Laut dem aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC bleibt nur ein schmales Zeitfenster, um die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu verhindern. Dafür soll auch der emissionsreiche Gesundheitssektor bis spätestens 2030 klimaneutral werden, wie der Deutscher Ärztetag 2021 beschlossen hat. Trotzdem stieg die Nutzung von Lachgas, einem hochpotenten Treibhausgas, vor allem als Narkosemittel bei Geburten in den letzten gut zehn Jahren in Deutschland drastisch an – und das obwohl es vollständig verzichtbar ist. Was aber bringt Eltern dazu, schon bei der Geburt ihrer Kinder zu einer Krise beizutragen, welche – bei fehlender tiefgreifender Veränderung – Teile der Welt für die nächste Generation unbewohnbar machen wird?
Blickt man auf die medial vielfach betonten Vorteile des Einsatzes von Lachgas, bekommt man das Gefühl, dass es sich um das optimale Medikament für eine moderne Geburt handelt: Lifestyle-Magazine berichten Verheißungsvolles und schüren Ängste über sonst traumatische Geburten. Geburten in Krankenhäusern sollten schließlich heute für die Gebärenden möglichst selbstbestimmt, schmerzarm und informiert ablaufen.
Lachgas wird gern beworben mit nebenwirkungsarmer und schneller Schmerzausschaltung, welche den einzigartigen Vorteil der selbstgesteuerten Dosierung böte und sogar eine Periduralanästhesie (PDA) ersetzen könne. Dem entgegen steht, dass nie wissenschaftlich sauber gezeigt werden konnte, dass Lachgas im Rahmen von Geburten einem Placebo überlegen ist, oftmals trotzdem eine PDA notwendig wird sowie in fast einem Drittel der Anwendungen Übelkeit und Erbrechen auftreten. Es bestehen außerdem Hinweise, dass Lachgas bei fehlender Absaugung zu vermehrten Fehlgeburtsraten beim weiblichen Personal führen könnte. Auch in Tiertierexperimenten und Laborstudien gab es immer wieder Hinweise auf Schädigung von Erbgut und Störung von Stoffwechselprozessen. Über diese relevanten Gesundheitsrisiken und Nebenwirkungen werden Gebärende noch immer nicht ausreichend aufgeklärt.
Lachgas schlichtweg verzichtbar
Auch Professor Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtshilfe am Uniklinikum Jena hält Lachgas für absolut verzichtbar zur Begleitung von Geburten: „Lachgas wird geduldet und eingesetzt, obwohl es keine Empfehlungen seitens medizinischer Fachgesellschaften gibt. Die Sensibilisierung der Gebärenden für die Klimaschädlichkeit dieses Medikaments sollte helfen, seinen Einsatz zu reduzieren.“ In seiner Klinik wird Lachgas, genau wie die PDA, nur sehr selten nötig, Geburten werden trotzdem als positiv erlebt.
Eine PDA ist ein sicheres und seit Jahrzehnten etabliertes Verfahren zur deutlichen Schmerzreduktion. Dennoch wird die PDA angesichts der höheren Invasivität – eine Nadel wird nahe an die Nerven des Rückenmarks geschoben – in verschiedenen nicht-medizinischen Medien teils undifferenziert kritisiert und Schwangere werden mit der Überbetonung äußerst seltener Folgen wie Schädigung von Nervenbahnen oder Infektionen verunsichert. Insbesondere massive Vorteile wie einfachere Umstellung auf einen dringlichen Kaiserschnitt ohne Vollnarkose (und somit Erhalt der gemeinsamen „goldenen ersten Stunde“ direkt nach Entbindung!) und eigenständig kontrollierbare Schmerzhemmung bei erhaltener Wachheit sowie geistiger Klarheit machen die PDA zum Standardverfahren – und Lachgas schlichtweg verzichtbar.
Großes Potenzial für weniger Emissionen
Lachgas ist als Treibhausgas etwa 298-mal potenter als CO2. Im skandinavischen und anglo-amerikanischen Raum wird Lachgas im Rahmen von Geburten seit Jahrzehnten regelhaft eingesetzt, wodurch es in England beispielsweise allein zirka zwei Prozent des CO2-Fußabdrucks des gesamten Gesundheitssystems verursacht. In Deutschland spielte Lachgas als Narkotikum lange eine untergeordnete Rolle. Ab der Markteinführung einer für Geburten vorgefertigten Mischung 2009 stieg die Nutzung jedoch sprunghaft an. Ein Schelm, wer hier an erfolgreiche Werbung durch Pharmaunternehmen denkt.
