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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Reform mit verpassten Chancen

Foto: privat

Die Reform der Psychotherapeutenausbildung ist aus Sicht von Felicitas Bergmann nicht in jedem Punkt geglückt. Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP) kritisiert die formale Abqualifizierung der heutigen KJP gegenüber zukünftigen Studienabsolventen.

von Felicitas Bergmann

veröffentlicht am 20.02.2020

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Etwa 15 Jahre hat die Reform des Gesetzes zur Psychotherapeutenausbildung nun gedauert, bis sie am 26. September im Bundestag verabschiedet wurde. Ausgangspunkt waren vor allem die prekären Ausbildungsbedingungen mit Praktikantenstatus in der weiteren Ausbildung, ohne sozialrechtliche Absicherung trotz Hochschulabschluss und zudem enorme finanzielle Aufwendungen, die aus anderen Einnahmequellen, etwa über Kredite, zu bestreiten waren.

Mit der Anpassung der ordnungspolitischen Systematik an andere Heilberufe kommt der langwierige Prozess zu einem vorläufigen Ende. Künftig wird ein Direktstudium in Psychotherapie zur Approbation führen. Die dann folgende Weiterbildung soll mit einem Tarifgehalt vergütet werden.   

Psychotherapeuten in Ausbildung profitieren am wenigsten

So erfreulich diese Neuerungen auch sind, die nähere Betrachtung zeigt, dass an vielen Stellen nachgebessert werden muss. Wo es Gewinner gibt, gibt es meist auch Verlierer. Im Falle der Reform sind das in meinen Augen drei Gruppen: 

Die heutigen Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA), die sich mit ihren Protesten maßgeblich dafür eingesetzt haben, die Reform auf den Weg zu bringen, profitieren am wenigstens von den Verbesserungen. Während zukünftige Psychotherapeuten in Weiterbildung analog zur Facharztausbildung ins Gesundheitssystem eingegliedert werden, bleiben PiA noch für eine Übergangszeit von zwölf Jahren formal Praktikanten, die mit 1000 Euro pro Monat auf Bafög-Niveau abgespeist werden. 

Nicht viel besser sieht es für bereits approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) aus, zu denen auch ich gehöre: Unsere Approbation ermöglichte bisher die Behandlung bis zum vollendeten 21. Lebensjahr. Diese Beschränkung war im Jahr 1999 eingeführt worden, um die damals unzureichende Versorgung dieser Patientengruppe mangels Personals sicherzustellen. Dieses versorgungspolitische Argument gilt heute nicht mehr. Der Gesetzgeber hat sich ohne hinreichenden Grund für eine Fortschreibung der Altersbeschränkung ausgesprochen. Die Folge ist eine formale Abqualifizierung der heutigen KJP gegenüber zukünftigen Studienabsolventen, für die diese Beschränkung entfällt. Damit sind wir die einzige Gruppe unter den Psychotherapeuten, die nicht die Fachkunde für die Behandlung Erwachsener erwerben kann. Auch in Zukunft darf ich als KJP weder frühere, nun erwachsene Patienten erneut behandeln, noch darf ich trotz meines Schwerpunktes erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung ein Angebot machen. Das ist schwer auszuhalten und den Menschen noch schwerer begreiflich zu machen, zumal KJP in der zugehörigen Bezugspersonenbehandlung sowieso schon immer mit den Eltern, also Erwachsenen, arbeiten und dafür ausgebildet sind.  

Auch die Chance auf bedarfsgerechte Weiterbildung muss aufgrund der fehlenden Anpassung im Einzelfall verhandelt werden. Ein Recht darauf haben wir nicht. Ein Beispiel für die Folgen ist die hoch wirksame Traumatherapiemethode EMDR, die zwar ab dem 18. Lebensjahr zugelassen ist, jedoch nicht von KJP abgerechnet werden darf und somit unseren Patienten vorenthalten wird. 

Hochschul-Expertise wird ignoriert

Ein so hoch entwickeltes Land wie Deutschland kann es sich nicht leisten, ohne Not das Potenzial der zur Verfügung stehenden Behandler und bestehende behandlungsverkürzende Vertrauensbeziehungen ungenutzt zu lassen. Hier hat die Politik es versäumt, eine dringend notwendige Anpassung vorzunehmen. Die Folgen werden wir viele Jahre tragen müssen. 

Die Hochschulen für Angewandte Wissenschaft (HAW) sind von der Möglichkeit ausgeschlossen worden, das Direktstudium Psychotherapie anzubieten. Das ist aus meiner Sicht ebenso tendenziös und das Ergebnis berufspolitischer Machtkämpfe sowie einer gehörigen Portion Standesdünkel. Faktisch sind durch den Bologna-Prozess Universitäten und HAW gleichgestellt. Zudem bieten die HAW eine größere Verfahrensvielfalt in der Lehre, während an den Universitäten die Verhaltenstherapie dominiert. Ich halte es für einen groben Fehler zulasten des Gesundheitssystems, die Expertise der HAW und damit der pädagogischen Fächer zu ignorieren. Hier muss die Politik aus meiner Sicht dringend nachbessern.  

Mit dem Omnibus zur völligen Ökonomisierung? 

Besonders ärgerlich für den gesamten Berufsstand ist das kurzfristig eingebrachte Omnibusverfahren, dessen Inhalte im Vorfeld nicht mit uns Psychotherapeuten besprochen wurden. Der geplante Honoraraufschlag von 15 Prozent für Kurzzeittherapien zeigt, wohin die Reise gehen soll: möglichst kurze Behandlungen und damit geringe Kosten im Einzelfall. Aus meiner Sicht ein fataler Fehlanreiz ohne Nachhaltigkeit und zum Nachteil schwer Erkrankter. 

Zugleich wird die Langzeittherapie erschwert: Bisher diente das Gutachterverfahren als sinnvolles Instrument, um die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer geplanten Psychotherapie einzuschätzen. Dieses soll nun zugunsten eines noch nicht näher definierten Verfahrens zur Qualitätssicherung im Therapieverlauf abgeschafft werden. Es droht dann die Gefahr von diagnoseorientierter Vergütung und Regressforderungen bei längeren Behandlungen.

Dr. Felicitas Bergmann ist Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Sie ist Buchautorin, Initiatorin des Projekts Kassenwatch.de und setzt sich für die psychotherapeutische Versorgung insbesondere von Menschen mit geistiger Behinderung ein.

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