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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Zukunftschancen schaffen für junge Krebserkrankte

Felix Pawlowski, Sprecher der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Felix Pawlowski, Sprecher der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs Foto: Julia Krämer

Eine Krebs-Diagnose bedeutet einen gravierenden Einschnitt in die gesamte Zukunftsplanung aller Menschen. Doch gerade wenn die Betroffenen noch jung sind, reichen die Probleme weit über medizinische Fragen hinaus. In Deutschland gibt es hier auf viele Fragen noch viel zu wenige Antworten.

von Felix Pawlowski

veröffentlicht am 02.08.2022

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Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 16.500 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. Da das nur etwa drei Prozent der Gesamtkrebsdiagnosen ausmacht, verwundert es kaum, dass diese Patient:innengruppe nur wenig Aufmerksamkeit erhält und allzu oft vergessen wird.

Wir sprechen von einer Gruppe junger Menschen, die vor sehr speziellen Herausforderungen stehen. Die Betroffenen befinden sich zum Zeitpunkt ihrer Diagnose in der Regel noch im Existenzaufbau. Sie absolvieren eine Ausbildung oder studieren, haben gerade ihren ersten Job angetreten oder sich selbstständig gemacht. Die Krebserkrankung und die darauffolgende Therapie, unterbricht diesen so wichtigen Lebensabschnitt. Die Diagnose bedeutet einen gravierenden Einschnitt in die gesamte Zukunftsplanung. Und die Probleme reichen weit über medizinische Fragen hinaus.

Denn anstatt sich vollständig auf die Genesung konzentrieren zu können, rücken Fragen aus anderen Bereichen in den Vordergrund: Kann ich noch eine Familie gründen? Werde ich meine Ausbildung abschließen? Kann ich in meinen Traumjob durchstarten oder zurückkehren? Was kann getan werden, um mögliche Langzeitfolgen früh zu erkennen oder gar nicht erst auftreten zu lassen? In Deutschland gibt es zu all diesen Fragen noch viel zu wenig Antworten.

Ganz praktische Probleme im Alltag

Was wir jedoch wissen ist, dass nach einer Studie an der Universität Leipzig zur Lebensqualität von jungen Erwachsenen mit Krebs soziale und finanzielle Auswirkungen der Erkrankung unter den Top Drei der für sie wichtigsten Themen stehen.

Das ist auch logisch, denn die wenigsten Betroffenen haben zum Zeitpunkt ihrer Diagnose finanzielle Rücklagen gebildet, privat vorgesorgt oder können bzw. wollen sich auf eine finanzielle Unterstützung durch die eigene Familie verlassen. Sie werden schnell mit der harten Realität konfrontiert, dass eine so schwere Erkrankung wie Krebs zu Armut führen kann.

Das betrifft vor allem junge Patient:innen, die vor der Erkrankung keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen sind. Dazu gehören unter anderem Studierende. Sie haben keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und Krankengeld. So bricht denen, die beispielsweise BAföG erhalten oder sich mit kleineren Nebenjobs ihr Leben finanzieren, von einem Tag auf den anderen die finanzielle Grundlage weg.

Sie fallen durchs Raster. Den Betroffenen bleibt oft nur die Sozialhilfe. Doch deren Beantragung ist verbunden mit vielen bürokratischen Hürden und dazu noch kräftezehrend. Die Höhe der Sozialleistungen kann darüber hinaus gekürzt werden, beispielsweise aufgrund der Offenlegungspflichten der Einkommen der Eltern oder Partner:innen (Stichwort Bedarfsgemeinschaft) oder Prüfung auf Angemessenheit der Wohnung. Mal abgesehen davon, dass all die dafür notwendigen Beantragungen, Briefwechsel und persönlichen Termine mitten in ihre akute Therapiephase fallen. Das bedeutet, dass man sich neben Operationen, Chemo- und Strahlentherapien in den Wartezimmern der Sozial- und Arbeitsämter einzufinden hat. Das kann weder gesundheitsfördernd noch zielführend sein.

Flexibles Überbrückungsgeld als Lösung

Eine Lösung könnte die Schaffung eines flexiblen Überbrückungsgeldes sein, welches Betroffene ohne großen Aufwand und bürokratische Einschränkungen, bspw. durch Bescheinigung ihrer behandelnden Ärzt:in, erhalten. Die Regelung könnte für Menschen in Ausbildungs-/ Übergangssituationen gelten, die aufgrund einer „schweren lebensbedrohlichen, aber heilbaren Erkrankung“ temporär einen erhöhten Zusatzbedarf haben. Im Rahmen der Reform zum Bürgergeld ließe sich das als Sonder- oder Zusatzbedarf aufnehmen.

Der Wegfall der Vermögensvorprüfung und Prüfung auf Angemessenheit der Wohnung bei der Berechnung von Sozialleistungen wäre eine weitere praktische Erleichterung für Betroffene. Die Befreiung von persönlichen Vorstellungen bei behördlichen Terminen während der Akutphase der Therapie eine andere. Außerdem ist eine grundsätzliche Zuzahlungsbefreiung vom ersten Tag der Krankschreibung an angebracht.

Damit würde man eine wirksame Entlastung für diese Patient:innen schaffen und die Chance auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung in den Alltag und den Beruf steigern.

Zahl der Langzeitüberlebenden steigt

Sie können sich jetzt die Frage stellen, warum man für diese Betroffenen überhaupt eine solche Regelung finden sollte. Die Antwort ist ganz einfach: Mehr als 80 % von ihnen können heute glücklicherweise geheilt werden. Tendenz steigend.

Das bedeutet eine immer größer werdende Anzahl an Langzeitüberlebenden, die sich Teilhabe am Leben, am Alltag und im Beruf wünschen. Um sicher zu stellen, dass möglichst viele von ihnen die bestehenden Hürden nehmen und gestärkt im Erwerbsleben verbleiben, ist es notwendig, sie während der Akutphase ihrer Erkrankung so gut es geht (finanziell) zu entlasten.

Immerhin fördert man so Arbeitskräfte, die fortan wieder langfristig in die sozialen Sicherungssysteme (Kranken- und Rentenversicherung) einzahlen. Eine Win-Win-Situation und ein Modell, dass sich rechnen wird, wenn man in der Politik gewillt ist, jetzt etwas in die Hand zu nehmen.

Felix Pawlowski ist verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, die sich in Deutschland als zentrale Ansprechpartnerin für Betroffene zwischen 18 und 39 Jahren etabliert hat. Der studierte Medizinhistoriker ist durch seine Arbeit täglich in Kontakt mit jungen Betroffenen aus dem ganzen Bundesgebiet.

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