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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wer Deutschlandtempo sagt, muss runter von der Bremse

Alexander Junge, Vorstand für Elektromobilität bei Aral
Alexander Junge, Vorstand für Elektromobilität bei Aral Foto: Aral

Der Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung sollte der große Wurf für den Ausbau des Ladenetzes in Deutschland sein. Ein Jahr nach seiner Veröffentlichung fällt die Bilanz durchwachsen aus: Vom Deutschlandtempo ist bei der Umsetzung noch wenig zu spüren, Investitionen verlieren ihren Reiz – der Mobilitätswende drohen weitere Verzögerungen.

von Alexander Junge

veröffentlicht am 19.10.2023

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Wer sich ein Bild vom aktuellen Stand des Ausbaus der Ladeinfrastruktur machen möchte, den lade ich an unsere Tankstellen in Nordrhein-Westfalen ein. In diesem Bundesland warten aktuell 44 nagelneue und betriebsbereite ultraschnelle Ladepunkte darauf, endlich das leisten zu dürfen, wofür sie gebaut und von uns installiert wurden – E-Autos binnen kurzer Zeit zu laden. Das Problem: Die Netzanschlüsse fehlen, und das seit über einem halben Jahr. Vom ausgerufenen Deutschlandtempo ist hier wie andernorts leider nur wenig zu sehen.

Dabei war genau das heute vor einem Jahr versprochen und verkündet worden – mit dem Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung. Einfacher und vor allem schneller sollte der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos vorangehen. Und mit attraktiveren Bedingungen sollten privatwirtschaftliche Investitionen mobilisiert werden. Die Bilanz ein Jahr später – sie fällt durchwachsen aus: Genehmigungen verzögern sich unnötigerweise, der Netzanschluss kommt nicht hinterher. In Konsequenz droht sich die Mobilitätswende weiter zu verzögern. 

Woran der Ausbau hakt

Dass Deutschland auf der Bremse steht, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Der europäische Vergleich zeigt: Deutschland baut zwar aus, rutscht aber im Ranking von 22 europäischen Ländern auf Platz 10 ab. Beim Thema Reifegrad der Ladeinfrastruktur landet die Auto-Nation Deutschland im hinteren Drittel. Auch beim Ausbau der ultraschnellen Ladeinfrastruktur verzögert sich durch Wartezeiten im Zusammenhang mit Baugenehmigungen und Netzanschlüssen rund jedes zweite Projekt. 

Das ist ärgerlich, weil jede Verzögerung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand sowohl aufseiten der beteiligten Unternehmen als auch der Behörden einhergeht. Viel schlimmer wirkt jedoch das Signal an Unternehmen, die in die Ladeinfrastruktur hierzulande investieren wollen. Deutschland beklagt in vielen Bereichen zurzeit einen Rekordabfluss an Investitionen. Grund dafür sind nicht fehlende Fördermittel, die Töpfe sind da. Es mangelt aus meiner Sicht schlicht an einer verlässlichen und pragmatischen Herangehensweise, die es Unternehmen ermöglicht abzuschätzen, wie lange das Vorhaben von der Beantragung bis zur Umsetzung dauert.

Unsicherheit war schon immer der schlechteste Taktgeber für Investitionen. Zwar investieren wir weiter und wollen unser Ladenetz bis 2025 auf 5000 und bis 2030 auf bis zu 20.000 ultraschnelle Ladepunkte ausweiten. Aber auch mein Team und ich kämpfen jeden Tag über die Republik verteilt mit den unterschiedlichsten Vorgaben und Formen von Anträgen für Genehmigungen und Anschlüsse. Und genau hier liegt das Problem – und ein Teil der Lösung. 

Denn wollen wir den Ausbau beschleunigen, müssen wir Prozesse länderübergreifend standardisieren und mit einer guten Portion Pragmatismus an die Sache herangehen – kurz: den Masterplan Ladeinfrastruktur II beim Wort nehmen. 

Wie sich das Tempo beim Ladesäulenausbau erhöhen ließe

Konkret würde das bedeuten, dass die Länder ihre Landesbauordnungen so anpassen, dass nicht nur Ladesäulen baugenehmigungsfrei sind, sondern auch die für Ultraschnell-Ladelösungen – soweit sie nicht batteriegepuffert sind – benötigten Transformatoren. Trotz ausdrücklicher Aufforderung durch die Bundesregierung im Masterplan II ist dies auf Länderebene jedoch noch nicht der Fall: Bisher hat kein einziges Land seine Landesbauordnung entsprechend angepasst.

Hoffnungsvoll stimmt dabei Baden-Württemberg. Dessen Landesregierung ist die einzige, von der uns bekannt ist, dass sie konkrete Planungen für eine solche Anpassung hat. Von der Umsetzung würden nicht nur Pkw-Projekte, sondern auch die sich noch in den Kinderschuhen befindliche Hochleistungsladeinfrastruktur für Lkw profitieren. 

Einen weiteren Turbo könnte ein gesetzliches Regelwerk für die Mittelspannungsebene zünden. In einem solchen könnten entsprechende Fristen für den Netzanschluss verbindlich geregelt werden: von der Höchstbearbeitungsdauer von Anträgen bis hin zu klar geregelten Pönalen, sollten Zeitpläne nicht eingehalten werden. Durch den Gesetzgeber initiierte Branchendialoge waren ein erster guter Schritt, dem weitere folgen sollten.

Österreich als Vorbild 

Auch bei den Förderprogrammen gibt es – wie von der Bundesregierung im Masterplan II richtig erkannt – noch Potenzial für einen schnelleren Ausbau im Zusammenspiel zwischen Behörden und Industrie. Noch immer sehen alle Förderprogramme für den Ausbau von öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur vor, dass mit dem Vorhaben vor dem Erhalt des Zuwendungsbescheids nicht begonnen werden darf.

Der Zeitrahmen von der Antragseinreichung bis zum Erhalt des Förderbescheids beläuft sich erfahrungsgemäß aber auf mehrere Monate, was den beabsichtigten schnellen Ausbau von Ladeinfrastruktur negativ beeinflussen kann. Ein Lösungsvorschlag: Der Antragssteller darf unter entsprechenden Voraussetzungen mit dem Projekt starten, sobald er den Antrag eingereicht hat – analog zu dem von unseren Nachbarn in Österreich erfolgreich praktizierten Vorgehen.

Wir haben in den vergangenen Jahren ordentlich Meter beim Ausbau der Ladeinfrastruktur gemacht und wurden gerade vom Magazin „Connect“ zum besten Ladenetzwerk Deutschlands gekürt. Aber Deutschland muss schneller werden. Es braucht ein beherztes und lösungsorientiertes Anpacken aller Beteiligten, um die Bremse beim Ausbau der Ladeinfrastruktur zu lösen und die Mobilitätswende zu beschleunigen. Der Masterplan Ladeinfrastruktur II der Bundesregierung hat dafür vor einem Jahr wertvolle Ansätze geliefert. Lasst sie uns endlich in Gänze umsetzen und damit weitere Investitionen für die Mobilitätswende generieren!

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