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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Ein harter Schlag für die Branche?

Leonie Sommer, Geschäftsführerin von OnlineDoctor Deutschland
Leonie Sommer, Geschäftsführerin von OnlineDoctor Deutschland Foto: OnlineDoctor

Was bedeutet das Urteil zum Werbeverbot in der Telemedizin für die Anbieter? Leonie Sommer, Geschäftsführerin von OnlineDoctor Deutschland, beschreibt die Folgen und erklärt, wieso die Dermatologie als Pionier zur Blaupause werden könnte. Vor allem die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften seien nun gefordert.

von Leonie Sommer

veröffentlicht am 20.12.2021

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Die Branche der deutschen Telemedizin-Anbieter hat das Urteil zum Werbeverbot in der Telemedizin mit Spannung erwartet. Das Ergebnis kam überraschend, in Zeitungen wird getitelt, dass die Euphorie der Branche durch das Urteil getrübt sei und Nachholbedarf bestehe. Dabei lässt sich eine derartig pauschale Antwort nicht formulieren. Es lohnt ein Blick in das Urteil und auf die verschiedenen Angebote für Telemedizin am Markt. Das Urteil schließt die Bewerbung für eine allgemeine Fernbehandlung aus. Im Kern beruft sich der Bundesgerichtshof darauf, dass bisher allgemein anerkannte fachliche Standards fehlen, die definieren, für welche ärztlichen Befunde eine Fernbehandlung eingesetzt werden könnte und für welche nicht. Solche Standards entwickeln sich im Laufe der Zeit und sind vor allem Sache der medizinischen Fachgesellschaften.

Nun stellt sich die Frage, ob sich bereits medizinische Fachgesellschaften mit der Integration der Telemedizin in die Versorgung befasst haben und ob es Angebote gibt, die Telemedizin nicht im Sinne einer allgemeinen Fernbehandlung betrachten. Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja. Auch wenn die Bewerbung für eine allgemeine Fernbehandlung vom BGH ausgeschlossen wurde, ist die Fernbehandlung unter Nutzung von Kommunikationsmedien grundsätzlich vom Gesetzgeber im Heilmittelwerbegesetz berücksichtigt. Das gilt aber nur für solche Angebote, die nach allgemein anerkannten fachlichen Standards einen persönlichen ärztlichen Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich machen.

Teledermatologie als Pionier

Ein Beispiel macht das anschaulich: Die Dermatologie ist ein visuelles Fach und deshalb besonders geeignet für die asynchrone Telemedizin. Entsprechend veröffentlichten die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) und der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) 2020 eine erste Leitlinie zur Teledermatologie. Darin definieren sie den Einsatz und die Limitationen der Telemedizin in der Dermatologie. Die Leitlinie ist der erste Schritt, um einen klaren Rahmen zu schaffen. Die Dermatologie ist damit federführend und ein Pionier, wenn es darum geht, digitale Angebote sinnstiftend in den dermatologischen Praxisalltag einzubetten. Jetzt gilt es mehr denn je, diese Position zu festigen und den Einsatz der Teledermatologie wissenschaftlich mit Studien und Versorgungsdaten zu evaluieren. In einer narrativen Übersichtsarbeit von nationalen und internationalen Studien zeigen Reinders et al. 2021 beispielsweise auf, dass diagnostische Anwendungen in einem Großteil der Fälle die teledermatologische Beurteilung bei hoher Konkordanz der Diagnose und Patientenzufriedenheit ermöglichen.

Mit dem Urteil des BGH sind die Fachgesellschaften aufgefordert, diese Leitlinien entlang des wissenschaftlichen Kenntnisstandes weiterzuentwickeln. Neben der Etablierung von Leitlinien arbeitet der BVDD seit 2019 daran, dem dermatologischen Fachpersonal in Deutschland geprüfte Angebote an die Hand zu geben. Das stärkt die Akzeptanz digitaler Tools und hilft niedergelassenen Ärzt:innen bei der Auswahl der richtigen Produkte. Hierzu hat er als einziger Fachverband eine Partnerschaft mit einem Telemedizin-Anbieter gestartet. Zusammen mit der Teledermatologie-Plattform OnlineDoctor setzt der BVDD dabei auf einen asynchronen Ansatz, das heißt die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen findet schriftlich und zeitversetzt statt. Aus Sicht des BVDD ist diese Lösung eine berufsrechtskonforme, patientenfreundliche und zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen, die die digitale Transformation im Gesundheitswesen an sie stellt. Mit OnlineDoctor können niedergelassene Dermatolog:innen steuern, welche Person mit einem Hautproblem wirklich in die Praxis kommen muss. Dieses sogenannte Triagieren funktioniert anhand eines Fragebogens und Fotos, die die Patient:innen hochladen. Das medizinische Fachpersonal gibt auf Basis der Informationen Therapieempfehlungen und eine Diagnose, wenn es der Fall erlaubt.

Dermatologische Fälle oftmals digital abgeschlossen

Da derartige bildgesteuerte Befundungen in der Dermatologie seit Jahren durchgeführt werden, gibt es einen soliden wissenschaftlichen Konsens: In etwa 85 Prozent der Fälle kann ein dermatologischer Fall digital abgeschlossen werden. Aber ein Arzt oder eine Ärztin muss laut dem BHG-Urteil die Möglichkeit haben, eine Person zum Beispiel abtasten und abhören zu können. Dieser Kritikpunkt ist ein Zentraler: Wie kann digital eine Untersuchung stattfinden? Beim Beispiel der Teledermatologie betrifft das immerhin 15 Prozent aller Fälle. Hier spielt der Faktor „Lokalität“ eine große Rolle, der in der Telemedizin meist nicht mitgedacht wird. Im Falle von Plattformen wie OnlineDoctor schon, denn hier stellen lokale Fachärzt:innen, die in der Nähe der erkrankten Person ihre Praxis haben, die Diagnose. Es wird also das bestehende Arzt-Patienten-Verhältnis in das Digitale verlängert, um Wartezeiten und Anfahrtswege zu umgehen.

Es ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht. Die Ärzteschaft und Apothekerverbände fordern schon seit Jahren, dass es wissenschaftlich evaluierte Qualitätsstandards und eine Integration der digitalen Medizin in die lokale Versorgung geben muss. Der BGH folgt mit seinem Urteil jetzt dieser Logik. Das Urteil bedeutet, dass Telemedizin in Deutschland evidenzbasiert und nachhaltig in die bestehende Versorgung integriert sein soll. Denn um die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu stärken, braucht es das Vertrauen der Ärzte- und Patientenschaft statt größtmöglicher Freiheit der Anbieter.

Leonie Sommer ist Geschäftsführerin von OnlineDoctor Deutschland.

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