In der Pharmaindustrie ist Genauigkeit essentiell. Nicht nur bei der Herstellung, sondern auch bei der Kennzeichnung und Vermarktung von Medikamenten und Wirkstoffen. Dafür gibt es engmaschige Freigabeprozesse, die sicherstellen, dass alles fehlerfrei abläuft. Denn schon kleine Ungenauigkeiten können zu drastischen Folgen und hohen Strafzahlungen führen. Dennoch laufen diese Prozesse meist noch analog ab. Was es hier braucht, ist eine digitale Infrastruktur.
Wie man in der Corona-Pandemie deutlich gesehen hat, dauert es oft mehrere Monate oder sogar Jahre, bis neue Medikamente eingeführt werden. Ein Faktor, der hierzu beiträgt, sind langwierige Überprüfungsprozesse von Informationen zum Gebrauch, der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Denn daran sind zahlreiche Stakeholder beteiligt, die überprüfen, ob diese mit den medizinischen, rechtlichen und behördlichen Anforderungen übereinstimmen – kurz MLR-Prüfung.
MLR-Prüfung wie in den 90er Jahren
Aufgrund der strengen Regulierungsvorschriften sind viele verschiedene Stakeholder an den Prüfprozessen beteiligt, die miteinander kommunizieren müssen. Genau hier passieren oft Fehler. Denn vieles läuft noch manuell und analog ab. Das Ergebnis: unübersichtliche Papierberge, Laufzettel und ewige Feedbackschleifen via E-Mail. Dabei ist genau dieser MLR-Prozess von entscheidender Bedeutung, um die finanziellen, rechtlichen und rufschädigenden Risiken der Pharmaunternehmen zu minimieren. Gleichzeitig muss den Verbraucher:innen Zugang zu exakten Angaben über die Wirksamkeit von Arzneimitteln, Nebenwirkungen und anderen relevanten Informationen gewährleistet werden.
Das Gesundheitswesen und insbesondere die Pharmaunternehmen müssen jetzt aktiv werden. Denn wie in anderen Bereichen des Gesundheitssystems, hängt Deutschland auch hier im Punkt Digitalisierung noch weit hinterher. Denn die medizinische, rechtliche und regulatorische Prüfung läuft als wichtigster Kontrollpunkt für die Veröffentlichung von medizinischem Material noch immer wie in den 90er Jahren ab.
Irreführende Vermarktung kann zu Milliardenstrafe führen
Kommt es hier zu Ungenauigkeiten oder gar Fehlern, kann das schnell teuer werden. In den letzten 20 Jahren mussten Unternehmen in der Branche über 12 Milliarden Euro für die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zahlen. Die Hauptursache: Ungenaue Marketing- und Produktkennzeichnung. Die Fehlerquellen sind vielfältig: von irreführenden Darstellungen der Wirkungsmechanismen von Arzneimitteln bis hin zu Fehlern in den Beipackzetteln oder bei der Kennzeichnung der Medikamente. Schleichen sich hier Ungenauigkeiten ein, drohen hohe Geldstrafen.
Gelder, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch für Sparmaßnahmen in der GKV nutzen möchte. Durch eine moderne und effektive Kontrolle der Arzneimittelvermarktung bliebe mehr Geld für den Ausgleich des Kassendefizits und auch für den eigentlichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf in der Pharmabranche. Neben dem finanziellen Aspekt führen Ungenauigkeiten und Verstöße natürlich auch zu Reaktionen auf Seiten der Gesundheitsdienstleister und Patient:innen. Eine schlechte Reputation durch fehlerhafte Kommunikation von medizinischen Informationen kann mitunter einen Schaden für Pharmaunternehmen verursachen, der über Jahre hinweg anhält. Auch gesundheitliche Folgen auf Seite der Patient:innen sind nicht ausgeschlossen, wenn beispielsweise eine Dosierungsangabe inkorrekt oder missverständlich aufgedruckt ist.
Digitalisierung muss auch hier voranschreiten
Damit korrekte Kennzeichnungen gewährleistet und hohe Geldstrafen vermieden werden, braucht es digitale MLR-Prozesse. Gerade in einer hochtechnologisierten Branche wie der Pharmaindustrie darf daran nicht gespart werden. Genau hierfür gibt es bereits verschiedene MLR-Software Angebote auf dem Markt, die genau dazu beitragen – doch diese müssen auch genutzt werden. Durch solche Softwares werden MLR-Prüfungen transparenter, was wiederum die Versionsverwaltung vereinfacht. Dadurch lassen sich medizinische Inhalte schneller überprüfen und der Freigabeprozess wird für alle Beteiligten kooperativer.
Die Gesundheitsbranche und ganz besonders die Pharmaindustrie müssen jetzt handeln und Geld für die Digitalisierung dieses Prozesses in die Hand nehmen, um nicht von anderen Ländern weiter abgehängt zu werden. Auch von Seiten der Regierung sollte hier finanzielle Unterstützung kommen, um die Digitalisierung langfristig voranzutreiben und die medizinische Versorgungskette für die Gesellschaft weiter gewährleisten zu können. Das durch die Digitalisierung entstehende Einsparungspotenzial in der Pharmabranche kann dann wiederum sinnvoll eingesetzt werden.
Niklas Dorn ist CEO und Gründer der Feedback- und Freigabeplattform Filestage, welche unter anderem Pharmaunternehmen bei der Modernisierung des MLR-Review-Prozess unterstützt und es ermöglicht, Inhalte digital zu reviewen und freizugeben.