Erweiterte Suche

Gesundheit & E-Health

Standpunkte I–MVZ – ein Modell für die Zukunft

Jörn Thiemer, praktizierender Zahnarzt und Geschäftsführer der KonfiDents GmbH
Jörn Thiemer, praktizierender Zahnarzt und Geschäftsführer der KonfiDents GmbH

Als Geschäftsführer eines Investoren-MVZ verteidigt der Zahnarzt Jörn Thiemer das Modell gegen Kritik. Die regionale Verteilung der MVZ unterscheide sich nicht von Einzelpraxen, argumentiert er. Außerdem böten sie Synergien und nicht zuletzt eine Lösung für das drängende Nachwuchsproblem vieler Praxen.

von Jörn Thiemer

veröffentlicht am 08.09.2020

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Seit 2015 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, arztgruppengleiche medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. Dies bringt seitdem sinnvolle, aber auch notwendige neue Möglichkeiten für die Zahnmedizin, die als extrem technikbasierte und immer stärker digitalisierte Medizinsparte mit hohen Investitionskosten verbunden ist, die die finanziellen Möglichkeiten einer Einzelpraxis oft übersteigen.  

Von den einschlägigen Verbänden, aber auch von Teilen der Politik, wird diese innovative Alternative der Berufsausübung für Zahnärzte seit Anbeginn kritisiert – vor allem die Finanzierung durch Investoren statt durch Banken soll angeblich dem zahnmedizinischen Ethos widersprechen und den Beruf vom reinen Heilen in Richtung gewinnorientiertes Gewerbe führen. Zudem wird angeführt, die Mehrzahl dieser Investoren–MVZ (I–MVZ) werde in städtischen Ballungsräumen und nicht auf dem flachen Land gegründet, wo schon in naher Zukunft zahlreiche Praxen altersbedingt aufgegeben werden und nicht mehr mit einer geeigneten Nachfolgerin oder einem Nachfolger besetzt werden können. Diese Kritik läuft ins Leere. Warum greift sie nicht? 

Zunächst ist generell eine starke Tendenz der jungen Zahnärztinnen und Zahnärzte zu beobachten, nicht mehr so oft wie früher in die Selbständigkeit zu gehen und das Risiko einer eigenen Praxisgründung zu wagen. Das hängt nur zum Teil mit den hohen Investitionskosten für eine eigene Praxis und den – wie man aktuell bei Corona sieht – nicht immer selbst beeinflussbaren Risiken der Selbstständigkeit zusammen. Gerade in der aktuellen Pandemie mussten viele Zahnärzte ernüchtert feststellen, dass sie durch die eigene Standesvertretung wenig bis keinerlei Rückendeckung erhielten und darüber hinaus ein Krisenmanagement fehlte, das diesen Namen auch verdient.

MVZ machen nur einen Bruchteil der Praxen aus

Vor allem der demographische Wandel stellt unseren Beruf vor große Herausforderungen. Aus den Universitäten kommen verstärkt vor allem junge Zahnärztinnen, die häufig nicht mehr das Ziel einer 30 Jahre und länger andauernden Selbstständigkeit verfolgen, sondern als junge Zahnärztinnen oft ein Angestelltenverhältnis bevorzugen, das ihnen die Freiheit einer flexibleren persönlichen Lebens- und Familienplanung – neudeutsch life-work-balance – lässt. Die etablierten Praxisformen stehen damit vor erheblichen und einschneidenden Veränderungen. 

MVZ und I–MVZ bieten hier passende Angebote und Möglichkeiten, die nicht nur zukunftssichere Arbeitsplätze, sondern auch Verbesserungen bei der Praxis-Ausstattung, eine Optimierung der Diagnostik und Therapie, überregionale Kooperationen für eine Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung auch auf dem flachen Land sowie ein deutlich verbessertes Serviceangebot beinhalten. 

Ins Leere zielt auch der von interessierter Gegenseite immer wieder vorgebrachte Verweis auf die Verdrängung von etablierten kleineren Einzelpraxen, da der Anteil der MVZ an allen Einzelpraxen in Deutschland gerade mal 2,6 Prozent ausmacht – bei den I–MVZ sind es sogar nur 0,5 Prozent. Eine Größenordnung, die in Deutschland leider noch immer eher einer Nischenform entspricht und herkömmliche Einzelpraxen garantiert nicht in ihrer Existenz bedroht. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ausschließlich von Zahnärzten gegründete MVZ sogar 25 Prozentpunkte schneller wachsen als MVZ mit Investorenbeteiligung, was deutlich zeigt, dass es einen hohen Bedarf für ein solches Versorgungsmodell gibt.

Investoren greifen nicht in die Therapiefreiheit ein

Warum wird trotzdem immer wieder mit dieser Diskussion begonnen? Ich habe darauf keine Antwort, denn als praktizierender Zahnarzt, der sein MVZ an einen Investor verkauft hat, kann ich nur Positives berichten. Es gibt weder Eingriffe in die Therapiefreiheit noch Preisvorgaben oder irgendwelche Eingriffe in das Abrechnungsverhalten. Warum sollte der Investor das auch tun? Meine Praxis besteht jetzt seit 25 Jahren – wir haben viele Stammpatienten. Niemand – erst recht nicht der Investor – würde sich einen Gefallen tun, wenn wir plötzlich teurer oder schlechter behandeln würden. Jeder Patient würde sich in diesem Fall doch schon nach kurzer Zeit einen anderen Zahnarzt suchen. 

