„Als Teil der EU-Arzneimittelstrategie und aufbauend auf den Lehren aus der COVID-19-Pandemie plant die Kommission eine Evaluierung und Überarbeitung der allgemeinen EU-Rechtsvorschriften über Humanarzneimittel, um ein zukunftssicheres und krisenfestes EU-Arzneimittelsystem zu gewährleisten.“ So liest man auf der Website der Europäischen Kommission. Damit soll unter anderem die Gewährleistung des Zugangs zu erschwinglichen Arzneimitteln, die Förderung von Innovationen, auch in Bereichen mit medizinischen Versorgungslücken und eine bessere Versorgungssicherheit erzielt werden. So weit so gut.
Was wir allerdings aktuell in Deutschland erleben, sollte den verantwortlichen Entscheidern eine Warnung sein: Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es in Deutschland bei mehr als 470 Medikamenten Lieferengpässe – vor allem im Bereich der Kinderarzneien, Antibiotika, Antihistaminika und Krebsmittel. Fragt man nach den Gründen für den untragbaren Zustand für Patienten, Ärzte und Apotheker ist man schnell beim Thema teure Regulierung und immer neuen Kostendämpfungsmaßnahmen. Wie sollte man sich auch sonst den aktuellen Schnellschuss der gesetzlichen Krankenkassen erklären, die Medikamentenpreise für 180 betroffene Arzneien anzuheben. Damit sollen Pharmaunternehmen motiviert werden in Bereichen die Produktion zu verstärken oder wieder aufzunehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen zurückgefahren wurden.
Flickwerk kann nichts retten
Kurz gesagt, man versucht zu flicken, was man sehenden Auges über Jahre hinweg zerschlissen hat: eine funktionierende und gesicherten Arzneimittelversorgung. Und bei einem Flickwerk wird es wohl auch bleiben, gelten die angekündigten Maßnahmen doch nur für drei Monate. Das allein zeigt schon, wie wenig realistisch die Sicht auf die Lage ist.
Schlimmer noch: Während sich für die Bevölkerung nie dagewesene Lücken in der Versorgung auftun, die für alle greifbar und spürbar sind, wird in Brüssel über eine neue Arzneimittelstrategie diskutiert, die im schlimmsten Fall die Entwicklung künftiger Medikamente massiv behindern wird. Sollte tatsächlich der Patentschutz zur Verhandlungsmasse, zum Druckmittel, werden, wird letztlich das Gleiche geschehen, wie wir es aktuell beispielsweise bei Ibuprofen-haltigen Fiebersäften für Kinder beobachten: Investiert wird woanders, die Verfügbarkeit sinkt und benötigte Medikamente werden in andere Märkte verkauft. Investitionen in innovative Therapien und Medikamente werden zurückgehen, da gerade in der Frühphase mit hohem Risiko Investitionsentscheidungen neu bewertet werden müssen.
Vielmehr sollten die verantwortlichen Europäischen Gremien dafür sorgen, das Forscher:innen weniger mit Bürokratie und Regulierung belastet werden und dafür die Rahmenbedingungen für Risikokapital-Investitionen verbessert werden, um so schneller lebensrettende Innovationen voranzutreiben. BioNTech hat uns gezeigt, welche Bedeutung Schnelligkeit und Skalierbarkeit in diesem Bereich haben. Warum also erst Hürden abbauen, wenn es bereits Engpässe und Versorgungslücken gibt? Es geht darum nachhaltig die Bedingungen so zu gestalten, dass wir künftig möglichst nie wieder in der Tagesschau hören müssen, dass Menschen um ihre und ihrer Kinder Gesundheit bangen müssen, da die notwendigen Medikamente fehlen.
Rainer Westermann ist Vorstandsvorsitzender der Life Sciences Acceleration Alliance.