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Standpunkte Was wir von Norwegen & Co. lernen können

Cornelius Maas ist Digital-Health-Experte und Partner beim Healthcare Growth-Investor SHS Capital
Cornelius Maas ist Digital-Health-Experte und Partner beim Healthcare Growth-Investor SHS Capital Foto: SHS Capital

Vor Kurzem hat Gesundheitsminister Lauterbach eine Digitalisierungsstrategie fürs deutsche Gesundheitssystem vorgestellt – doch Basics wie elektronische Patientenakte oder E-Rezept stehen noch immer nicht. Die große Sorge: Datenschutz. Dabei handle es sich fast schon um deutschlandspezifisches Phänomen, meint der Digital-Health-Experte Cornelius Maas im Standpunkt. Jedenfalls wirke die fehlende Liberalität bei den regulatorischen Bedingungen abschreckend auf potenzielle Investoren.

von Cornelius Maas

veröffentlicht am 29.03.2023

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Wenn es um Digital Health geht, fällt das Zusammenspiel zwischen Politik, Behörden, Krankenkassen und den innovationstreibenden Wachstumsunternehmen im paneuropäischen Vergleich doch recht unterschiedlich erfolgreich aus. Deutschland, als einer der größten Gesundheitsmärkte Europas, ist an dieser Stelle leider kein Vorreiter.

Das ist an sich nichts Neues und bereits eingehend besprochen. Es bleibt aber die Frage nach Lösungen – die es bei unseren europäischen Nachbarn teilweise schon gibt. Können wir uns dort etwas abschauen? Und wenn ja, was? Eines meiner Vorzeigebeispiele für eine gelungene Entwicklung des digitalen Healthcare-Marktes sowie des Zusammenspiels der oben genannten Parteien ist Norwegen.

Jede vierte Hausarztbehandlung online

In dem bereits Anfang 2000 von der norwegischen Regierung veröffentlichten Papiers eNorway wird etwa Telemedizin nicht als zukünftige Option, sondern als Notwendigkeit dargelegt. Auch die Regulatorik in Norwegen für Telemedizin erscheint liberal: Laut dem hiesigen Gesetz für Gesundheitspersonal §2,6,16 sind die behandelnden Ärzt:innen frei in der Wahl, wie sie ihre medizinische Beratung leisten – ob digital oder analog spielt hierbei keine Rolle. Es ist nicht verwunderlich, dass im Jahr 2021 in Norwegen 27 Prozent aller Hausarztbehandlungen online stattfanden.

Ein Kontrast zu Deutschland, wo die Situation bis vor Kurzem folgendermaßen aussah: Aufstrebende Unternehmen wie Zava oder Kry zogen hierzulande aufgrund der bisherigen nationalen Regel von maximal 30 Prozent Telemedizin ihre Geschäftsaktivitäten im Telemedizin-Bereich zurück. Das Fatale hierbei: Das Telemedizin-Angebot trifft eigentlich den Zeitgeist. Eine von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass sich mehr als die Hälfte aller Befragten die Videosprechstunde als Standardangebot von Ärzt:innen wünscht. Dieser Wunsch scheint nun (endlich) gehört zu werden, denn das Bundesministerium für Gesundheit hat kürzlich versorgungsrelevante Weiterentwicklungen im Rahmen seiner Digitalisierungsstrategie vorgestellt. Dazu zählt auch die Aufhebung der 30-Prozent-Limitierung.

E-Rezept ist Standard

Andere Hemmschuhe sind hierzulande meines Erachtens das in § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verankerte Werbeverbot sowie vor allem das Erstattungs-Regime, das in Deutschland zu bis zu 30 Prozent Abschlägen führt, wenn die ärztliche Leistung digital erfolgt. Ich verstehe alle Ärzt:innen, die aufgrund eigener ökonomischer Gegebenheiten hier zu Lande deswegen lieber analog behandeln. In Norwegen spielt es in diesem Kontext dagegen keine Rolle, ob die ärztliche Konsultation digital oder analog erfolgt.

Auch der Vergleich zwischen Norwegen und Deutschland beim Thema E-Rezept ist eindeutig: So ist es in Norwegen Standard, dass Ärzt:innen dank des elektronischen Patienten-Journal-Systems (mit entsprechender Lizenz) Medikamente per E-Rezept verschreiben, so dass Patient:innen diese in der Apotheke ihrer Wahl einlösen können. In Deutschland ist es bis dahin noch ein weiter Weg, schaut man sich die aktuellen Zahlen des E-Rezeptes hierzulande an.

