2021 war ein Rekordjahr für das Gesundheitswesen – nie ist mehr Risikokapital in gesundheitsbezogene Lösungen, Unternehmen und Start-ups geflossen. Verantwortlich dafür war vor allem die COVID-19-Pandemie, die einen regelrechten Forschungs- und Entwicklungsboom im Sektor ausgelöst hatte. Insofern war es fast erwartbar, dass die Zahlen nach einiger Zeit zurückgehen würden.
Nun stehen der Gesundheitssektor und die Pandemie noch immer im Fokus der deutschen und internationalen Gesellschaft. Allerdings sind mit dem Ukraine-Krieg und der teilweise dadurch verstärkten Inflation neue Themen auf die Agenda gerutscht, die das allgemeine Investitionsklima zuletzt eher gedrückt als gefördert haben.
Und diese Veränderungen spiegeln sich auch in den Investitionen im Gesundheitssektor wider – allerdings nicht so stark wie erwartet, da das Gesundheitswesen als widerstandsfähiger Sektor gilt. Alle sechs Monate veröffentlicht die Silicon Valley Bank einen Bericht zum Healthcare-Bereich, der umfassende Daten über die Investitionen von Risikokapitalgebern in neue und bestehende Unternehmen auf dem Markt enthält. Die Ergebnisse des aktuellen Healthcare Investments and Exit Reports zeigen, was in der ersten Hälfte des Jahres passiert ist und mit welchem Ausblick gerechnet werden kann.
Weniger Exits, Fusionen und Übernahmen
Aus dem Report geht hervor, dass die Investitionen im Healthcare-Bereich insgesamt angestiegen sind – trotz der Angst vor einer Bewertungsinflation und trotz einer relativ schlechten IPO-Performance. Die IPO-Performance beschreibt die Exits, die durch Wagniskapital finanzierte Unternehmen in einem Zeitraum durchlaufen, zum Beispiel wenn sie an die Börse gehen. Nach einem Rekord bei den Exits im Jahr 2021 waren die Börsengänge im ersten Halbjahr 2022 in allen Sektoren rückläufig, da der öffentliche Markt die Möglichkeiten für Börsengänge weitgehend blockierte. Private Fusionen und Übernahmen litten ebenfalls, da Investoren sich darauf konzentrierten Barmittelbestände zu erhalten und lediglich bestehende Investments auszubauen, anstatt neue Unternehmen zu kaufen.
Die zweite Erkenntnis aus dem Report ist, dass sich sogenannte Early-Stage-Investoren, also Geldgeber, die sich auf die Frühphase von Unternehmen konzentrieren, auf eine Abschwächung vorbereiten. Zwar sind die Frühphaseninvestitionen im Healthcare-Bereich insgesamt auf dem besten Weg, das Niveau von 2021 auch in 2022 zu erreichen. Allerdings ist ein starker Rückgang des zweiten gegenüber des ersten Quartals erkennbar, was auf eine Verlangsamung im zweiten Halbjahr 2022 hindeutet: Viele Unternehmen werden nach zusätzlichen Mitteln suchen, um ihre Liquidität bis 2023 zu sichern.
Mit Blick auf das Gesamtjahr 2022 und darüber hinaus lässt sich festhalten, dass die Finanzierung von Risikokapital im Gesundheitswesen trotz der makroökonomischen Rahmenbedingungen weiterhin auf einem sehr hohen Niveau stattfindet. die Silicon Valley Bank geht jedoch davon aus, dass die Risikokapitalgeber das Tempo im Vergleich zu 2021 verlangsamen werden. Nach dem Rekordjahr 2021 dürfte 2022 damit “nur noch” das zweitgrößte Investitionsjahr aller Zeiten im Gesundheitswesen werden – was nach wie vor sehr beeindruckend ist.
Sophie Ehrlich ist Healthcare Bankerin bei der Silicon Valley Bank (SVB) in London und konzentriert sich auf die Unterstützung innovativer digitaler Gesundheits- und Medizintechnikunternehmen in der EMEA-Region.