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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Was beeinflusst die Impfbereitschaft?

Philipp Lergetporer ist empirischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Volkswirtschaftslehre
Philipp Lergetporer ist empirischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Volkswirtschaftslehre Foto: privat

Welche Faktoren nehmen Einfluss auf die Impfbereitschaft? Dieser Frage geht der empirisch forschende Wirtschaftswissenschaftler Philipp Lergetporer nach. Ein Ergebnis ist, dass die Impfbereitschaft um 13 Prozentpunkte steigt, wenn ein Impfstoff eine „bedingte Zulassung" erhält, gegenüber der schnelleren, aber weniger umfassenden „Notfallzulassung".

von Philipp Lergetporer

veröffentlicht am 05.12.2023

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Die Covid-19-Pandemie hat unser alltägliches Leben tiefgreifend beeinflusst und das Bewusstsein für Gesundheitsthemen in der Öffentlichkeit verstärkt. Im Fokus standen insbesondere die Entwicklung von Impfstoffen und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich impfen zu lassen – der Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie. Dabei war nicht nur die wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit der Impfstoffe von entscheidender Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch ihre Zulassungsverfahren und die sozialen Normen rund um die Impfbereitschaft.

In zwei Studien haben Silvia Angerer, Daniela Glätzle-Rützler, Thomas Rittmannsberger und ich untersucht, wie diese Faktoren die Impfbereitschaft der Deutschen beeinflussen. Dazu haben wir zwei Umfrageexperimente in repräsentativen Stichproben der deutschen Bevölkerung mit insgesamt mehr als 5.000 Personen durchgeführt. Die Umfragen fanden im Frühjahr 2022 statt, als der Großteil der Bevölkerung noch keine Covid-19 Impfung erhalten hatte. In den Befragungen wurden zum einen detaillierte Informationen zur Impfbereitschaft und zu den wahrgenommenen sozialen Normen bezüglich der Impfung gesammelt. Zum anderen erfassten wir umfangreiche Angaben zu den Hintergrundmerkmalen der TeilnehmerInnen.

Einfluss von Zulassungsverfahren und sozialen Normen 

Die Ergebnisse des ersten Experiments sind eindeutig: In hypothetischen Szenarien steigt die Impfbereitschaft um beachtliche 13 Prozentpunkte, wenn ein Impfstoff eine „bedingte Zulassung“ erhält, gegenüber der schnelleren, aber weniger umfassenden „Notfallzulassung“. Zusätzliche Analysen zeigen, dass die höhere Impfbereitschaft bei Impfstoffen mit „bedingter Zulassung“ vor allem auf das gesteigerte Vertrauen der Befragten in die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Impfstoffe zurückzuführen ist. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass gründliche Zulassungsverfahren, welche das Vertrauen in die Impfung erhöhen, eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer Impfkampagne sind.

Das zweite Experiment zeigt, dass soziale Normen erheblichen Einfluss auf die Impfbereitschaft von Teilen der Bevölkerung nehmen können. Um den kausalen Zusammenhang zwischen den sozialen Normen bezüglich der Covid-19-Impfung und der individuellen Impfbereitschaft zu erfassen, führten wir Forscher:innen ein Informationsexperiment durch. Eine zufällig ausgewählte Hälfte der TeilnehmerInnen wurde darüber informiert, dass sich laut aktuellen Umfragen 70 Prozent der Deutschen gegen Covid-19 impfen lassen möchten. Anschließend beantworteten sie dieselben Fragen zur eigenen Impfbereitschaft wie die Kontrollgruppe ohne diese Information.

Tatsächlich unterschätzen die Deutschen die Impfbereitschaft ihrer MitbürgerInnen deutlich. Die bereitgestellte Information verändert die Impfbereitschaft der Befragten im Durchschnitt jedoch nicht, was auf zwei gegenläufige Effekte für Frauen und Männer zurückzuführen ist: Durch die bereitgestellte Information steigt die Impfbereitschaft von Frauen signifikant, da sie der sozialen Norm, sich impfen zu lassen, entsprechen möchten. Bei Männern ergibt sich jedoch das gegenteilige Bild: Werden sie über die hohe Impfbereitschaft in der Bevölkerung informiert, verringert sich ihre eigene Impfbereitschaft. Sie verhalten sich hierbei wie „Trittbrettfahrer“. Diese beiden gegenläufigen Effekte verdeutlichen, dass Informationskampagnen zur Steigerung der Impfbereitschaft unterschiedliche und teils nicht beabsichtigte Wirkungen entfalten können, je nachdem, wie die Information aufgenommen und verarbeitet wird.

Fazit: Impfbereitschaft stärken durch Transparenz und Kommunikation

Impfungen gegen Covid-19 sind unerlässlich, um eine der tödlichsten Pandemien der jüngeren Menschheitsgeschichte effektiv einzudämmen. Dennoch haben viele Länder mit niedrigen Impfraten zu kämpfen, insbesondere im deutschsprachigen Raum Europas, wo Impfskepsis und Verschwörungserzählungen bezüglich der Impfung besonders verbreitet sind. Die in diesem Artikel beschriebenen Studien bieten Erkenntnisse darüber, wie die Impfbereitschaft durch die Gestaltung der Zulassungsverfahren und durch gezielte Informationsbereitstellung für die Bevölkerung erhöht werden kann. Die Forschungsergebnisse betonen die Notwendigkeit einer koordinierten Strategie, die wissenschaftliche Entwicklung, regulatorische Vorgänge und gesellschaftliche Kommunikation miteinander verbindet. Diese Elemente müssen Hand in Hand gehen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken und eine breite Akzeptanz für Impfstoffe zu erzielen.

Dr. Philipp Lergetporer ist empirischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Volkswirtschaftslehre am Global Center for Family Enterprise (GCFE) der TUM School of Management, Campus Heilbronn.

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