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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Sonderfall Geburtshilfe

Ulrike Geppert-Orthofer ist Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands
Ulrike Geppert-Orthofer ist Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands Foto: Deutscher Hebammenverband/Hans-Christian Plambeck

Die Krankenhausstrukturreform zielt auf eine bessere und passgenaue gesundheitliche Versorgung ab. Die Geburtshilfe ist ein Sonderfall, schreibt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands und fordert die Einführung einer eigenständigen Leistungsgruppe für hebammengeleitete Geburt.

von Ulrike Geppert-Orthofer

veröffentlicht am 02.05.2023

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Jährlich kommen in Deutschland fast 800.000 Kinder zur Welt, in zu vielen Fällen verbunden mit einer negativen oder gar traumatischen Erfahrung. Oftmals wird zu früh interveniert und oftmals haben Frauen nicht das Gefühl, ihre Geburt selbstbestimmt erleben zu dürfen. Das Geburtserlebnis hat entscheidenden Einfluss auf den weiteren Weg eines Menschen, einer Familie – gesundheitlich und darüber hinaus – und ist damit prägend für uns alle. Notfall, Spezialisten und Co. – ist die Geburt aber der gefährlichste Moment im Leben eines Menschen? Nein! Ein Umdenken ist hier dringend erforderlich.

Frauen sollen überall in Deutschland ihr Kind selbstbestimmt und sicher auf die Welt bringen können. Die Betreuung durch eine Hebamme und eine optimale Geburtshilfe müssen deshalb flächendeckend selbstverständlich sein. Hebammen begleiten und beraten Frauen individuell und professionell während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Damit stärken sie Frauen in dieser wichtigen Lebensphase ganz entscheidend in ihrer Selbstbestimmung und unterstützen sie in einem positiven Geburtserlebnis. Denn neben allen Sicherheitsaspekten ist die Geburt vor allem ein ganz natürlicher Prozess und keineswegs ein unkalkulierbares Risiko.

Hier liegt der Schlüssel zur Lösung. Eine möglichst interventionsarme Geburt ist der Gesundheit von Mutter und Kind zuträglich. Das ist wissenschaftlich belegt und im vom Bundesministerium für Gesundheit selbst herausgegebenen „Nationalen Gesundheitsziel: Gesundheit rund um die Geburt“ nachzulesen. Also sollten alle Beteiligten den Mut haben, auch dementsprechend zu handeln – und Frauen mehr Zuversicht als Angst machen.

Richtige Weichenstellungen durch die Krankenhausstrukturreform 

Voraussetzung dafür ist ein Umdenken bei allen Verantwortlichen, das längst überfällig ist und einer Revolution in der Geburtshilfe gleichkommt. Denn Schwangere, Mütter und Kinder sind im Regelfall gesunde Menschen, deren Bedürfnisse sich von denen kranker Menschen deutlich unterscheiden. Darin begründet sich die Sonderstellung der Geburtshilfe im Gesundheitswesen. Mit der Krankenhausstrukturreform bietet sich nun die Chance, die richtigen Weichen zu stellen und eine Neuordnung der Geburtshilfe flächendeckend umzusetzen.

Das bedeutet, um die Versorgung von Mutter und Kind nicht nur zu sichern, sondern auch zu verbessern, benötigen wir in Deutschland ein Versorgungsnetz, das sowohl gesunden Frauen, die gesunde Kinder erwarten, gerecht wird als auch eine risikoadaptierte Versorgung für Frauen und Kinder, die zusätzlich eine medizinische – oder gar intensivmedizinische – Versorgung brauchen. Das Ziel muss sein: Das richtige Team – zur richtigen Zeit – am richtigen Ort.

Es braucht beides, Hebammen und Ärzt:innen. Zahlreiche Studien belegen, dass eine hebammengeleitete Geburtshilfe für gesunde Frauen, die gesunde Kinder erwarten, das beste Angebot darstellt. Eine hochwertige Versorgungssicherheit ist hier in gleichem Maße gewährleistet wie bei der ärztlich geleiteten Geburtshilfe. Die hebammengeleitete Geburtshilfe schützt Mutter und Kind vor zu frühen und zu vielen Interventionen, die nicht nur als Kostenfaktor ins Gewicht fallen, sondern jeweils auch wieder mit negativen Folgen verbunden sind.

Mit der hebammengeleiteten Geburtshilfe kann eine sichere Versorgung für die meisten Frauen wohnortnah und niedrigschwellig möglich gemacht werden. Auf Wunsch oder bei Bedarf veranlasst die Hebamme die Überleitung in die ärztlich geleitete Geburtshilfe.

Die Krankenhausstrukturreform zielt gerade auf eine bessere und passgenaue gesundheitliche Versorgung ab. Der Sonderfall Geburtshilfe zeigt, wie dies gelingen kann. Jetzt bietet sich die Chance, die Qualität der Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen mit wenigen Mitteln deutlich zu verbessern und grundlegende Fehlanreize in der klinischen Geburtshilfe zu beheben.

Deutschland hat Nachholbedarf in der Geburtshilfe 

Es ist allerhöchste Zeit. Denn anders als unsere hohen Gesundheitsausgaben vermuten lassen, ist Deutschland im europäischen Vergleich der mütterlichen und kindlichen Gesundheit im unteren Mittelfeld zu finden und weit abgeschlagen hinter den nordischen und skandinavischen Ländern. Das müssen wir ändern.

Für eine zukunftsfähige Neuordnung der Geburtshilfe, die das Wohl von Müttern und Kindern an erster Stelle stellt, brauchen wir den erklärten Willen aller, die interventionsarme Geburt, wie sie im nationalen Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt” beschrieben wird, zu fördern und umzusetzen. Dies geht einher mit der Einführung einer eigenständigen Leistungsgruppe für hebammengeleitete Geburt auf allen Versorgungsleveln der Krankenhausstruktur. Das bedeutet, dass Hebammen physiologische Geburten eigenverantwortlich und ohne Hinzuziehung eines Facharztes durchführen. Wird fachärztliche Unterstützung notwendig, veranlasst die Hebammen die Überleitung der Frau in die entsprechende Leistungsgruppe. Diese Versorgung wird ergänzt um die Angebote der Geburtshäuser und der Hausgeburtshebammen. Die Einführung dieser Leistungsgruppe ermöglicht nicht nur die Förderung der physiologischen Geburt im ganzen Bundesgebiet. Sie sichert die wohnortnahe Versorgung, auch dort, wo eine ärztlich geleitete Geburtshilfe nicht vorgehalten wird. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen.

Ulrike Geppert-Orthofer ist Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands.

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