Der Reformeifer von Bundesgesundheitsminister Spahn lässt auch den bayerischen Krankenhäusern keine Verschnaufpause. Summa summarum brachte Jens Spahn in den 20 Monaten seiner Amtszeit 20 Gesetze auf den Weg. Denkwürdiger Schlusspunkt des vergangenen Jahres war für die Krankenhäuser ohne Frage das MDK-Reformgesetz. Auch 2020 wird die Spahn’sche Gesetzgebungsmaschinerie in ähnlichem Tempo weiterarbeiten – mit dem Referentenentwurf für die Reform der Notfallversorgung lieferte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bereits einen ersten Vorgeschmack.
Ob die bisherige Bilanz tatsächlich als Erfolg für das Gesundheitswesen verbucht werden kann, wage ich zu bezweifeln. Sicherlich: Die breite Öffentlichkeit und so mancher Medienvertreter lässt sich vielleicht davon beeindrucken, aber unter den Leistungserbringern wird die Kritik am Gesundheitsminister zunehmend lauter. Denn für keines der für die Krankenhäuser maßgeblichen Gesetze der letzten eineinhalb Jahre sind bislang Erfolge in Sicht. Das Gegenteil ist der Fall: Mit jedem Gesetz wird die Arbeit in den Krankenhäusern durch immer mehr Misstrauen, Bürokratie und immer unrealistischere Vorgaben erschwert. Die Beschäftigten fühlen sich zunehmend in die Ecke gedrängt und eine Verbesserung der Versorgung ist nicht festzustellen.
Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung bindet mehr Personal, als durch sie entlastet wird. Pflegekräfte werden aus dem Frei geholt, damit die Vorgaben eingehalten werden können. Krankenhäuser sehen sich gezwungen, Betten zu schließen, um die unrealistischen Vorgaben zu erfüllen. Schwer kranke Patienten finden im schlimmsten Fall keine aufnahmebereite Klinik.
MDK-Reform sorgt für viele Rechtsstreitigkeiten
Das MDK-Reformgesetz spült den Anwaltskanzleien durch die daraus resultierenden Unsicherheiten haufenweise neue Klienten ins Haus. Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern werden in den kommenden Jahren zunehmen und die Sozialgerichte weiter belastet. Bereits vor Inkrafttreten des MDK-Reformgesetzes liefen beim Landessozialgericht München dazu mehr als 2000 Klagen auf, bayernweit ist von einer fünfstelligen Summe auszugehen. Dabei sollte mit dem Gesetzentwurf genau das Gegenteil erreicht werden. Ganz zu schweigen davon, dass mit diskriminierenden Strafzahlungen die wirtschaftliche Schieflage der Kliniken drastisch verschärft wird.
Ohnehin ist das MDK-Reformgesetz symptomatisch für die Gesetzgebung unter Jens Spahn. Vieles ist gut gemeint, doch am Ende hat so manches Gesetz den gegenteiligen Effekt.
Statt innezuhalten, die angestoßenen Maßnahmen wirken zu lassen und Kritikpunkte aufzunehmen, geschieht momentan jedoch das Gegenteil: Es wird bereits das nächste komplexe Thema aufgerufen, mit großen Ankündigungen und Ansprüchen, ein öffentliches Echo entsteht, das Verfahren wird angesichts von massenhaften – auch sachfremden – Änderungsanträgen unüberschaubar und schließlich werden im Hauruckverfahren Beschlüsse durchgepeitscht, weil ein ambitionierter Zeitplan eingehalten werden muss. Mit diesem Tempo Schritt zu halten, ist nicht nur für Beobachter eine Herausforderung. Auch Parlament und Bundesrat tun sich offensichtlich zunehmend schwer, Abwägungen, Einwände und mögliche Auswirkungen zu berücksichtigen – es fehlt an der Zeit und damit an der nötigen Sorgfalt. In diesem Aktionismus ist so manches Gesetz schlichtweg handwerklich unsolide geraten.
Widersprüchlich und praxisfremd
Sicherlich sind Änderungen in unserem Gesundheitssystem notwendig und manche Maßnahme war überfällig, doch ist ein wesentlicher Teil der Vorgaben unausgegoren, widersprüchlich und praxisfremd. Zwischen den Rahmenbedingungen und alltäglichen Herausforderungen der Beschäftigten in den Kliniken vor Ort und dem, was im BMG, im Gemeinsamen Bundesausschuss und in der Selbstverwaltung in Berlin diskutiert wird, klafft derzeit eine beunruhigend große Lücke.
Was mich zudem beunruhigt, ist der gemeinsame Kontext, unter dem die vielen Einzelmaßnahmen entstehen. Zu viele Gesetze, Richtlinien und Verordnungen auf Bundesebene zeugen von einem Misstrauen und einer Negativmeinung gegenüber den Krankenhäusern. Es scheint mittlerweile Konsens der öffentlichen Diskussion, dass die Krankenhäuser falsch abrechnen, unnötige Leistungen erbringen, Personal ausbeuten etc. Eine solche Verallgemeinerung, noch dazu, wenn sie zur Grundlage von Gesetzgebung wird, dürfen sich die Krankenhäuser und ihre Vertreter nicht mehr gefallen lassen. Kontrollen bei Fehlverhalten und selbstverständlich auch Sanktionen sind notwendig. Aber wir dürfen unsere Mitarbeiter nicht permanent unter Generalverdacht stellen und ihnen mit überzogenem Rechtfertigungsdruck und zig Dokumentationen die Zeit für die Patientenversorgung und ihre Motivation rauben.
„Bürokratieabbau“ ist ein Fremdwort im Krankenhausbereich
Das Hohelied der Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze in den Kliniken, das regelmäßig besungen wird, klingt in den Ohren der Krankenhausbeschäftigen derzeit wie Hohn. Das Stichwort „Bürokratieabbau“ ist in der Politik immer noch en vogue, im Krankenhausbereich scheint es jedoch ein Fremdwort zu sein.
Die Luft für die Krankenhäuser wird immer dünner. Macht der Gesetzgeber so weiter wie bisher, wird durch die kalte Strukturbereinigung durch die Hintertür einigen Krankenhäusern demnächst die Luft ausgehen. Die Effekte der beschlossenen Gesetze werden sich in den kommenden Jahren einstellen. Wenn sich dann die Strukturen „bereinigt“ haben, wie es so mancher Politiker und Kassenvertreter wünscht – oder zumindest in Kauf nimmt – könnte es ein böses Erwachen geben.
Es ist deswegen höchste Zeit, dass sich Bundes- und Landespolitiker mit den Krankenhausvertretern an einen Tisch setzen, um über die Krankenhausversorgung der Zukunft – immerhin ein Kernstück unserer Daseinsvorsorge – zu diskutieren. Die Politik muss sich ihrer Verantwortung stellen.