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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Datenraum Gesundheit gemeinsam gestalten

Annerose Nisser ist Technologieberaterin bei der VDI Technologiezentrum GmbH
Annerose Nisser ist Technologieberaterin bei der VDI Technologiezentrum GmbH Foto: privat

Daten bilden die Grundlage einer modernen evidenzbasierten Medizin. Damit die Nutzung von Gesundheitsdaten in Deutschland endlich Fahrt aufnehmen kann, bedarf es der Klärung ethischer Fragen. Warum hierfür ein inklusiver gesellschaftlicher und politischer Prozess notwendig ist, erklärt Annerose Nisser vom VDI Technologiezentrum.

von Annerose Nisser

veröffentlicht am 04.08.2022

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Auf Grundlage von Daten entwickeln Unternehmen Medikamente und Medizinprodukte, Forscher:innen verbessern Behandlungsverfahren und Therapieansätze. Technische und soziale Innovation setzt Daten voraus. Im Vergleich zu europäischen Nachbarn wie Finnland und den Niederlanden befindet sich das deutsche Gesundheitswesen allerdings noch im prä-digitalen Zeitalter. Das führt dazu, dass die nötigen medizinischen Daten für viele Fragestellungen hierzulande entweder gar nicht zur Verfügung stehen oder aus anderen Ländern bezogen werden müssen, etwa Daten aus Israel zur Wirkung von Impfstoffen zu Beginn der Corona-Pandemie.

Doch wie kann in Deutschland die Nutzung von Gesundheitsdaten Fahrt aufnehmen und unser Land damit zum Wegbereiter für medizinischen Fortschritt und Innovation werden? Dies kann nur gelingen, wenn wir einen Konsens zu den zentralen Fragen eines ethischen Umgangs mit Gesundheitsdaten finden.

Die Voraussetzung: Solidarität, Fairness, Vertrauen

Die erste ethische Frage betrifft die sogenannte Datensolidarität. Sie überträgt das Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Datenraum Gesundheit. Die Idee dahinter ist einfach: Ein Teil der Gesundheitsdaten fließt in einen Datenpool. Aus diesem Datenpool gewinnen Forschende Erkenntnisse für eine bessere Versorgung, Medizintechnikunternehmen entwickeln daraus verbesserte Produkte. Die Erkenntnisse und Produkte aus dem Datenpool kommen allen Beteiligten zugute – natürlich zuerst denjenigen, die sie besonders benötigen, weil sie auf Gesundheitsleistungen angewiesen sind. Daten zu teilen, ohne sie selbst unmittelbar zu benötigen, wäre Ausdruck dieser Datensolidarität.

Allerdings setzt der Wille zum solidarischen Teilen von Daten Fairness voraus: Solidarisch beteiligen möchte ich mich nur, wenn ich fair behandelt und nicht ausgenutzt werde. Fairness bedeutet, dass Nutzen und Beiträge in einem fairen, also gerecht empfundenen Verhältnis zueinanderstehen. Das faire Verhältnis zwischen Nutzen und Beiträgen muss für viele Akteure abgewogen werden: (potenzielle) Patient:innen, Pfleger:innen, Ärzt:innen ebenso wie für Versicherungen, kleine Medizintechnikunternehmen und große Pharmakonzerne. Nutzen und Beiträge bestehen dabei nicht allein aus monetären Leistungen. Sie können auch in Form von Datenspenden und einer verbesserten Gesundheitsleistung auftreten. Das macht den Prozess so komplex.

Zur Einhaltung von Fairness bedarf es klarer Regeln und Garantien – sogenannter „Vertrauensanker“. Das umfasst in einem ersten Schritt Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Aber auch eine sichere technische Infrastruktur zum Austausch der Daten ist Teil der Vertrauensanker. Schließlich braucht es unabhängige Akteur:innen – der Koalitionsvertrag nennt sie „Datentreuhänder“ –, die eine vertrauenswürdige Datennutzung garantieren.

Alle Interessengruppen beteiligen

Unter welchen Bedingungen Datensolidarität möglich ist, wann das Verhältnis zwischen Nutzen und Beiträgen „fair“ ist und welche Vertrauensanker wir benötigen, kann kein beteiligter Akteur allein bestimmen. Deshalb ist ein Prozess notwendig, der die verschiedenen Akteure zusammenbringt: Patient:innen, Angehörige der Heilberufe, Ärzteschaft, Politik und Verwaltung, Forschungseinrichtungen, Kliniken, Versicherungen, Start-ups, KMU und große Unternehmen – wobei diese Aufzählung sicher nicht abschließend ist.

Um diese sehr unterschiedlichen Akteure und ihre diversen Interessenlagen erfolgreich zusammenzubringen, sind klare Regeln und ein entsprechender Rahmen nötig. Hierfür muss ein unabhängiger Akteur den Prozess moderieren und vermittelnd sowie schlichtend auftreten. Die Betonung liegt dabei auf „unabhängig“: Denn aus der Verhandlungstheorie wissen wir, dass faire Prozesse mit klar gestecktem Rahmen unter unabhängiger Moderation deutlich schneller zum Ziel kommen. So erzielte Ergebnisse und Vereinbarungen haben außerdem länger Bestand.  

Als Inspiration für einen solchen Prozess könnten andere Branchen dienen, etwa die Industrie. Hier arbeiten ganz unterschiedliche Akteure bereits seit längerem an einer gemeinsamen Nutzung von Daten und an der Architektur von Datenräumenim Rahmen von Initiativen wie Gaia-X und der Plattform Industrie 4.0.

Dr. Annerose Nisser ist Technologieberaterin bei der VDI Technologiezentrum GmbH. Gemeinsam mit weiteren Expert:innen aus der Arbeitsgruppe „Ethik“ der Initiative D21 e.V. veröffentlichte sie Ende Juni einen Denkimpulszum Datenraum Gesundheit.

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