Set diesem Jahr gilt ein neues Gesetz vom Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Ärzte dürfen Apps per Rezept verordnen. Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) steht noch relativ am Anfang. Es ist, wie so vieles aus der derzeitigen Politik in diesem Land, eher regulativ technokratisch und somit für die Wirklichkeit auf der Straße noch nicht ausreichend praktisch zu Ende gedacht. Denn derzeit weiß die Mehrheit weder bei Ärzten noch Patienten, dass dies überhaupt möglich ist und welche Gesundheits-Apps nach welchen wissenschaftlichen Kriterien die wirksameren sind.
Darüber hinaus liegt die Vermutung nahe, dass die mehrheitlich Herren in der Selbstverwaltung ein digitales Medienprodukt auf dem Smartphone der Bürger mit einer Fangopackung oder einer Pille verwechselt haben. Letzteres kann einfach angewendet oder eingenommen werden. Für eine Gesundheits-App braucht man ein Smartphone und auch ein wenig App-Erfahrung: Und das ist beispielsweise bei drei von vier Patienten mit Herzinsuffizienz in Deutschland nicht der Fall (Quelle: EPatient Analytics GmbH 2019). Erhalten also die nicht digital mobilen übrigen 1,5 Millionen Herzinsuffizienzpatienten alternativ eine bunte Broschüre auf Rezept?
Langsam in die richtige Richtung
Mit oder ohne Gesetzgebung aus dem Gesundheitsministerium: Gesundheits-Apps gibt es schon Tausende seit der Erfindung der App-Stores. Und einige von denen haben auch schon harte klinische Studien an Patienten erfolgreich durchlaufen und können aufzeigen, dass sie Patienten direkt heilen oder messbar in ihrer Genesung unterstützen können. Ein häufig angebrachtes Beispiel sind geprüfte Online-Depressions-Programme wie HelloBetter, Deprexis24 oder Selfapy oder aber Apps, die allein mit dem Smartphone erste Diagnostik beziehungsweise Krankheitserkennung durchführen können. Exemplarisch ist hier Preventicus aus Jena zu nennen, welches in ersten Schritten Herzerkrankungen erkennen kann.
Natürlich finden die Mehrheit der Bürger ihre Gesundheits-Apps durch googeln oder in App-Stores. Aber erste spannende App-Szenarien entstehen auch in der normalen Welt: In der Schweiz steht eine Schmerz-App im Apothekenregal (Sanovation). Patienten erhalten schon in über 100 Kliniken nach ihrer OP eine Reha-App angepasst an die Art ihrer Behandlung und seit einigen Jahren geben einige Ärzte ihren Patienten parallel zum Medikamentenrezept auch die passende Medikamenten-App über den Tresen, beispielsweise MyTherapy.
Und auch wenn die Zuschauer von ARD und ZDF sich im Schnitt schon im tiefen Rentenalter befinden: Seit 2019 gibt es neben der Treppenliftwerbung auch TV-Spots für Online-Psychotherapie oder Apps für Reizdarm.
Fazit: Der Markt für Gesundheits-Apps wächst langsam aber sicher, genauso wie andere digitale Branchen dies tun. Es gibt bei jeder Technikinnovation sogenannte Erstnutzer, die „early adopter“ und Nachzügler. Wann das Gesundheitsministerium Gesundheits- oder auch Therapie-Apps stimmig für Patienten und Ärzte in die Versorgung integriert hat, ist noch offen. Vieles bewegt sich endlich langsam in die richtige Richtung, aber es gibt im deutschen Gesundheitssystem immer noch zu viele Partialinteressen, Lobby, eine Unmenge von Krankenkassen und Sektoren- beziehungsweise Insellösungen, in denen wichtige Behandlungsdaten nicht einmal vom Krankenhaus zum Arzt auf der anderen Straßenseite einheitlich vernetzt sind.
Dr. Alexander Schachinger ist Gründer und Geschäftsführer der EPatient Analytics GmbH, ein Analyseunternehmen für digitale Gesundheit.