Innovation braucht Mut

Ein weiteres positives Beispiel aus Norwegen ist das Zusammenspiel aller Beteiligten. Hier setzte die Regierung in der Coronakrise auf die Zusammenarbeit mit jungen und eben deswegen dynamisch agierenden Healthcare-Unternehmen. So hat beispielsweise die junge norwegische digital-analoge Healthcare-Plattform Dr.Dropin das offizielle Mandat erhalten, das Corona-Testing am Osloer Flughafen durchzuführen.

Ein Projekt solchen Ausmaßes an ein Jungunternehmen zu vergeben, anstatt an einen der etablierten Platzhirsche, war ein Wagnis – das in Norwegen aufging: Dr.Dropin hat in der Zwischenzeit mehr als eine Million Reisende am Flughafen getestet.

Auch britischer Pragmatismus als Vorbild

Ein anderer positiver Lösungsansatz für das Zusammenspiel der involvierten Parteien ist in Großbritannien zu finden. Dortzulande arbeitet der National Health Service (NHS) eng zusammen mit Digital-Pionieren, wie zum Beispiel Cera Care. Die Gründer des Start-ups haben mir berichtet, dass es das Motto des NHS ist, gemeinsam aktiv nach Lösungen suchen.

Auch andere regulatorischen Behörden wie die sogenannte Care Quality Commission (CQC) haben den Ruf, pragmatisch Lösungsansätze zu eruieren, die einerseits natürlich regulatorische Compliance fordern, gleichzeitig aber ökonomische Anreize für die Innovationstreiber ermöglichen. Das mündet unter anderem in spannende Geschäftsmodelle wie asynchronen ärztlichen Konsultationen, deren Aufschwung ich mit Interesse beobachte.

Gute Voraussetzungen in Deutschland

Blickt man auf Deutschland beziehungsweise die hiesige Innovationslandschaft, ist eigentlich vieles gegeben: Wir haben Initiativen wie Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) und nun auch eine Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege und werden mancherorts sogar deswegen als Vorreiter in der digitalen Gesundheitswirtschaft gesehen. Bei näherer Betrachtung scheint es als Beobachter zuweilen jedoch manchmal eher ein Gegeneinander als ein Miteinander, was das Zusammenspiel der involvierten Parteien im definierten Initiativ-Rahmen angeht.

In meinen Gesprächen mit mehreren DiGA-Gründer:innen höre ich zum Beispiel von inkonsistenten Vorgaben der involvierten Behörden, was angesichts der teuren, langfristig angelegten Studienkonzepte wenig erfreulich ist – die ja auf vorher stattgefundenen Beratungen fußen. Auch unabhängig hiervon müssen wir uns in meinen Augen in Deutschland hinterfragen, wieso die Themen E-Rezept oder Gematik-Infrastruktur nur so langsam vorankommen – und sollten dringend daran arbeiten. Zuletzt in diesem Kontext erwähnenswert natürlich auch die Äußerungen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der gar das Verbot von Praxis-Investoren fordert.

Hürden für Markteintritt bleiben

Am Ende des Tages ist es doch im Interesse aller Beteiligten, an einem Strang zu ziehen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: die Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Patient:innen in Deutschland durch Innovation. Ich finde es bedenklich, dass internationale und stark wachsende Healthcare-Unternehmen mit innovativen Ansätzen die Erschließung des deutschen digitalen Gesundheitsmarktes depriorisieren, beziehungsweise sogar lancierte Aktivitäten zurückziehen.

Auch unsere SHS-Portfoliofirma Dr.Dropin, die in die großen Gesundheitsmärkte Europas vordringen möchte, findet in Deutschland nicht die liberalen regulatorischen Bedingungen, wie sie etwa im Heimatmarkt vorherrschen. Wir haben das Thema Deutschland-Expansion bei Dr.Dropin eingehend besprochen. Mein Votum – als in Deutschland ansässiger Investor – war leider ernüchternd: „Guys, I wouldn‘t advise you to go to Germany, there are other, more innovation-friendly countries.”

Cornelius Maas ist Digital-Health-Experte und Partner beim Healthcare Growth-Investor SHS Capital.

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