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Standpunkte Cannabis, quo vadis? Auf jeden Fall sicher!

Burkhard Blienert, Drogenbeauftragter der Bundesregierung
Burkhard Blienert, Drogenbeauftragter der Bundesregierung Foto: © Sucht- und Drogenbeauftragter/Thomas Ecke

Viel zu langsam und mit unnötigen Korrekturschleifen belastet, so lautet die Kritik an der Cannabis-Legalisierung. Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung hält in seinem Meinungsbeitrag dagegen: Es gehe nicht weniger als um einen Paradigmenwechsel, schreibt Burkhard Blienert. Und den dürfe man nicht übers Knie brechen.

von Burkhard Blienert

veröffentlicht am 16.08.2023

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Die Debatte um Cannabislegal, entkriminalisiert, reguliert kontrolliert – ist in vollem Gange. Die Zeit war reif, sich an ein derartig umstrittenes Thema heranzuwagen. Wie es war, konnte es nicht weitergehen: Die Zahl der Cannabiskonsumierenden ist seit Jahren gestiegen. Gerade unter Jugendlichen wurde Cannabis immer populärer. Jahr für Jahr bekamen mehr Menschen mit Cannabis gesundheitliche Probleme.

Denn das, was sie konsumierten, kam vom Dealer an der Straßenecke, kam direkt aus den Händen der Organisierten Kriminalität, war entweder gestreckt oder mit synthetischen Drogen aufgepeppt; manches harmlos, anderes klar gesundheitsschädlich. So konnte es nicht weitergehen. Was wir brauchten, war ein Neuanfang in der Cannabispolitik. Und den macht die Bundesregierung jetzt.

Kontrollierte Freigabe ist Einstieg in neue Drogenpolitik

Cannabis soll ab Januar 2024 für Erwachsene teilweise und kontrolliert freigegeben werden. Ab da soll der Besitz von bis zu 25 Gramm am Tag beziehungsweise 50 Gramm im Monat und drei Pflanzen zum Eigenbedarf straffrei bleiben sowie die Abgabe kontrolliert über Vereine erfolgen. In einem zweiten Schritt soll in Modellregionen der Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte getestet werden. Gerade die Modellprojekte haben ein riesiges Potenzial, eine Blaupause für eine gelungene Drogenpolitik zu werden. Gute Erfahrungen gibt es dazu vor allem in Kanada.

Es geht also voran, nicht mit einem einzigen Wurf, sondern schrittweise. Das finde ich richtig.

Es geht nicht nur um ein neues Gesetz, sondern um einen neuen Umgang. Es geht darum, alte, konservative Denkmuster aufzubrechen und wirklich dicke Bretter zu bohren. Bisher hieß es: Drogen sind gefährlich, deshalb verbieten wir sie und wer sie doch nimmt, der ist eben selbst schuld. Da kann ich nur sagen: Einspruch! So einfach ist das nicht. Wir dürfen nicht länger ignorieren, dass Sucht eine Krankheit ist, dass zum Jungsein auch das Ausprobieren gehört und dass wir als Gemeinschaft einen Schutzauftrag gegenüber denen haben, die nicht jedes Risiko gleich selbst erkennen. Und vor allem: Dass wir einfach ein gesellschaftliches Interesse daran haben, dass so wenig Menschen wie möglich ein Problem mit Drogen und ihren Folgen bekommen. Man denke an die Angehörigen, die Kinder.

Jahrzehntelang hat sich die Regierung darauf fokussiert, Cannabis allein mit den Mitteln der Polizei zu bekämpfen, statt in Gesundheitsschutz und in Prävention zu investieren. Man hat versucht, das Angebot zu reduzieren, statt die Nachfrage. Erfolglos. Daher ist diese mitunter jetzt schmerzhafte Debatte auch so wichtig. Wir brauchen eine offene, lange, aufrichtige Diskussion, müssen alle Argumente und Bedenken auf dem Tisch haben, sie besprechen, weil sich nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den Köpfen etwas ändern muss. Die kontrollierte Freigabe von Cannabis ist (auch) ein bedeutender, ein wirklich großer Schritt, weil sie uns dazu zwingt, die richtigen Fragen zu stellen.

