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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Gesundheitsversorgung braucht regionale Impulse

AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann, BKK-Dachverband-Vorstand Franz Knieps und der BMC-Vorstand
AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann, BKK-Dachverband-Vorstand Franz Knieps und der BMC-Vorstand Foto: AOK Bundesverband/BKK Dachverband/Markus Altmann

Im Koalitionsvertrag sowie in geplanten Gesetzesvorhaben hat die Bundesregierung angekündigt, die regionale Gesundheitsversorgung zu stärken. Dieses Vorhaben muss Initiativen vor Ort Rückenwind und Freiräume für passgenaue und innovative Versorgungskonzepte bieten. Es ist der Hebel, um den Reformstau im Gesundheitswesen „von unten“ aufzulösen. Und dafür braucht es weder neue Institutionen noch zusätzliche finanzielle Mittel.

von Carola Reimann und Franz Knieps

veröffentlicht am 22.05.2023

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Der in der Fachwelt seit langem bekannte Erneuerungsbedarf im Gesundheitswesen wird auch in der breiten Bevölkerung zunehmend erkannt. Die Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung in Deutschland nimmt ab; der Mangel an Ärztinnen und Ärzten sowie Pflege- und Gesundheitsfachkräften zählt zu den meistgenannten Problemen des Landes.

Die Potenziale der Gesunderhaltung und Krankheitsvermeidung sind kaum erschlossen und in seiner jetzigen Ausrichtung stößt das System finanziell und personell an seine Grenzen. Ursache dafür sind nicht etwa mangelnde Ressourcen, sondern der ineffiziente Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel. Gleichzeitig hat sich ein Reformstau aufgebaut. Regulierungsdichte und gesetzgeberische Tätigkeit im Gesundheitswesen nehmen seit Jahrzehnten stetig zu; die Probleme sind dadurch nicht kleiner geworden. Bürokratie und fehlende Handlungsspielräume führen vielerorts zu tiefer Frustration, zu hohen Kosten und behindern Innovationen. Die Dynamik und Potenziale der digitalen Transformation im Gesundheitswesen werden weithin unterschätzt.

Es mangelt nicht an Ideen, sondern an Wegen zur Umsetzung

Die Ursache für die fehlende Erneuerung liegt nicht etwa in fehlendem Ideenreichtum oder Innovationsgeist der Akteure. Im Gegenteil: Im Gesundheitswesen besteht hoher Gestaltungswille, auch und gerade in regionalen Projekten und Zusammenschlüssen von Akteuren vor Ort. Dies ist umso wertvoller, weil Bedarfe und Strukturen regionale Unterschiede aufweisen und spezifische Lösungen erfordern. Jedoch prallen Initiativen in Deutschland sowie Lösungen aus anderen Ländern zu häufig an verkrusteten Strukturen ab.

Regionalisierung bietet die Chance, flexible Innovationsräume für eine vernetzte, patientenorientierte und anpassungsfähige Gesundheitsversorgung auf der Höhe digitaler Möglichkeiten zu eröffnen, die sich in bedarfsbezogenen Strukturen und Abläufen neu organisiert. Der BMC versteht Regionalisierung als eine produktive, langfristig angelegte Erweiterung und Umgestaltung unserer Gesundheitsversorgung. Dafür gilt es in dieser Legislaturperiode die erforderlichen Startpunkte zu schaffen.

Regionalisierung hat schon begonnen

Ohnehin müssen die zahlreichen Handlungsbedarfe und die bereits angekündigten Reformen vor Ort adressiert und umgesetzt werden; dies allein weist in Richtung einer regionalen Differenzierung und Ausgestaltung. Angebote der Daseinsvorsorge sind zu einem Großteil kommunal organisiert und erfordern eine Zusammenarbeit auf dieser Ebene.

Zahlreiche Ärztenetze und Gesundheitsregionen, Akteure in gesetzlich konfigurierten Vernetzungsprojekten wie der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) oder strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP) sowie filialisierende Leistungserbringer arbeiten seit Jahren daran, Versorgung regional zu koordinieren und zu verbessern. Regionalisierung hat hier bereits begonnen. Die Modelle sind bislang aber nicht systematisch als Gestaltungsansatz aufgegriffen und regelhaft umgesetzt worden – obwohl sich vergleichbare Initiativen international vielfach bewähren.

Mut und Vertrauen als Ressource für die Zukunft

Regionalisierung heißt daher zweierlei: Die anstehenden Veränderungen aktiv in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken sowie die Beteiligten mit neuem Mut und neuen Möglichkeiten auszustatten und so zum wirksamen Handeln zu befähigen. Dies benötigt Freiräume und beinhaltet, dass funktionale Unterschiede zur Regelversorgung auf Zeit und neue, geeignete Organisationsformen bewusst zugelassen werden.