Je nach eingesetztem Equipment, Dauer der Geburt und Einhaltung von herstellerseitig empfohlenen Maximaldosen werden oftmals Emissionen getätigt, die in etwa dem CO2-Äquivalent von 30 bis 150 Litern Benzin entsprechen. Man kann also sagen, dass man je nach Fahrzeug pro Geburt bis zu einem Tank „verfährt“. Nun könnte man argumentieren, dass es für ein solch einmaliges individuelles Ereignis wie eine Geburt diese Menge an Emissionen akzeptabel wäre – der Bali-Urlaub dürfte ja deutlich mehr verursachen. Die Bedrohung durch die Klimakrise ist jedoch vor allem ein gesellschaftliches Problem und muss gemeinsam gesellschaftlich gelöst werden. In Geburtszentren werden jährlich tausende Geburten begleitet, somit steigt der CO2-Fußabdruck dieser Einrichtungen durch den medizinisch nicht notwendigen Einsatz von Lachgas massiv an. Hier liegt also großes Potenzial einer Emissionsreduktion.
Gegenwart wichtiger als Zukunft?
Ein weiteres Argument für die Nutzung von Lachgas im ökonomisch geprägten Gesundheitssystem ist, dass es sich um ein scheinbar „kostengünstiges Verfahren“ handle. Der günstige Einkaufspreis ist jedoch nur aufgrund der sogenannten „Externalisierung von Kosten“ möglich. Das heißt: Die Folgekosten der Emission von Treibhausgasen werden erst in Zukunft in Form von sozioökonomischen Schäden auftreten (zum Vergleich: fast 30 Milliarden Euro für die Flutkatastrophe 2021). Das Umweltbundesamt rechnet mit knapp 700 Euro Folgekosten pro Tonne ausgeschiedenem CO2-Äquivalent, die aktuelle Bepreisung in der EU (nicht für Emissionen von medizinischen Treibhausgasen) zielt auf 25 bis 55 Euro pro Tonne ab.
Es handelt sich bei Lachgas also um ein teures Verfahren, die geringen unmittelbaren Kosten verschleiern das jedoch. Diese Rechnung gilt gleichermaßen für den Preisvergleich Bahnfahrt und Autofahrt: Die echte Quittung für den Sprit des Audi Q8 kommt erst beim eigenen Kind in einigen Jahren an. Aus alledem leitet sich ein geradezu ironisches Paradoxon ab, nämlich dass die Geburt von Kindern – also jenen, welche die Umweltschäden mit all ihren Folgen erleben werden – von massivem Ausstoß von Treibhausgasen in Form von Lachgas begleitet wird.
Der Hebel liegt in der Preisgestaltung
Kaum eine Gebärende würde während der Wehen das Angebot eines vermeintlich nebenwirkungsfreien Medikaments ablehnen, von dem sie glaubt, dass es zeitnahe Schmerzlinderung ermöglicht. Es ist die falsche Situation, um Entscheidungen für oder gegen eine Emission von Treibhausgasen abzuwägen. Die Aufklärung von Frauen über die Klimarelevanz von Lachgas bereits deutlich vor der Geburt ist sinnvoll und dazu soll auch dieser Artikel seinen Beitrag leisten. Dies stellt aber keinen ausreichenden Weg zur notwendigen drastischen Reduktion der Nutzung von Lachgas als Narkotikum dar, solange es in Kliniken großzügig angeboten und von Pharmafirmen direkt oder indirekt beworben wird.
Geburtshilfliche Abteilungen stehen in unserem ökonomischen System im Wettbewerb um die Schwangeren, die bei ihnen entbinden wollen – und werben dementsprechend auch für angebotene Therapien wie Lachgas. Ermutigen wir also auch Ärzteschaft und Klinikverwaltungen damit zu werben, dass in ihrem Kreißsaal eine optimierte Schmerztherapie unter der Geburt nach besten Standards angeboten wird – und gleichzeitig durch Verzicht auf Lachgas ein signifikanter Beitrag für die Zukunft der in diese unsere eine Welt geborenen Kinder leistet.
Der weitaus größere Hebel liegt darüber hinaus jedoch in der Gesetzgebung. Die Einführung eines den Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft angepassten Preises für emissionsreiche Therapien könnte den ökonomischen Druck der Krankenhäuser auf klimafreundliche und gleichwertige Behandlungsformen umlenken. Dadurch könnten Geburten zukünftig nachhaltig gestaltet werden und das Ziel eines klimaneutralen Gesundheitssektors in greifbare Nähe rücken.
Die Ärzte Christian Schulz und Ferdinand Lehmann sind Teil der Deutschen Allianz für Klima und Gesundheit (KLUG).