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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Was sich aus Corona für die ePA lernen lässt

Thomas Kostera und Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung
Thomas Kostera und Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung Foto: Bertelsmann Stiftung

Zahlreiche Menschen nutzen die Corona-Warn-App – im Gegensatz zur elektronischen Patientenakte, die nur einer überschaubaren Nutzerzahl überhaupt bekannt ist. Stefan Etgeton und Thomas Kostera von der Bertelsmann-Stiftung wollten deshalb wissen, was wir aus den Erfahrungen mit der CWA für die ePA lernen können.

von Thomas Kostera und Stefan Etgeton

veröffentlicht am 26.07.2021

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Seit Januar haben alle gesetzlich Versicherten in Deutschland Anspruch auf eine elektronische Patientenakte (ePA) ihrer Krankenkasse. Doch bisher findet das Angebot nur wenig Beachtung. Trotz einiger Kontroversen vor dem Start steht es um die Nutzung der Corona-Warn-App (CWA) besser: Mitte Juni 2020 wurde sie veröffentlicht. Inzwischen sind es immerhin 31 Millionen Downloads

Wir haben uns gefragt: Kann man aus der Einführung einer digitalen Anwendung wie der Corona-Warn-App etwas für die Implementierung der elektronische Patientenakte lernen? Um mehr über die Voraussetzungen für die Akzeptanz der Corona-Warn-App zu erfahren, hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Anfang Dezember 2020 eine repräsentative Befragung von 1.017 Smartphone-Nutzer:innen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Umfrage haben wir in einem Experten-Workshop mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Verbänden, Krankenkassen, Ärzteschaft und Datenschutz diskutiert. 

Die Kernergebnisse in Kürze: 

• Der Schlüssel zur Akzeptanz von digitalen Gesundheitslösungen ist eine rasche individuelle Nutzenerfahrung. 

• Die Bevölkerung hat prinzipiell eine hohe Bereitschaft, Gesundheitsdaten zu teilen, sofern der Zweck als sinnvoll erachtet wird. 

• Die Bereitschaft, Daten zu teilen, lässt sich fördern, wenn Nutzer:innen die Datenhoheit behalten und das Teilen von Daten individuell deaktivieren können (Opt-out). 

• Der stufenweise Ausbau der ePA sollte transparent kommuniziert werden, um keine falschen Erwartungen zu wecken. 

• Als Anbieterinnen der ePA sollten insbesondere Krankenkassen die Einführung proaktiv kommunizieren. 

Die Umfrage zeigt: Nutzer:innen orientieren sie sich insbesondere an den nützlichen Funktionalitäten; der wichtigste Grund, sich die App herunterzuladen, war, damit eigene Kontakte warnen zu können (91%), aber auch einen Beitrag zur Pandemiebewältigung zu leisten (90%). Bei denen, die die App nicht heruntergeladen haben, war der fehlende individuelle Nutzen der Hauptgrund (52%). Die Furcht, von Konzernen oder dem Staat überwacht zu werden, war demgegenüber nachrangig. 

Auch bei der Einführung der ePA sollte die Alltagstauglichkeit ihrer Funktionen daher im Zentrum stehen. Dafür sollten Nutzer:innen sowohl auf der Patienten- als auch auf der Ärzteseite in die Entwicklung und Priorisierung aktiv einbezogen werden, denn nur so lassen sich die Funktionalitäten herauskristallisieren, die den Anwendenden einen echten Mehrwert bieten. 

Unmittelbarer Alltagsnutzen entscheidet über Akzeptanz 

Zwar zeigt die Umfrage ebenso, dass insbesondere Menschen mit höherem Einkommen und Bildungsabschluss die Corona-Warn-App nutzen und diese Gruppe demnach vermutlich generell digital affiner ist. Aber anstatt erst nach möglichen Wegen zu suchen, diesen sozioökonomischen Effekt zu korrigieren, erscheint es sinnvoller, auf diese Gruppe als „Early Adopters“ zu setzen – also auf jene, die als „Multiplikator:innen“ für eine Anwendung fungieren können. Konkret bedeutet das für die ePA, sich in der Startphase vor allem auf jene Funktionalitäten zu fokussieren, die in dieser Gruppe einen besonderen Nutzen und Alltagsvorteile versprechen. Beispielsweise die Integration des eRezepts in die ePA oder die digitale Krankschreibung, die insbesondere Berufstätigen eine Erleichterung bieten dürfte.  