Klare Regeln – strikte Leitplanken

Raus gekommen ist ein vorsichtiger Gesetzestext mit sehr strikten Leitplanken, auch bei der Prävention: Keine Werbung für Cannabis – das war gerade mir sehr wichtig und ich finde, dass es an sich bei allen Risikoprodukten gelten sollte, also auch bei Alkohol, Tabak und Glücksspiel. Bei Cannabis wird das strikte Werbeverbot kommen. Zudem gehört Cannabis auch weiter nicht in die Ladenauslage und auf die Ladentheke; es gehört nicht in das Sichtfeld von Kindern und Jugendlichen. Und auch in der Öffentlichkeit darf nur sehr eingeschränkt konsumiert werden. Auch für den Eigenanbau gelten klare Regeln. Klare Regeln und gute Kontrollen bedeuten sicheren Schutz und besseres Vorbeugen vor dem Griff nach Drogen. Es wird jetzt Aufgabe des Bundestages sein, all diese Vorschläge noch einmal zu durchleuchten. Für mich sollten am Ende Jugend- und Gesundheitsschutz immer Vorrang behalten. Und das Gesetz muss praktikabel sein im Alltag.

Das bisher bestehende Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung von Cannabisnutzenden machte es so schwierig, über den eigenen Konsum und etwaige Risiken zu sprechen. Das hat Prävention und Suchtberatung erschwert. Jetzt machen wir Schluss mit strafrechtlicher Verfolgung bei Kleinstmengen und der Stigmatisierung von Konsumierenden. Schon das wird der Prävention helfen.

Von der Verbots- hin zur Präventionskultur

Aber ich will mehr: Neben dem Gesetz muss es darum gehen, mit der Suchtprävention ernst zu machen – endlich. Suchtprävention gehört in jede Schule. Denn eine Schule ohne Drogen ist Wunschtraum und Illusion zugleich. Und: Jede Schule muss wissen, was sie zu tun hat, wenn jemand problematisch konsumiert. Dazu gehört für mich eine flächendeckende Frühintervention und an jeder Schule ein effektives Programm wie etwa FRED. Deshalb sage ich immer wieder: Wirklich gelingen wird eine neue Drogenpolitik nur, wenn ein zentraler Baustein von Beginn an mit bedacht und umgesetzt wird: der Ausbau einer wirkungsvollen und wissenschaftlich geprüften Prävention, personell besser ausstattet und deutlich besser finanziert. Sie gehört an Schulen, in Sportvereine, Jugendtreffs und nach Zuhause.

Wir haben bereits gute Präventionskonzepte und gehen nicht unvorbereitet in die kontrollierte Abgabe. Aber wir müssen die Frage der Finanzierung klären. Drogenpolitik ist eben so viel mehr als nur die Frage, legal oder illegal. Prävention darf nicht länger das Opfer einer schlechten Kassenlage sein. Die aktuellen Kürzungen im Bund, in den Ländern und auch in den Gemeinden stehen dazu in krassem Widerspruch. Hier darf auf keinen Fall ein Kahlschlag stattfinden. Das beginnt beim Bundeshaushalt und endet beim Kassensturz in jeder einzelnen Gemeinde. Kürzungen von heute sind hohe Folgekosten von morgen, etwa in der Therapie. Wir sparen vielleicht jetzt Millionen, aber zahlen später die Milliarden.

Das erste Etappenziel ist fast erreicht. Das Kabinett beschließt den Gesetzentwurf und die Parlamentsbefassung folgt. Dann setzen wir mit den Cannabis-Clubs und dem Eigenanbau wichtige Meilensteine. Parallel aber muss uns ein wichtiger Schritt gelingen, der Weg von der Verbotskultur hin zur Präventionskultur.

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