Europäische Large-Cap-Pharmaunternehmen sind weder für dieses Jahr noch längerfristig ein überzeugendes Anlagethema. Der Grund dafür ist unsere negative Einschätzung ihrer Forschungs- und Entwicklungsproduktivität sowie der anhaltende Preisdruck, dem die Branche durch auslaufende Patente, den Wettbewerb durch Generika und den Preisdruck durch die Kostenträger im Gesundheitswesen ausgesetzt ist. Außerdem bieten diese Firmen generell kein überzeugendes Wachstumsprofil.
Bessere Chancen als großkapitalisierte Titel bietet beispielsweise die Medizintechnikbranche – etwa solche Unternehmen, die in Nischenmärkten mit geringem oder gar keinem Preisdruck tätig sind. Oder auch Firmen, die hohe Eintrittsbarrieren haben und einem niedrigeren Wettbewerbsdruck sowie geringeren regulatorischen Risiken ausgesetzt sind. Aussichtsreich erscheinen uns auch Unternehmen, die von den starken langfristigen strukturellen Wachstumsperspektiven profitieren, welche sich aus Bereichen wie der Digitalisierung, der Gesundheitsinfrastruktur, der Fernüberwachung von Patienten, den Möglichkeiten der Genomsequenzierung und den Trends zur Auslagerung der Arzneimittelentwicklung und -produktion ergeben.
Gesundheitsmarkt profitiert von fiskalischen Anreizen
Wir sehen ein sehr starkes Wachstumspotenzial in der Genomforschung, die den rasanten medizinischen Fortschritt weiter vorantreiben dürfte und daher vermehrte Investitionen erfahren wird. Dieser Sektor könnte in den nächsten fünf Jahren mit einer jährlichen Rate von über 12 Prozent wachsen. Überdies stimmt uns positiv, dass er eine sehr unterstützende Marktdynamik aufweist, mit einer quasi-monopolistischen Struktur im High-End-Segment der Genomsequenzierung. Starke Wachstumstrends beobachten wir auch in den Bereichen häusliche Betreuung und Fernüberwachung im Gesundheitswesen sowie grundsätzlich bei der Verbraucherorientierung des Gesundheitswesens. Hier gibt es Medizintechnikunternehmen, die attraktive Produkte in Nischenbereichen anbieten, die zu wenig diagnostiziert werden. Ein solches Segment ist zum Beispiel die obstruktive Schlafapnoe (nächtliche Atemaussetzer) – ein Markt, für den wir auf Sicht der nächsten fünf Jahre eine jährliche Wachstumsrate von 8 Prozent erwarten.
Die weltweit angekündigten fiskalischen Anreize sind beträchtlich und entsprechen bisher ca. 15 Prozent des BIP, wobei die Anreize in den USA und Großbritannien ca. 16 Prozent des BIP und in der EU ca. 8 Prozent betragen. Wir glauben, dass der Gesundheitssektor in gewissem Maße von den fiskalischen Stimuli profitieren wird, da er nach der Pandemie modernisiert werden muss und von vielen Regierungen als lohnenswerter Empfänger der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen betrachtet wird. Die Infrastruktur des Gesundheitswesens soll modernisiert und auf weitere Pandemien vorbereitet werden.
Umsätze für Impfstoffhersteller im Milliardenbereich
Solange wir uns in einer von der WHO definierten Pandemie befinden, verkaufen einige Pharmafirmen, wie zum Beispiel AstraZeneca ihr Produkt zum Selbstkostenpreis, so dass der Gewinnbeitrag geringer ist als der Umsatz. Die Impfstoffverkäufe beziehungsweise -verträge in diesem Jahr stammen von den fünf wichtigsten Herstellern, die bereits auf dem Markt sind: Moderna, AstraZeneca, Pfizer, J&J und Novavax. Diese Firmen sind in der Lage, bis zum Jahresende fast acht Milliarden Dosen zu produzieren. Hinzu kommen die russischen und chinesischen Vakzine. Die Umsätze werden von der Geschwindigkeit der Impfstoffdistribution und der Akzeptanzrate abhängen, wir halten einen Umsatz von 30 bis 50 Milliarden US-Dollar für realistisch.
