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Smart City

Standpunkte Beziehungen statt Besitz: Die Datenwelt des Plattform-Urbanismus

Peter Mörtenböck, Leiter des Centre for Global Architecture
Peter Mörtenböck, Leiter des Centre for Global Architecture Foto: Foto: privat

Welche Rolle spielen digitale Plattformen in der Zukunft für den städtischen Raum? Peter Mörtenböck, Mitbegründer und Leiter des Centre for Global Architecture, befasst sich mit Schattenzonen des Plattform-Urbanismus und mit der Frage, welche Daten smarte Städte eigentlich brauchen und wem sie gehören sollen.

von Peter Mörtenböck

veröffentlicht am 27.10.2022

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Egal, in welcher Stadt wir uns bewegen, digitale Plattformen geben immer mehr den Ton in der Transformation des städtischen Lebens an. Seien es Amazons Operationen im weltweiten Warenhandel, Airbnbs Einfluss im Bereich der Wohnraumversorgung, Alphabets Vorstöße in die Entwicklung smarter Gebäudetechnologien oder Ubers Initiativen im Bereich von urbaner Mobilität: Mit der Ausbreitung von plattformgesteuerten urbanen Infrastrukturen entsteht eine von den Konjunkturen der Plattformindustrie geprägte neue Stadtlandschaft. Diese Veränderung schreitet in zwei Richtungen voran: Das physische Terrain der Stadt schreibt sich digitalen Plattformen in Form von nutzergenerierten Inhalten – sprich Daten – ein, und umgekehrt sind Plattformen dabei, selbst zu einer neuen Form von (digitaler) Stadt zu werden.

Mit der zunehmenden Verlagerung von menschlicher Interaktion auf Plattformen wird so der gebauten Umwelt ihr Rang als dominante Kraft in der Strukturierung unseres Zusammenlebens abgelaufen. Im Einklang mit den kommunikativen, logistischen und operativen Protokollen von Plattformen besticht der neue Geist von Urbanität mit flexiblen Arbeits- und Wohnformen, multifunktionalen Strukturen, offenen Kommunikationsbereichen, schwellenlosem Konsum, modischen Farben, dekorativen Mustern, schmeichelndem Licht und einzigartigen, handgefertigten Details – kurz: mit Raum, der zu einem Erlebnis „avanciert“.

Schattenzonen der digitalen Plattformen

Ganz schön „smart“ also, die sogenannten Smart Cities von Big Tech und Co.? Oder sind wir mit dem neuen Phänomen des Plattform-Urbanismus nun tatsächlich bei Smart City 3.0 angekommen? Im Team des von Helge Mooshammer und mir geleiteten Centre for Global Architecture haben wir uns über mehrere Jahre hinweg damit befasst, welche Rolle digitale Plattformen in der Zukunft für den städtischen Raum spielen werden. Werden sie die an die gewachsene Stadt gerichteten Ansprüche auf soziale Interaktion vollständig an sich reißen oder lassen sich noch Lücken im adrett zurechtgemachten Gewebe der Plattform-Stadt finden?

Im Zuge unserer Arbeiten konnten wir feststellen, welche riesigen Schattenzonen rund um die von Plattformen konfigurierten Bühnen des urbanen Lebens im Entstehen sind: ein kaum beachteter Backstage-Bereich von Kurieren, Fahrern, Pädagogen, Gärtnern, Reinigungs- und Hilfskräften, die via Plattform jederzeit auf Abruf bereit stehen, um anderen zu mehr Spontaneität und Genuss zu verhelfen.

Auf Halde erzeugt wird alles, was es braucht, um diese On-Demand-Services wirklich zur Verfügung stellen zu können: von der Essenszubereitung in Containerdörfern bis zu Gewächshäusern für Co-Living-Komplexe, und von gigantischen Warenlagern an strategischen Knotenpunkten bis zu billigen Wohnquartieren für die Betreuer dieser Nachschubproduktion. An diesen von Logistikdienstleistungen, endlosen Nachtschichten, unterversorgten Stadtrandgebieten und Arbeitskraft aus Niedrigeinkommensländern gezeichneten Rändern der Plattform-Stadt könnten in den nächsten Jahren höchst konfliktreiche Situationen entstehen.

