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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Zeit für einen digitalen Wandel

Mesut Yavuz, Inhaber YES Automation
Mesut Yavuz, Inhaber YES Automation Foto: Fama Yavuz

Auch wenn das Fax in den meisten Gesundheitsämtern mittlerweile Geschichte ist: Der Digitalisierungsprozess im Öffentlichen Gesundheitsdienst steckt immer noch in seinen Anfängen. Der IT-Berater Mesut Yavuz fordert, bei der Umstellung in den Ämtern vor allem auf Open Source-Lösungen zu setzen.

von Mesut Yavuz

veröffentlicht am 14.09.2021

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Durch das plötzliche Auftreten der Covid-19-Pandemie standen die Gesundheitsämter vor Herausforderungen, bei denen Effizienz, Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit eine entscheidende Rolle spielten. Nie waren technische Voraussetzungen und prozessuale Richtigkeit in Behörden so wichtig und entscheidend wie jetzt in der Zeit der Pandemie. Dabei wurde deutlich, dass das öffentliche Gesundheitswesen eines digitalen Wandels und einer digitalen Transformation bedarf. Nicht selten wurden aufgrund von technischen Fehlern Fallzahlen falsch übermittelt oder positive Fälle und deren Kontakte nicht oder erst spät informiert.

Möglicherweise wurde dadurch auch die Politik fehlerhaft beraten und freiheitseinschränkende Maßnahmen umgesetzt. Es ist jetzt Zeit zu handeln und die Lehren daraus zu ziehen. Das aktuelle Digitalisierungs-Portfolio ist in den Behörden uneinheitlich. Neben mangelndem Know-how sind in den Ämtern viele Einzellösungen, sogenannte Standalone-Verfahren, parallel in Verwendung, die nicht miteinander kommunizieren und interagieren. Es besteht selten eine technische Kommunikation innerhalb und zwischen den Gesundheitsämtern, weil die verwendeten Anwendungen nicht zueinander kompatibel sind. Interoperabilität sucht man vergeblich. Schnittstellen gibt es fast keine, und wenn lediglich aufgrund der Meldepflicht zu den Landesbehörden.

Open Source bietet zahlreiche Vorteile

In den meisten Ämtern sind arbeitserleichternde Programme zur Bewältigung von Aufgaben und Projekten nicht vorhanden – und das in deutschen Gesundheitsbehörden, die Daten von bevölkerungsmedizinischer Bedeutung ermitteln und verwalten. Um hier eine Verfahrenstransparenz über die eingesetzten Mittel von Behörden zu haben, ist es notwendig, jetzt grundsätzlich auf Open Source umzustellen. Es geht dabei um eine Softwarearchitektur, deren Lizenzierung es erlaubt, den Quellcode lesen, verändern und sogar an Dritte weitergeben zu können. Entscheidender Vorteil ist hier, dass viele bestehende Technologien nicht neu entwickelt werden müssen, sondern legal quasi plagiiert und in die eigene Anwendung eingefügt und angepasst werden können. Die Vorteile von Open Source insgesamt:

  • kostenloser Einsatz und Verbreitung der Software, da kein Geschäftsmodell mit Lizenzen
  • freie Verfügbarkeit des Quellcodes für die Behörde und Zivilgesellschaft
  • die Software kann flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse der Behörde angepasst werden
  • mehr Sicherheit durch schnelleres Erkennen von Sicherheitslücken unter Beteiligung der Zivilgesellschaft
  • plattformunabhängig und herstellerunabhängig
  • Community-basierte, beschleunigte Entwicklung
  • schnelles Beheben von Bugs

Hier können Ämter, Behörden mit Universitäten und Forschungseinrichtungen Arbeitsgemeinschaften bilden, bei dem sie nach Definition von Zielvorstellungen gemeinsam Projekte umsetzen, von denen alle Gesundheitsämter bundesweit profitieren können. Ein Beispiel: Gesundheitsamt A übernimmt die Programmierung des Fachbereichs Infektionsschutz und Umweltmedizin und das Gesundheitsamt B übernimmt die Programmierung des Fachbereichs des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Am Ende können beide Gesundheitsämter beide programmierten Module nutzen, ohne, dass die Gesundheitsämter beide Programmierungen beauftragen müssen.