Wir sind als Zahnärzte immer dem Patientenwohl verpflichtet – völlig unabhängig davon, ob der Geldgeber im Hintergrund nun eine Bank oder ein Investor ist. Das spielt in der täglichen Praxis meiner Praxis überhaupt keine Rolle. 

Natürlich wollen wir als Zahnärzte auch einen Gewinn machen – wer wollte das denn nicht? Ich kann auch nichts Verwerfliches daran erkennen, wenn am Ende des Jahres unter dem Strich eine Rendite und kein Verlust steht. Auch die finanzierende Bank hat doch ein großes Eigeninteresse an einem positiven Jahresergebnis – sonst würde sie den Geldhahn doch schneller zudrehen als der betreffende Zahnarzt eine Krone einsetzen kann. 

Versorgung auf dem Land ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Fakt ist: Viele kleine Praxen finden in Deutschland keine Nachfolger mehr – und größere Praxen sind für das Gros des zahnmedizinischen Nachwuches, der frisch von der Uni kommt, schlichtweg nicht mehr bezahl- und finanzierbar. Als Folge müssen immer mehr Praxen geschlossen werden – und vor allem ältere Kolleginnen und Kollegen, die einen Verkaufserlös schon als Teil ihrer Altersversorgung eingeplant hatten, stehen plötzlich vor einem Rentenloch. 

Das macht sich natürlich nicht nur in städtischen Ballungszentren, sondern verstärkt auch auf dem flachen Land bemerkbar. Schuld daran sind aber nicht die MVZ oder I–MVZ, die denselben Versorgungsauftrag haben wie klassische Einzelpraxen. Konkrete Anreize auch von Seiten der Politik, sich auf dem flachen Land niederzulassen, wären hier und künftig deutlich hilfreicher als oft substanzlose und immer überflüssige Schuldzuweisungen an die, die nicht für die (politischen) Versäumnisse der letzten Jahrzehnte verantwortlich sind und dafür auch nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Insbesondere deswegen nicht, weil sich die regionale Verteilung von MVZ/I–MVZ nicht von der der klassischen Einzelpraxen unterscheidet – mehr als 20 Prozent der entsprechenden MVZ befinden sich in ländlichen Kreisen und steuern damit ihren Teil zur zahnmedizinischen Versorgung jener 22 Prozent der Bevölkerung bei, die nicht in städtischen Ballungszentren, sondern auch dem flachen Land lebt. 

Die Nachfolgeprobleme gerade auf dem flachen Land zu lösen, ist mit Sicherheit kein Alleinauftrag für die MVZ und I–MVZ, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade MVZ mit Investorenbeteiligung sind hier enorm wichtig, weil sie durch Aufkäufe eben auch kleinerer Strukturen, die sonst für immer wegfallen würden, auch zum Erhalt der zahnmedizinischen Versorgung auf dem flachen Land beitragen. Gedeihliche Kooperation statt überflüssige Bekämpfung wäre der viel bessere und auch zukunftsträchtigere Ansatz. 

MVZ sind effizient und sichern Qualität

Der dabei von der Berufspolitik wiederholt ins Feld geführte Satz, dass zum Beispiel das Abrechnungsverhalten gerade im gesetzlichen Bereich stark ansteigt, ist ebenso falsch. Es gibt nämlich faktisch keine Unterschiede bei den Abrechnungen – wir sind als I–MVZ allenfalls durch unsere Spezialisierungen in manchen Bereichen stärker tätig als eine klassische Allgemein-Zahnarztpraxis.  

Ebenso kann ich nach längerer Tätigkeit in einem I-MVZ, das vorher mir gehörte, in meinem, aber auch im Namen meiner Patienten feststellen, dass plötzlich viele wertvolle Synergien greifen. Wir kaufen günstiger über die Gruppe ein, wir tauschen uns innerhalb unserer Gruppe fachlich zu schwierigen Behandlungsfällen aus – und wir haben in unserer Gruppe bundesweit gültige Qualitätsstandards, die weit über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausreichen. 

Als aktiv tätiger leitender Zahnarzt und Geschäftsführer mit voller Verantwortung sowohl für das Patientenwohl als auch für die Wirtschaftlichkeit unserer Praxen kann ich zusammenfassend sagen, dass MVZ, I–MVZ und klassische Einzelpraxen sehr gut nebeneinander existieren können. Eine Konzentration der Diskussion auf wirkliche Fakten ohne Polemik oder sich wiederholende faktenfreie Behauptungen würde zukünftig auch die von allen erwünschten Fortschritte bringen – im Interesse des zahnärztlichen Berufes und vor allem im Interesse der Patienten. Die I–MVZ sind nicht das Problem – sie sind Teil der Lösung. 

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen