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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Gesundheits-Apps fairer gestalten

Stephen Gilbert, Professor für Medical Device Regulatory Science
Stephen Gilbert, Professor für Medical Device Regulatory Science Foto: EKFZ_DG

Nur ein Bruchteil der Gesundheits-Apps verfügt über die erforderliche Zulassung. Google und Apple kommen ihren Verpflichtungen nur bruchstückhaft nach, kritisiert der Digital-Health-Professor Stephen Gilbert. Das Problem seien die Interessenkonflikte der Plattformbetreiber.

von Stephen Gilbert

veröffentlicht am 20.02.2023

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Google und Apple beherrschen als „Duopol“ nahezu den gesamten Zugang zu Smartphone-basierten Gesundheits- und Wellness-Apps. So listet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) insgesamt 42 digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) – sogenannte „Apps auf Rezept“. Davon werden 62 Prozent über die App Stores von Google und Apple angeboten und bei 42 Prozent der gelisteten DiGAs hat der Patient keine Alternative zum Zugang über den App Store.

Um in die Liste der verschreibungspflichtigen Produkte aufgenommen zu werden, müssen sich DiGAs zusätzlichen Prüfungen durch das BfArM unterziehen. Für Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukt CE-gekennzeichnet sind, gibt es dagegen keine zusätzlichen Prüfungen auf Sicherheit und Leistungsfähigkeit. Das CE-Zeichen soll zeigen, dass ein Produkt vom Hersteller geprüft wurde und geltende EU-Anforderungen erfüllt. In einem kürzlich mit Kollegen in der Fachzeitschrift „NPJ Digital Medicine“ veröffentlichten Artikel haben wir beschrieben, dass jeder Entwickler eine Gesundheits-App in den App Store, insbesondere bei Google, hochladen kann, indem er nur eine minimale Checkliste ausfüllt, ohne dass der rechtliche Status oder die Qualität der Software überprüft wird.

Mit der EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) von 2017 wurden nicht nur Anforderungen an die Entwickler von Apps eingeführt, sondern die Betreiber von App Stores fungieren rechtlich als Vertreiber und legale Importeure der Apps von Entwicklern außerhalb der EU. Seit 2021 sind sie für die von ihnen angebotenen Gesundheits-Apps verantwortlich. Sie müssen sicherstellen, dass die Apps dem EU-Medizinprodukterecht entsprechen und die Behörden über schwerwiegende Vorkommnisse im Zusammenhang mit ihrer Nutzung informieren.

Zwar gibt es viele zuverlässige und sichere Gesundheits-Apps, aber eben nicht nur. So werden auch Apps angeboten, die weder sicher sind, noch den grundlegenden rechtlichen Anforderungen entsprechen. Soche Apps werden nicht nur Patienten, sondern auch Ärzten direkt als klinische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, etwa als Dosierungsrechner. Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab, dass nur eine von 74 untersuchten Apps (1,4 Prozent) über die erforderliche Zulassung verfügte. Dennoch waren 66 Apps (89,2 Prozent) im Google Play Store und acht (10,8 Prozent) im Apple App Store erhältlich.

Die Interessenkonflikte von Apple und Google

Auf große Macht folgt große Verantwortung. Bislang kommen die beiden Tech-Giganten ihrer Pflicht, die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen, jedoch nur bruchstückhaft nach. Erhebliche Interessenkonflikte hindern sie daran, ihre rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Google und Apple sind zwar als Plattformanbieter sehr mächtig, haben bei den Prdukten aber durchaus Konkurrenz. So bietet Apple etwa selbst Apps zur Überwachung der Herzfrequenz über Smartwatches an, genauso wie kleinere Hersteller. Und Google hat eine CE-gekennzeichnete App entwickelt mit der Verbraucher mithilfe der Smartphone-Kamera personalisierte Informationen über ihre Hautprobleme finden – eine Funktionalität, die in fast identischer Form auch von unabhängigen App-Entwicklern angeboten wird.