Nach und nach lassen sich dann auch andere Funktionen aufsetzen: Etwa der elektronische Medikationsplan oder der damit verknüpfte Arzneimittelcheck, der auch für Ältere oder chronisch kranke Menschen, die viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, einen hohen Nutzwert haben kann. Das Gleiche gilt für Schnittstellen für digitale Gesundheitsanwendungen: So könnte beispielsweise ein Patient mit Diabetes sehr davon profitieren, wenn Daten aus seiner Diabetes-App automatisch mit seiner ePA synchronisiert würden. 

Große Bereitschaft zum Datenteilen, wenn die Letztkontrolle gewahrt bleibt 

Die Umfrage zur Nutzung der Corona-Warn-App legt zudem nahe, dass die Bereitschaft, Gesundheitsdaten zu teilen, sehr hoch ist: 62 Prozent jener, die die App installiert haben, wären grundsätzlich bereit, ein positives Testergebnis automatisch weiterzuleiten. Von denjenigen, die die App nicht installiert haben, sagen das nur 22 Prozent – weitere 31 Prozent würden es tun unter der Voraussetzung, dass sie diese Funktion deaktivieren (Opt-out) können. Datensouveränität scheint hier eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft zu sein, Daten zu teilen. 

Dieser Befund lässt sich auch auf die ePA übertragen: Versicherten sollte das Teilen, die Freigabe oder das Spenden von Daten leicht gemacht werden. Dabei müssen sie schnell erfassen können, zu welchem Zweck sie dies tun und welchen Nutzen sie selbst oder die Gesellschaft, davon haben. Zudem müssen sie die Kontrolle darüber behalten, wer Zugriff auf ihre Daten haben darf, und auf einfache Weise nachvollziehen können, wer Nutzungsrechte an ihren Daten haben kann. Voraussetzung: transparente gesetzliche Rahmenbedingungen, die im Einklang mit Datenschutz- und -sicherheit stehen. 

Nutzenerwartung kommunikativ nicht zu hoch schrauben 

Eine weitere wesentliche Erkenntnis aus den Erfahrungen der Corona-Warn-App: Die Frustration über eine digitale Lösung kann groß sein, wenn die geweckten Erwartungen an sie hoch sind oder sich erst viel später einlösen lassen. Probleme bei der digitalen Übermittlung von Corona-Testergebnissen oder zurückhaltende Einschätzungen seitens der Gesundheitsämter über das Potenzial der CWA bei der Kontaktverfolgung enttäuschten Viele angesichts der hohen Entwicklungskosten.  

Für die ePA bedeutet das: Nur wenn sie auch wirklich funktioniert und das leistet, was von ihr erwartet wird, wird sie auf eine breitere Akzeptanz stoßen. Dazu gehört auch, dass Krankenkassen als Anbieterinnen der Anwendung ihre Versicherten bei der Nutzung kommunikativ dauerhaft begleiten und dazu motivieren. So sollten Kassen beispielsweise ePA-Nutzer:innen proaktiv darüber informieren, welche neuen Funktionalitäten ein Update bringt. Fest steht: Digitale Lösungen sind immer „Work in Progress“ – man muss daher versuchen, die Nutzer:innen, soweit es irgend geht, auf diesem Weg mitzunehmen. 

Dr. Stefan Etgeton ist Senior Expert Gesundheitspolitik, Dr. Thomas Kostera ist Senior Expert Gesundheitssysteme bei der Bertelsmann Stiftung.

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