Seit einigen Monaten beobachten wir zunehmende Engpässe bei der Versorgung mit Arzneimitteln der Basisversorgung. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt eine öffentlich einsehbare Liste unter pharmanet.bund, auf der man einsehen kann, für welche Medikamente Lieferengpässe bestehen. Darunter befinden sich essentielle Arzneimittel wie das Antibiotikum Cotrim forte, oder das Lokalanästhetikum Lidocain, oder Azathioprin, das bei Autoimmunerkrankungen wie multipler Sklerose eingesetzt wird. Es sind fast alles chemisch synthetisierte Generika, also Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist und die nun von zahlreichen Herstellern produziert und vertrieben werden.
Biologika, also biotechnologisch hergestellte Wirkstoffe, sind noch nicht betroffen. Zudem lassen sich oftmals noch äquivalente Präparate mit demselben Wirkstoff von anderen Herstellern beschaffen, oder Ersatzpräparate mit ähnlichen Eigenschaften aus derselben Arzneimittelklasse finden. Doch weisen die Engpässe auf ein größeres Problem hin.
Die globale Angebotskrise
Wie alle Unternehmen können Generikahersteller Arzneimittel nur dann produzieren, zum Zielmarkt transportieren und verkaufen, wenn die Gesamtkosten dafür niedriger sind als der Abgabepreis an die Großhändler, an welche die Hersteller die Ware verkaufen. Aktuell scheint aber genau das nicht mehr der Fall zu sein. Einige Hersteller machen bereits Verluste, und dies scheint nun bereits zu Produktionseinschränkungen zu führen. Die Produktions- und Logistikkosten sind zu stark gestiegen. Warum?
Die geopolitischen Entwicklungen der letzten drei Jahre begannen mit dem Einfrieren des Interbankenmarktes im September 2019, als die Reporate, mit der sich Banken über Nacht Geld ausleihen, explodierte. Dann folgte der Ausbruch von COVID, seit Februar 2022 setzte sich die Krise mit dem Ukrainekrieg fort. Diese Ereignisse haben das hochkomplexe Netz der globalen Arbeitsteilung bei der Produktion und Verteilung von Gütern empfindlich gestört. Dies hat zu einer Minderung des Angebots vieler Güter und Dienstleistungen geführt.
Durch die Handelsembargos, die nach dem Einmarsch in die Ukraine gegen Russland verhängt wurden, ist es zusätzlich zu einem Angebotsschock auf dem Gasmarkt und zu einer deutlichen Absenkung des Angebots auf dem Öl- und Kohlenmarkt gekommen. Die Energiepreise sind dadurch massiv gestiegen. Dies gilt nicht nur für Europa, sondern aufgrund des globalen Charakters der Energiemärkte für die ganze Welt. Diese Preiserhöhungen führen zu einem drastischen Anstieg der Produktions- und Transportkosten für alle Güter. Durch die zunehmende Unsicherheit nach den Terroranschlägen auf Infrastruktur der letzten Monate steigen auch die Versicherungskosten für die Schifffahrt, so dass die Logistikkosten insgesamt stark ansteigen. Ende September lagen die Kosten für einen Container beispielsweise dreimal so hoch wie vor der Krise.
Generikahersteller besonders betroffen
Von diesen Preissteigerungen sind die Generikahersteller besonders betroffen, weil bei ihnen die Produktions- und Logistikkosten als Anteil der Abgabepreise viel stärker ins Gewicht fallen als bei den Herstellern von Originalpräparaten. Während bei diesen der Anteil der Herstellung vor der Krise sich je nach Produkt auf 5 bis 15 Prozent der Abgabepreise belief, mussten Generikahersteller dafür über 40 Prozent ausgeben. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor, doch dürfte dieser Anteil in einigen Fällen nun so deutlich gestiegen sein, dass sich die Produktion nicht mehr lohnt. Der selektive Effekt auf die Generikahersteller ist besonders kritisch, weil ihre Medikamente mindestens 95 Prozent des pharmakologischen Basisnutzens erbringen – zu jedem Zeitpunkt ist der Anteil neuer Präparate mit Patentschutz am Pharmavolumen eher gering.
Was können die Hersteller tun? Im Generikabereich gibt es auf der Kostenseite nicht genug Einsparpotential, um den Preisanstieg bei Produktion und Logistik zu kompensieren. Bleibt noch, die erhöhten Kosten an die Kunden weiterzugeben, was bei Gütern mit geringer Preiselastizität wie Lebensmitteln oder Medikamenten theoretisch möglich ist: Wenn man auf etwas nicht verzichdie erhöhten Kosten an die Kunden weiterzugeben, was bei Gütern mit geringer Preiselastizität wie Lebensmitteln oder Medikamenten theoretisch möglich ist: Wenn man auf etwas nicht verzichten kann, muss man es kaufen, auch wenn es teurer wird. Doch sind in allen OECD-Ländern die Preise für verschreibungspflichtige Generika reguliert, um bei der Basisversorgung, um bei der Basisversorgung der Bevölkerung die Kosten unter Kontrolle zu halten. In Deutschland beispielsweise gibt es Festpreise und Rabattverträge. Diese Struktur wurde entwickelt, um auf einem Markt im Gleichgewicht und ohne nennenswerte Inflation einen planwirtschaftlichen Interessenausgleich zwischen Pharmaherstellern, Kostenträgern und den Versorgungseinrichtungen des Gesundheitswesens zu schaffen.
Doch ist dieses System bürokratisch statt marktwirtschaftlich. Daher ist es träge und nicht in der Lage, auf eine Krise wie die, die sich gerade abspielt, schnell zu reagieren. In vielen OECD-Ländern finden sich Systeme, die zwar anders strukturiert sind, aber ähnliche Folgen für das Marktgeschehen haben. Allesamt sind sie auf stabile Verhältnisse angewiesen. Daher können die Generikahersteller die Preise nicht rasch genug erhöhen, und um bei bestimmten Produktlinien keine Verluste zu machen, wird die Produktion eingestellt oder reduziert.
Preissteigerung kaum zu vermeiden
Wenn diese Tendenz unverändert weitergeht, wird es zu zunehmenden Verknappungen auf den Generikamärkten kommen, bis auch die höherwertigen Biosimilars oder gar Originalpräparate betroffen sein könnten. Der einzige Ausweg ist es, eine Preissteigerung im Generikabereich zuzulassen, um sicherzustellen, dass sich die Produktion wichtiger Basismedikamente wieder lohnt. Dies kann nur durch einen Dialog der Hersteller mit den staatlichen Akteuren erreicht werden, bei dem die Mechanismen der Preisbildung transparent gemacht werden. Die Kostenträger werden dann die gestiegenen Arzneimittelkosten anderweitig kompensieren müssen. Eine Reduktion der Leistungsbreite und -tiefe der Krankenversorgung scheint in der Krise nicht vollständig vermeidbar zu sein. Auf Dauer kann uns nur eine Normalisierung der Energiepreise durch eine Verbesserung des Angebots helfen.
Dr. Jobst Landgrebe ist Managing Director, Gründer und Partner vom Beratungsunternehmen Cognotekt, das sich auf komplexe, daten- sowie forschungsgetriebene Branchen, insbesondere auf den Bereich Life Science, spezialisiert hat.