Wissenstransfer spart Zeit und Geld

Es muss hier nicht für jedes Gesundheitsamt eine eigene Lösung erfunden werden. In weiteren Schritten könnten die weiteren Sektoren des Gesundheitswesens, nämlich die Hausärzte, Arztpraxen und Krankenhäuser mit angebunden werden. Man muss sich hier die Programmierung baukastenartig wie bei den Legohäuschen vorstellen. Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Behörden und Hausärztevertreter können sich einzeln ihre Häuschen erstellen und tauschen sich immer wieder während der Bauzeit aus, um nicht aneinander vorbeizubauen. Am Ende können dann Brücken und Wege zu den einzelnen Häuschen gebaut werden, damit der Austausch und die Kommunikation (Datentransfer) schneller vonstatten gehen können.

Um dies aber umsetzen zu können, muss hierzu eine bundesweit einheitliche IT-Infrastruktur aufgesetzt werden. Hierzu gehört es, dass technische Schnittstellen-Standards geschaffen werden, die GDPdU-zertifiziert (Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen) und DSVGO-konform (Datenschutz-Grundverordnung) sind. Durch Standardisierung von Datenbanken vereinheitlicht man Datenflüsse und harmonisiert die Sektorengrenzen innerhalb der Behörden. Als Beispiel dient Sormas, eine vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung gemeinnützig entwickelte Software zur Epidemiebekämpfung. In Deutschland wird sie in der Covid-19- Pandemie zur Organisation und Dokumentation der positiven Fälle und deren Kontaktpersonen- und nachverfolgung eingesetzt. Der herausragende Vorteil an Sormas ist – und das ist einmalig in der Geschichte der Gesundheitsämter –, dass die Software gemeinnützig und offen programmiert wurde. Durch die Open-Source-Infrastruktur kann Sormas von Jedermann heruntergeladen, beliebig erweitert und mit weiteren Systemen und mit Apps von Bürgern angebunden werden.

Dies kann man somit als den Start der „echten“ Digitalisierungen im öffentlichen Gesundheitsdienst sehen. Das Online-Zugangs-Gesetz verpflichtet Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsdienstleistungen digital anzubieten. In den kommenden Jahren wird die eAkte in den Behörden vieler Bundesländern Pflicht, spätestens dann muss die Papierakte abgeschafft werden und alle Prozesse müssen digital klappen. Jetzt ist die Gelegenheit durch die Entwicklung einer digitalen Infrastruktur für das öffentliche Gesundheitswesen, bei der die Zivilgesellschaft und die Behörden die sicherheitstechnischen und datenschutzrechtlichen Spielregeln definieren, den Markt der Software-Dienstleister zu steuern. So können auch beste Lösungen für die Gesundheitsverwaltung entwickelt werden.

Weg von Insellösungen und Abhängigkeiten

Wichtig ist, dass Ämter und Behörden von den Insellösungen und Abhängigkeiten von Unternehmen Abstand nehmen. Dies würde das Erreichen der Digitalisierungsziele deutlich beschleunigen, da unternehmerische Geschäftsmodelle nicht mit behördlichen Bedarfen konkurrieren. Die Digitalisierung von Ämtern muss als digitaler Prozess gedacht werden, das heißt es gibt nicht eine alle zufriedenstellende Lösung, sondern es muss eine kluge, offene IT-Architektur vorliegen, mit Hilfe derer auch zukünftige Probleme lösbar sind. Das ist ein immerwährender, stetiger Prozess der Verbesserung. Das geht am besten mit einem Public code, also Open Source Lösungen.

Die Pandemiebewältigung und die damit verbundene Digitalisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In der Pandemie haben die Gesundheitsämter wichtige Arbeit geleistet und konnten mit Fleiß und Engagement Menschenleben retten. Um ihnen zukünftig die Arbeit bei weiteren möglichen Pandemie-Ausbrüchen zu erleichtern, ist es jetzt wichtig und dringlich, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf ihre Arbeit zu fokussieren und ein digital-effizientes und angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen. Diese Wertschätzung ist das geringste, was ihnen zusteht und diese Wertschätzung haben sich die Gesundheitsämter jetzt verdient!

Mesut Yavuz ist Inhaber der IT-Beratungsfirma YES Automation. Er berät unter anderem Berliner Gesundheitsämter bei der Digitalisierung.

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