Unternehmen wie Wuxi Biologics und Sartorius-Stedim dürften von dem anhaltenden Anstieg der Produktionskapazitäten für Medikamente profitieren, was in unseren Augen ein struktureller Trend und kein vorübergehendes Phänomen ist. Jenseits der Therapeutika werden Firmen wie Roche nicht von Impfstoffverkäufen profitieren, aber einen positiven Einfluss von Covid-Diagnosetests feststellen. Nicht zuletzt wirkt sich Covid auf die Forschung aus: Im April wurden 800 klinische Studien ausgesetzt, was die Kommerzialisierung von Medikamenten verzögern und mittelfristig die Erträge senken könnte.
Schwellenländer investieren mehr ins Gesundheitswesen
Geht die Krise weiter, wird der Gesundheitsbereich nach wie vor unterstützt werden. Generell sollte jede Regierung davon ausgehen, dass sich die durch Covid-19 ausgelöste Pandemie in eine endemische Erkrankung verwandeln wird, die die Menschheit für einige Zeit bekämpfen und managen muss. Dabei besteht ein ständiger Impfbedarf, ähnlich wie bei der jährlichen Grippe. Daher müssen die Regierungen sicherstellen, dass die Infrastruktur des Gesundheitswesens entsprechend aufgerüstet wird, um auch längere Zeiträume mit erhöhtem Kapazitätsbedarf bewältigen zu können.
Wir gehen davon aus, dass dies in Form von Kapazitätserweiterungen, beispielsweise für Intensivbetten in Krankenhäusern oder durch Investitionen in die Verbesserung der Auslastung und Verlagerung der Versorgung in kostengünstigere Einrichtungen erfolgen wird. Dies kann mittels Telemedizin geschehen, welche die Geschwindigkeit der Triage und die Bequemlichkeit und Effizienz bei der Behandlung von Patienten mit niedriger Krankheitslast weiterentwickelt. Oder durch den Einsatz von Fernüberwachungsgeräten, die die Therapietreue optimieren und in die medizinische Versorgung eingreifen können, bevor es zu teuren Verschlimmerungen kommt, die eine Krankenhausbehandlung erfordern.
Wir sehen insgesamt einen günstigen langfristigen strukturellen Wachstumstrend im Gesundheitswesen der Schwellenländer. Dies ist das Ergebnis der drei wichtigsten Treiber: eine wachsende Mittelschicht, eine alternde Bevölkerung in einigen der wichtigsten Märkte wie China sowie die Notwendigkeit der Schwellenländer, die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung weiter zu verbessern. Diese Märkte stehen zudem vor der Aufgabe, das zu bekämpfen, was wir in unseren thematischen Einschätzungen als die Krankheiten des 21. Jahrhunderts bezeichnen, nämlich Krebserkrankungen, Fettleibigkeit und Diabetes. Wir rechnen mit einem allmählichen Aufholprozess bei der Gesundheitsversorgung und einen raschen Anstieg der Investitionen in technologische Innovationen im Gesundheitswesen in diesen Regionen. Der Gesundheitssektor bietet daher in den Schwellenländern und in den entwickelten Märkten vergleichbare Chancen, die auch Möglichkeiten für die verstärkte Nutzung der Genomforschung, die Verbraucherorientierung des Gesundheitswesens, die Patientenfernüberwachung sowie die Digitalisierung und das Outsourcing des Gesundheitswesens umfassen.
Zehrid Osmani ist Leiter für globale, langfristige und indexunabhängige Strategien bei Martin Currie, einem spezialisierten Investment Manager von Franklin Templeton. Er stieß im Mai 2018 von BlackRock zu Martin Currie, wo er seit Januar 2008 unterschiedliche Führungspositionen innehatte. Osmani erhielt einen Bachelor of Arts in Wirtschaft und Finanzen von der Universität Paris-Sorbonne und einen Master in International Finance von der Universität Glasgow.