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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Mehr Marktwirtschaft für das Gesundheitswesen

Felix Hoffmann ist Vorsitzender von Purpose: Health e.V.
Felix Hoffmann ist Vorsitzender von Purpose: Health e.V. Foto: privat

Das Gesundheitswesen braucht neue Unternehmensformen, fordert Felix Hoffmann. Er ist Vorsitzender von Purpose: Health e.V. und Professor für Digital Health. In seinem Standpunkt erläutert er, wie solche nicht profitorientierten, aber privatwirtschaftlichen Firmen aussehen könnten und was das für das Gesundheitswesen und den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeutet.

von Felix Hoffmann

veröffentlicht am 24.03.2023

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Der primäre Sinn und Zweck eines privatwirtschaftlichen Unternehmens besteht darin, den Wert des Unternehmens zu steigern und Gewinne zu erwirtschaften, um das eingebrachte Kapital der Eigentümerinnen und Eigentümer zu vermehren. Das jedenfalls ist die Dogmatik der Shareholder-Value-Ökonomie, die seit der Zeit des Wirtschaftswunders immer mehr Verbreitung findet und auch die deutsche Wirtschaft prägt.

Im Gesundheitswesen gibt es zahlreiche Unternehmen, die dieser Dogmatik folgen und einen großen Teil der Versorgung sicherstellen. Die Vorteile liegen auf der Hand, denn der ökonomische Druck führt dazu, dass Versorgungsprozesse schlanker gestaltet und Ressourcen gespart werden – vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen eine sehr wichtige Entwicklung.

Die Motivation dahinter ist allerdings regelmäßig finanzieller Natur. Die Eigentumsstrukturen begünstigen die Entstehung von Fehlanreizen. Ärztliche Entscheidungen werden mittelbar durch finanzielle Interessen von Investorinnen und Investoren beeinflusst. Der Patient wird Mittel zum Zweck und erhält im Zweifel nicht die beste Behandlung, sondern die am besten bezahlte Behandlung.

Karl Lauterbach hat dem Profitstreben im Gesundheitswesen jüngst dem Kampf angesagt: „Im ersten Quartal 2023 werde ich einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet. Die Praxen müssen denen gehören, die dort tatsächlich arbeiten“, sagte er der „Bild“. Doch wie kann diese Lösung in der Praxis aussehen, ohne die ohnehin schon sehr komplexe Sozialgesetzgebung noch komplexer zu gestalten?

Neues Verständnis von Unternehmertum

Regelmäßig ist die Forderung nach einer Verstaatlichung von Gesundheitsunternehmen zu hören. Das ist eine schlechte Idee, denn es zeigt sich immer wieder, dass der Staat – und damit ist die gesamte öffentliche Hand gemeint – kein guter Unternehmer ist. Die Gematik als nationale Agentur für Digitale Medizin beispielsweise wurde vor fast 20 Jahren gegründet, um das Gesundheitswesen zu digitalisieren. Das Resultat ist trotz immenser Kosten ernüchternd. Deutschland liegt ausweislich zahlreicher Studien zur Digitalisierung im Gesundheitswesen im internationalen Vergleich weit zurück.

Der Vorteil privater Strukturen besteht darin, schnell und mitunter auch unkonventionell handeln zu können, ganz ohne umständliche Behördenstrukturen. Um am Markt langfristig zu bestehen, müssen Unternehmerinnen und Unternehmer sowohl die Qualität ihrer Dienstleistungen als auch die Kosten im Blick behalten. Das Ziel ist, mit möglichst geringem Ressourceneinsatz das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Wie kann diese große Power des Marktes auch im Gesundheitswesen genutzt werden, ohne Gesundheitsunternehmen zugleich zu Geldautomaten für private Investorinnen und Investoren zu machen? Wenn das Betriebsvermögen von Gesundheitsunternehmen an deren originärem Sinn und Zweck – den Purpose – gebunden ist und die Eigentümerinnen und Eigentümer keine Gewinne mehr für persönliche Zwecke entnehmen dürfen, dann steht dieses Geld für die Erfüllung des Purpose zur Verfügung. Die Vorteile der öffentlichen Hand werden mit den Vorteilen der privaten Wirtschaft verbunden, das Purpose-Unternehmen ist geboren. Und wenn die nicht ausgeschütteten Gewinne zumindest teilweise an die Beschäftigten weitergegeben werden, natürlich leistungsbezogen und zum Beispiel in Form von besseren Löhnen, dann wäre das eine zusätzliche Anerkennung dieser gesellschaftlich ausgesprochen wichtigen Tätigkeit.

Komplizierter Umweg über Stiftungsmodelle

Purpose-Unternehmertum, auch Verantwortungseigentum genannt, lässt sich auf verschiedene Arten umsetzen. Einige Unternehmen wie die Bosch GmbH haben die dauerhafte Vermögensbindung über komplexe Stiftungsmodelle umgesetzt. Für kleine Unternehmen oder Start-ups ist der Aufwand für komplexe Lösungen zu groß. Organisationen wie die Purpose Stiftung bieten mit ihrem Veto-Anteils-Modell einen Workaround an. Dabei wird jede Abkehr von den Purpose-Grundsätzen durch entsprechende Stimmrechte verhindert.

In einigen europäischen Ländern existiert für Gesellschaften mit gebundenem Vermögen eine eigenständige Rechtsform oder es gibt bessere rechtliche Rahmenbedingungen. In Dänemark beispielsweise entspricht die Marktkapitalisierung aller Unternehmen in Verantwortungseigentum knapp 70 Prozent des Werts des dänischen Aktienindex. Es konnte gezeigt werden, dass diese Unternehmen deutlich resilienter gegen Krisen sind als herkömmliche Unternehmen. 

Das deutsche Gesellschaftsrecht hingegen kennt bislang keine eigenständige Rechtsform für Unternehmen mit gebundenen Vermögen. Der Umweg über oben beschriebene Stiftungsmodelle ist kompliziert und teuer und für die allermeisten KMU nicht gangbar. Zudem sind Stiftungen zu anderen Zwecken erdacht worden als für das Halten unternehmerischer Anteile.

Gesundheitswirtschaft braucht Verantwortungseigentum

Erfreulicherweise hat die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Absicht erklärt, eine neue Rechtsform für Gesellschaften mit gebundenen Vermögen zu schaffen: „Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt.“

Diese neue Rechtsform könnte ein Gamechanger sein. Denn erstens wird der Wirtschaftsstandort Deutschland durch die Erweiterung unternehmerischer Möglichkeiten gestärkt. Zweitens würde das Gesundheitswesen davon profitieren, denn Gesellschaften mit gebundenen Vermögen wären insbesondere für Versorgungseinrichtungen wie Krankenhäuser oder medizinische Versorgungszentren eine interessante Alternative zur öffentlichen oder profitorientierten Trägerschaft. Und drittens kann diese Option zur Entbürokratisierung beitragen, weil zahlreiche andere Regelungen der Sozialgesetzgebung überflüssig werden, die der Kommerzialisierung entgegenwirken sollen.

Die Ampel-Regierung hat noch genügend Zeit, dieses Gesetzesvorhaben umzusetzen. Das Gesundheitswesen hat allerdings keine Zeit mehr zu verlieren, um einen Kollaps zu vermeiden. Und so sollten Karl Lauterbach und Marco Buschmann die historische Chance rasch ergreifen, das Gesundheitswesen mit den Werkzeugen der Marktwirtschaft zu erneuern.

Dr. Felix Hoffmann ist Vorsitzender von Purpose: Health e.V. und Professor für Digital Health an der Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft.

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