Ein CSU-Gutachten kommt zu dem Schluss: Europa- und völkerrechtlich konform kann die Bundesregierung Cannabis hierzulande nicht als Genussmittel legalisieren. Dafür müssten relevante Verträge geändert werden – ein Prozess, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern könnte. Doch hat der von der CSU beauftragte Gutachter Bernhard Wegener ein Detail übersehen, das die Beziehung der Vereinten Nationen zur Europäischen Union neu einordnen könnte? Wenn dem so ist, muss die Bundesregierung ihre Cannabis-Strategie ändern.
Zur Einordnung: Es gibt drei relevante Verträge auf Ebene der Vereinten Nationen: Das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel von 1961, das Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe und das UN-Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988. Bei letzterem, berichtet Wegener in besagtem Gutachten, sei auch die gesamte Europäische Union (EU) Vertragspartei.
Doch Alfredo Pascual, ein in der Cannabisbranche angesehene Experte für völkerrechtliche Themen, hat nun auf ein wichtiges Detail hingewiesen: Denn Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration mussten vor dem Beitritt „die Zuständigkeiten hinsichtlich der Angelegenheiten darlegen, die in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallen“. Als die EU im Oktober 1990, damals noch als EWG, dem Übereinkommen von 1988 beitrat, hieß es im Anhang entsprechend: „Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verfügt im Bereich der Handelspolitik über Handlungsbefugnisse für die zur illegalen Herstellung von Suchtstoffen und psychotropen Substanzen häufig verwendeten Substanzen, die unter Artikel 12 des Übereinkommens fallen.“ Just die dort genannten Substanzen haben aber nichts mit Cannabis oder irgendeinem in der Pflanze enthaltenem Cannabinoid zu tun.
Sehr limitierte Sanktionsmöglichkeiten
Übrigens hatte auch die Bundesregierung im letzten Oktober in ihrem Eckpunktepapier nicht etwa auf das Einheitsabkommen von 1961, das grundlegende globale Bestimmungen für den Umgang mit Drogen definiert, sondern auf das Abkommen von 1988 verwiesen. Ebenfalls vor dem Hintergrund, dass eben jenes Abkommen auch für die EU als Ganzes bindend sei – weil diese nun mal Vertragspartei ist. Dass es für solche Vertragsparteien wesentliche Unterschiede geben kann, kommt bis dato in der Debatte viel zu kurz.
Dieser Aspekt ist aus gleich zweierlei Hinsicht nicht unerheblich: Erstens verfügen die Vereinten Nationen über sehr limitierte Mittel der Sanktionsmöglichkeit. Auch Kanada, Uruguay und etliche US-Bundesstaaten haben Cannabis seit Jahren als Genussmittel legalisiert, worauf die Vereinten Nationen zwar regelmäßig mahnende Briefe verschicken, ansonsten sind die Hände aber weitestgehend gebunden. Bringt Deutschland dagegen durch einen nationalstaatlichen Alleingang die gesamte EU auf völkerrechtlicher Ebene in die Bredouille, würde sich dies maßgeblich auf ein mögliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auswirken. Völkerrechtliche Verstöße würden damit unmittelbar europarechtliche Konsequenzen haben. Solche potenziellen europarechtlichen Konsequenzen erscheinen angesichts der diskutierten einschränkenden Fußnote als deutlich unwahrscheinlicher.
Hilft ein Aus- und Wiedereintritt?
Zweitens muss Deutschland, wenn das Abkommen von 1988 europarechtlich an Relevanz verliert, auf Ebene des Völkerrechts wieder stärker den Fokus auf das Einheitsabkommen von 1961 legen. Denkbar wäre vor diesem Hintergrund auch ein Aus- und Wiedereintritt aus dem Abkommen – wie im Entwurf des Cannabis-Kontrollgesetzes der Grünen 2015 und 2018 skizziert und bereits von Bolivien mit Koka-Blättern praktiziert – und zwar ohne dass die gesamte EU, wie Wegener fürchtet, diesem Beispiel folgen müsste. Das größte Hindernis für dieses zweifelsfrei anspruchsvolle Unterfangen dürfte in diesem Fall die zeitliche Komponente sein.
Um aber noch auf Punkt eins zurückzukommen: Ganz grundsätzlich gilt das Völkerrecht verglichen mit europäischem Recht als noch restriktiver, was eine mögliche Legalisierung von Cannabis als Genussmittel betrifft. Von daher werden die Karten durch diese Fußnote vielleicht nicht gänzlich neu gemischt, aber die Chancen auf eine Legalisierung steigen.
Bleibt noch die wichtigste Erkenntnis: Angesichts der Komplexität der Cannabis-Legalisierung an die Ampel-Koalition zu appellieren, jede Fußnote zu beachten.
Niklas Kouparanis ist Co-Founder und und CEO der Bloomwell Group. Er baute mehrere Cannabis-Unternehmen auf und gründete im Juni 2020 mit seiner Schwester Anna-Sophia Kouparanis, Julian Wichmann und Samuel Menghistu die Bloomwell Group, nach eigenen Angaben eines der führenden europäischen Cannabis-Unternehmen.