Warum Daten kein Besitz sind

In diesen Konflikten spielt die zivilgesellschaftliche Kontrolle über die eigenen Datenflüsse eine wichtige Rolle. Viele beklagen schon heute, dass einem der Besitz der eigenen Daten von Plattformen unvermeidlich entzogen wird. Doch Kontrolle zu erlangen, bedeutet nicht zwangsläufig Daten als eine Form von individuellem Besitz für sich zu reklamieren. Kontrolle kann auch als Mitgestaltung von Möglichkeiten gesellschaftlicher Interaktion verstanden werden. „Data Is A Relation Not A Property“, lautet deshalb ein zentraler Slogan, mit dem das Centre for Global Architecture in Ausstellungen wie der Architekturbiennale Venedig für eine neue Haltung gegenüber Daten eintritt.

Daten sind Teil und Ergebnis des kollektiven Bemühens, Grundlagen für eine gemeinsame Existenz herzustellen, einander zu verstehen und zu Vereinbarungen zu kommen. Sie können daher nicht ohne Weiteres aus diesen Prozessen herausgelöst werden. „Meine Daten gehören mir“, ist somit ein fragwürdiger Ansatz, wenn es darum geht, undurchsichtige Datenmärkte und Abhängigkeiten von Datenunternehmen zu unterbinden. Konsequenter wäre es in gesellschaftlichen Prozessen darüber zu befinden, welche Daten für uns alle wertvoll sind und wie wir diese Daten gemeinsam einsetzen wollen.

Darauf aufbauend starten wir im Moment ein vom österreichischen Wissenschaftsfonds gefördertes Citizen-Science-Projekt („City Layers“). In diesem Projekt entwickeln wir Mapping-Tools in Form von Apps, die an bestimmten Orten der Stadt von jedem eingesetzt werden können, um vorhandene Informationen abzurufen und neue Informationen zu definieren. Der damit geschaffene virtuelle Sensorraum soll eine neue Qualität von Daten generieren helfen, die kollektiv erstellt, diskutiert und verwendet werden.

Wagen wir die Trendwende

Solche Dialoge sind, wie das jüngst der amerikanische Medien- und Technologieexperte Jathan Sadowski in seinem Buch „Too Smart“ betont hat, eines der wichtigsten Markenzeichen menschlicher Interaktion. Sie unterscheiden sich im Kern von unseren heutigen Interaktionen mit „smarter“ Technologie, die meist starren und befehlenden Charakter haben und kaum kommunikativ sind.

Gegenüber dieser Engführung gilt es eine neue Gesprächskultur einzufordern, in der sich gesellschaftliche Dialoge in offener und gleichberechtigter Weise entfalten können. Diese Kultur ist der technologischen Entwicklung nicht ausgeliefert. Sie ist ein Ausdruck der Verteilung von Möglichkeiten innerhalb eines gesellschaftlichen Gefüges. Nachdem diese Verteilung aber immer mehr durch technologische Mittel gestaltet, reguliert und gesteuert wird, ist es entscheidend, verstärkt auf jene Technologien zu setzen, mit denen die kollektive Imagination der Stadt in den Blickpunkt gerückt wird.

Eine solche Trendwende könnte letztlich dazu beitragen, den Fokus in der Datendiskussion von der Frage, wem Daten gehören, zu einer Auseinandersetzung mit der Selbstbestimmung unserer Beziehungen im Stadtleben umzulenken. Und das könnte angesichts des stattfindenden Ausbaus von Machtmonopolen digitaler Plattformen keineswegs schaden.

Peter Mörtenböck ist Mitbegründer und Leiter des Centre for Global Architecture. Er hlt eine Professor für Visuelle Kultur an der TU Wien und ist Research Fellow am Goldsmiths College der University of London.
In seiner Forschung beschäftigt sich Mörtenböck mit städtischen Infrastrukturen, neuen Datenöffentlichkeiten und der Architektur des politischen Gemeinwesens. Gemeinsam mit Helge Mooshammer kuratierte er den Österreichischen Pavillon der Architekturbiennale Venedig 2021 zum Thema „Plattform-Urbanismus“. Zu den jüngsten Buchveröffentlichungen der beiden Architekten und Kulturtheoretiker zählen unter anderem „Data Publics: Public Plurality in an Era of Data Determinacy“ (2020) und „Platform Urbanism and Its Discontents“ (2021).

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