Regionale Gestaltung schließt auch die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, Vereine und weitere Akteure der Zivilgesellschaft ein; die Transformation der Gesundheitsversorgung gelingt nur als partizipative Ko-Kreation, wie es vor Ort möglich ist. Denn Regionalisierung ist weit mehr als ein technokratisches Projekt; sie schafft und vertieft Vertrauen und eine Kultur der Zusammenarbeit, die im Gesundheitswesen bislang zu kurz kommt. Die folgenden Überlegungen zeichnen einen Weg des Gelingens und entwickeln pragmatische Lösungen, um die Akteure in Regionen zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu befähigen und neue Ansätze für eine zukunftsgerichtete, digital unterstützte Transformation der Gesundheitsversorgung zu erschließen. Wir laden alle herzlich ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

Drei Ziele für eine regionale Gesundheitsversorgung

Die Gesundheitsversorgung der Zukunft muss ambitioniertere Ziele als bisher verfolgen. „Health is wealth“ – sowohl für den Einzelnen als auch die Gesellschaft – zeigt die Richtung für die Erneuerung des Solidarversprechens, jeden Menschen in eine umfassende Gesundheitsversorgung einzubeziehen. Sie sollte geprägt sein von Gesundheitsförderung und Prävention, Patientenzentrierung und -aktivierung sowie der Koordination der „Patient Journey“ durch die verschiedenen an der medizinischen und pflegerischen Versorgung Beteiligten – verbunden mit einer hohen Qualität und einem wirtschaftlichen Mitteleinsatz. Regionalisierung erlaubt, diese Ziele ineinandergreifend zu verfolgen:

  • Gestaltungsfreiheit für Akteure, um innovative Versorgungslösungen umzusetzen
  • Populationsorientierte Gesunderhaltung und Krankheitsvermeidung
  • Ein im Zusammenwirken sichergestellter flächendeckender Zugang zu Leistungen der Gesundheitsversorgung

Entscheidende Voraussetzung für das Entstehen spezifisch regionaler Versorgungsangebote sind Freiräume, die Akteure mit einem starken Willen zur Gestaltung, Innovation und Investition anziehen. Deregulierung durch Ausnahmeklauseln (re)aktiviert „Gestalterkoalitionen“, die diese Möglichkeiten ergreifen und schrittweise neue Organisationsformen, Versorgungsstrukturen und -prozesse entwickeln.

Flächendeckenden Zugang regional organisieren

Ein Fokus für regionale Initiativen ist die Stärkung einer umfassend verstandenen Primärversorgung. Damit wird eine flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung auch künftig sichergestellt. Große Potenziale liegen unter anderem darin, ambulante Pflege stärker mit medizinischer Versorgung zu verzahnen, unnötige stationäre Einweisungen zu vermeiden, das Management chronischer und komplexer Erkrankungen zu verbessern sowie prinzipiell Gesundheit zu fördern.

Neben der Koordination über verschiedene Leistungserbringende bzw. -standorte hinweg, ist die Integration aller unterstützenden und gesundheitsorientierten Angebote – medizinische, pflegerische, therapeutische, soziale Leistungen unter anderem – der Leitgedanke für die Zukunft.

Potenziale durch populationsorientierte Angebote erschließen

Regionalisierung folgt der Perspektive einer populationsorientierten Gesundheitsversorgung, die vorausschauend und intelligent „in Gesundheit investiert“. Sie schließt alle Menschen einer Region ein, erkennt spezifische Risiken und Bedarfe und weitet den Blick auf die sozialen Determinanten von Gesundheit.

Daraus entstehen neue Handlungsfelder, Verbindungen und Geschäftsmodelle für Gesundheit. Im Gesundheitssystem wird dies unter anderem wirksam durch zielgruppengerechte Prävention, die Verringerung zukünftiger Morbiditätslast und eine später einsetzende und geringere Pflegebedürftigkeit im Alter.

Dies ist ein Auszug aus dem Positionspapier „Besser regional“ des Bundesverbands Managed Care (BMC), das von den BMC-Vorstandsmitgliedern ausgearbeitet wurde, unter anderem von Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, und Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbands. Die Inhalte des Konzepts werden am Dienstag, 23. Mai, um 17 Uhr im digitalen BMC-Spotlight mit dem Vorstandschef des Verbandes, Lutz Hager, und dem BMC-Vorstandsmitglied Reimann vorgestellt und diskutiert.

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