Kleinere Entwickler haben jedoch keine andere Wahl, als sich an die großen Distributoren zu wenden, die gleichzeitig Hauptkonkurrenten sind. So sind Apple und Google als Plattformbetreiber im Vorteil und können etwa die Reihenfolge, in der Apps präsentiert oder hervorgehoben werden, kontrollieren oder sogar ihre eigene Software über ihr Betriebssystem auf Hardwaregeräte vorinstallieren.

Der Digital Markets Act (DMA) der EU erkennt an, dass große Online-Plattformen als Gatekeeper in digitalen Märkten agieren und „die Fähigkeit haben, eine große Anzahl von Endnutzern und Unternehmen zu beeinflussen, was das Risiko unlauterer Geschäftspraktiken mit sich bringt“. Deshalb soll insbesondere für Unternehmen, die von diesen Gatekeepern abhängig sind, ein faires Geschäftsumfeld geschaffen werden, in dem es echten Wettbewerb gibt. Es geht darum zu verhindern, dass unfaire Bedingungen die Entwicklung der Unternehmen bremsen.

Unfaire Bedingungen verhindern 

Der DMA sieht auch eine dynamische Aktualisierung der Gatekeeper-Verpflichtungen vor, mit Abhilfemaßnahmen zur Bekämpfung systematischer Verstöße und empfindlichen Strafen von bis zu 20 Prozent des weltweiten Umsatzes bei wiederholten Verstößen sowie der Möglichkeit, im Falle systematischer Verstöße Unternehmensteilen veräußern zu müssen. Deutschland hat bei der Verfolgung unlauterer Wettbewerbspraktiken der großen Tech-Plattformen durch die 10. Novelle des deutschen Wettbewerbsgesetzes von 2021 eine Vorreiterrolle eingenommen und im Bereich der App Stores könnte es sein, dass Aspekte des unlauteren Wettbewerbs vor deutschen Gerichten und nicht auf EU-Ebene behandelt werden.

Regulierte digitale App-Apotheken als Alternative

Mögliche Ansätze zur Lösung der großen Interessenkonflikte könnten darin bestehen, Google und Apple zu zwingen, konkurrierende App Stores für ihre iOS- und Android-Umgebungen zuzulassen – eine Richtung, in die sich die App Stores seit der Einführung der neuen EU-Wettbewerbsregeln bewegt haben. Im Bereich der Gesundheits-Apps könnten spezialisierte und regulierte digitale App-Apotheken entwickelt werden, die als unabhängige Organisationen die Beschwerden für Apps kuratieren, überwachen, dokumentieren und bearbeiten. Im Gegensatz zu den bestehenden App Stores hätten digitale App-Apotheken keine grundlegenden Interessenkonflikte.

Ein zweiter Ansatz könnte es sein, das existieriende Duopol bestehen zu lassen, aber eine vollständige und transparente Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen durchzusetzen. Dies würde eine aktive Überwachung von Beschwerden und die Überprüfung von Daten durch die App Stores sowie die Meldung (schwerwiegender) unerwünschter Ereignisse erfordern. Diese Ansätze müsste damit einhergehen, das eigene App-Entwicklungsgeschäft für Medizinprodukte als Google und Apple veräußern oder vom App-Store-Geschäft vollständig trennen zu müssen. 

Damit sich der Sektor der Gesundheits- und Wellness-Apps sicher entwickeln kann, müssen die „Wildwest“-Aspekte des Marktes beseitigt werden. Alle Beteiligten würden von einer Verbesserung der App-Store-Modelle profitieren, um die Bereitstellung digitaler Gesundheitsanwendungen in der EU auf Dauer sicherer, besser und fairer zu gestalten. Wenn die EU-Gesetzgebung in Kraft tritt, könnte sie als Vorbild für andere Regionen der Welt dienen.

Stephen Gilbert ist Professor für Medical Device Regulatory Science am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit an der TU Dresden und dem Dresdner Universitätsklinikum.

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