also mit systematischer Nachverfolgung einer großen Anzahl von Patienten. Ohne nun von vornherein zwangsweise alle Bürger zum Datensatz zu machen.

Kommunikation lief oft schief

Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass mit dem Drang nach Daten eine Vielzahl politischer Fehlentscheidungen verdeckt werden sollen. Erinnern wir uns: Da gab es am Anfang einen eklatanten Mangel an Masken, später an Impfstoffen. Ein Pandemieszenario aus 2013, das in vielen Einzelheiten der jetzt eingetretenen Situation ähnelt, hatte der Bundestag sträflich vernachlässigt. Dann lief die Kommunikation oft schief. Maßnahmen wurden anfangs eindringlich, später kaum noch erläutert, dafür umso öfter geändert. Der einfache Bürger hat dabei komplett den Überblick verloren, wo jetzt 2G oder 3G gilt, ob mit „plus“ oder ohne. Die Gültigkeit der Genesenenbescheinigung wird über Nacht auf drei Monate verkürzt, nur um jetzt, keine zwei Wochen, wohl wieder auf sechs Monate verlängert werden zu müssen, weil dies EU-weit nun so gelten soll. Dazu hat die letzte Konferenz von Kanzler Scholz mit den Ministerpräsidenten und seinem Gesundheitsminister beschlossen, dass PCR-Tests priorisiert werden, ebenso die Kontaktnachverfolgung. Die Pandemie wird somit in Teilen jetzt laufen gelassen und ihr Management reduziert.

Warum dabei nun ein Datenmangel vorliegen soll, erschließt sich nicht. Vielmehr wurde hier gar beschlossen, auf durchaus mögliche Datenerhebung zu verzichten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Meldung, dass andere Länder wie Dänemark und England mehr PCR-Proben sequenzieren, und dadurch neu auftretende Virus-Varianten und Subtypen schneller erkennen können als Deutschland. Hier besteht also eine ganz andere Mangelsituation als die von den Experten beklagte. Dass Gesundheitsämter lange Zeit Daten händisch gefaxt oder in Excel-Listen eingetragen haben, hat mit einem jetzt pauschal kritisierten Digitalisierungsdefizit ebenso nichts zu tun. Spätestens drei Monate nach Pandemiebeginn hätte ein für alle Ämter gültiges und gut handhabbares Tool eingeführt werden müssen. Was aber nicht passiert ist. Jetzt, nach zwei Jahren Pandemie, eine „zeitnahe Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes“ zu fordern, stellt daher ein wahres Armutszeugnis dar.

Impfregister könnte Nutzen bringen

Über ein zentrales Impfregister wiederum ließe sich sicher diskutieren, alleine schon um den Missstand abzustellen, dass Impfzahlen heute oft geschätzt werden müssen. Auch sollte es eigentlich möglich sein, unkompliziert und zeitnah Veränderungen bei der Belegung von Krankenhausbetten mit COVID-19-Patienten zu erfassen. Nicht von vornherein also liegen die Schwierigkeiten im Pandemiemanagement nun in unzureichender „Digitalisierung“ oder der noch zu geringen Nutzung der elektronischen Patientenakte begründet. Eine nun geplante Pflicht für alle Bürger, eine elektronische Patientenakte zu nutzen, deren sensible Daten mit milliardenteurer, bisher leider sehr störanfälliger Technik zentral auf Servern gespeichert werden und damit potenziell von Hackerangriffen gefährdet sind, ist daher überflüssig. Zwar sind in Israel Risikopatienten wie etwa stark Übergewichtige aufgrund ihrer in der E-Akte gespeicherten Daten schriftlich gezielt zur Impfung eingeladen worden. Die Frage aber, ob wir eine derart proaktiv-fürsorgliche Überwachung durch Staat und Krankenkassen überhaupt wollen, während sonst gerne von Eigenverantwortung und Patientensouveränität gesprochen wird, ist bisher nicht mal ansatzweise diskutiert worden.

Statt digitale Zwangsmaßnahmen einzuführen erscheint es daher momentan vielmehr nötig, dass die Politik ihre Entscheidungen vor etwaigen Schnellschüssen gut überlegt, sie wieder transparent begründet, weiter ausreichend Tests zur Verfügung stellt und konkrete digitale Konzepte fördert etwa für Gesundheitsämter oder Impf- und Corona-Hospitalisierungsregister. Hiermit könnten anonyme Daten zu einzelnen relevanten Aspekten der Pandemie erfasst werden, ohne nun alle Bürger und Patienten im Gesundheitswesen mit all ihren Diagnosen und Befunden gläsern werden zu lassen. Dies nämlich sollte kein Anliegen eines Expertenrates sein.

Dr. Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München und Sprecher des Bündnisses für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS).

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