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Smart City

Standpunkte Die ambitionierten Klimastädte brauchen jetzt die Unterstützung der Bundesregierung

Peter Kurz, ehem. Mannheimer Oberbürgermeister, und Caroline Paulick-Thiel, Direktorin Politics for Tomorrow
Peter Kurz, ehem. Mannheimer Oberbürgermeister, und Caroline Paulick-Thiel, Direktorin Politics for Tomorrow Foto: Daniela Franz/Constanze Flamme

Die europäische Mission „100 klimaneutrale und smarte Städte bis 2030“ droht zu scheitern, wenn der Bund die Städte nicht stärker unterstützt. Das meinen Peter Kurz, der als ehemaliger Oberbürgermeister die EU-Mission begleitet hat, und Caroline Paulick-Thiel von Politics for Tomorrow.

von Peter Kurz und Caroline Paulick-Thiel

veröffentlicht am 14.02.2024

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Mit der EU-Mission „100 klimaneutrale und smarte Städte“ wurde eine europäische, breit angelegte Koalition gebildet. Eine Koalition mit großem Potenzial für systemische Veränderungen – und als diese hat sie hohe Erwartungen geweckt. Für Deutschland ist das Vorhaben ein wichtiger Hebel, um Antworten auf die fortschreitende Klimakrise zu finden und entsprechende Maßnahmen zu beschleunigen. Das benötigt politische Zusammenarbeit und darf nicht durch Untätigkeit scheitern.

Nicht weniger als die Mondlandung der USA hatte die EU-Kommission im Sinn, als sie ihre Europäischen Missionen ausrief. Der Vergleich ist für das Gelingen der Transformation in 100 europäischen Städten und das Ziel, sie binnen weniger Jahre modellhaft zu Klimaneutralität und smarter Steuerung zu entwickeln, sicher nicht zu ambitioniert gewählt. Das Programm etabliert ein europaweites Reallabor, das als Motor für größere öffentliche Handlungsfähigkeit fungieren kann. Und es bietet vor allem die seltene Chance, eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen politischen Ebenen zu üben und wirksamere Politik in zentralen Aufgabenfeldern zu gestalten.

Der Start war gelungen: Die Resonanz auf den Aufruf 2021 war erheblich. Über 350 Städte hatten sich zwischen November 2021 und Januar 2022 beworben. Letztlich wurden 100 Städte innerhalb der EU ausgewählt, neun davon in Deutschland. Der Aufwand, den die Städte seit dem Programmstart betreiben, ist beachtlich, insbesondere bei der Gewinnung lokaler Partner:innen und der Aufbereitung von Daten. Jetzt müsste die Umsetzung Fahrt aufnehmen. Doch nun zeigt sich, dass keine belastbare politische Verantwortung, insbesondere auf der nationalen Ebene, vorhanden ist.

Das Vorhaben wird unterschätzt

Die Bedeutung der „100 klimaneutralen und smarten Städte“ als europäisches Modellvorhaben wird national unterschätzt oder vielleicht überhaupt nicht erkannt. In Deutschland ist das Programm beim Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) angesiedelt und bildet nur einen kleinen Aspekt in dessen umfangreichem Portfolio. Das Kabinett, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Umweltministerium (BMU) oder das Landwirtschaftsministerium (BMEL) scheinen mit der Mission wenig vertraut.

Dabei ist die Einbindung der Kommunen und ihre fachliche, personelle und finanzielle Leistungsfähigkeit für alle gesellschaftlichen Transformationsprozesse ein zentraler Gelingensfaktor, wie die beim Nachhaltigkeitsrat organisierten Städte in ihren aktuellen Thesen deutlich und ausführlich darlegen. Den neun deutschen Städten (Aachen, Dortmund, Dresden, Frankfurt am Main, Heidelberg, Leipzig, Mannheim, München, Münster) war von Anfang an klar, dass eine erfolgreiche Umsetzung nur als gemeinsame Anstrengung von EU, Bund, Land und Stadt gelingen kann. Ohne gemeinsames Agieren und Lernen über die Ebenen hinweg wird die Mission nicht wirksam – zentrale Hindernisse für die notwendigen Transformationen können nicht überwunden werden.

Aktuell fehlt es jedoch an Engagement, um zwischen Bund, Land und Kommunen ins gemeinsame Lernen zu kommen. Denn solange die „Mondlandung“ der Transformation als etwas gesehen wird, das nicht in die nationale beziehungsweise regionale Systematik hineinpasst, bleibt sie nur eine „Brüsseler Idee“. Dabei könnte sie ein Werkzeug sein, um vielen Konfliktlagen – von Wärme bis Nahrung – konstruktiv und beispielgebend zu begegnen. Eine unzureichende Unterstützung der EU-Mission birgt zudem das Risiko, wichtige lokale Partner:innen zu verärgern und zu verlieren, die für einen bedeutenden Teil der EU-Bevölkerung stehen. Das Scheitern der Mission würde die Position derjenigen stärken, die Veränderungen im notwendigen Tempo nicht erstrebenswert finden oder für unmöglich halten.

Was sich ändern müsste

Noch ist das europäische Großprojekt nicht verloren, wenn jetzt entschieden gehandelt wird – vonseiten der EU und vor allem durch die Bundesregierung. Ein erster, wesentlicher Schritt würde darin bestehen, zumindest jede Stadt mit einem Mission-Label durch Vertreter:innen der europäischen, nationalen und regionalen Ebene zu begleiten. Dabei müssen diese Vertreter:innen sowohl ein Mandat als auch ausreichend Einfluss haben, um verschiedene fachlich zuständige Ministerien an einen Tisch zu bringen.

Ab sofort sollten für die Städte externe Kapazitäten zur Weiterentwicklung der Projektportfolios zur Verfügung stehen. Denn nur so lassen sich private als auch öffentliche Mittel mobilisieren und insbesondere für die Entwicklung von neuen Finanzierungsmodellen fehlt die Expertise vor Ort.

Je weiter das Projekt fortschreitet, desto mehr müssen Erfahrungen und Ansätze geteilt werden, um die Mission als Hebel der Beschleunigung zu nutzen. Dieser Austausch muss koordiniert werden, denn durch die Selbstorganisation der Städte allein ist das nicht abzudecken – wie die Einrichtung einer umfangreich ausgestatteten Koordinierungs- und Transferstelle für Modellprojekte im nationalen Smart Cities Förderprogramm belegt.

Auch ist in vielen Städten deutlich mehr Kapazität für aktivierende Beteiligung und lokale Zusammenarbeit erforderlich. Diese demokratischen Kapazitäten werden mitentscheidend sein, um die politische Handlungsfähigkeit der Städte in der Transformation zu sichern. Für die Vorgänger-Mission hat erst vor wenigen Wochen der Europäische Rechnungshof festgestellt, wie wichtig die Dimension bürgerschaftlicher Beteiligung für den Erfolg der Programme ist.

Der Nutzen des Programms ist über das Thema der Klimaneutralität hinaus vielfältig: Aktuelle Zwischenergebnisse werden nationale Smart Cities Programme bereichern und eine solide Basis für industriepolitische Strategien bilden. Bereits die kombinierte Nachfrage aus den Transformationsplänen der neun Städte mit ihren gut fünf Millionen Einwohnern werden in verschiedenen Sektoren wie Mobilität oder Wärmewende das derzeitige Marktangebot übersteigen. Eine diesbezügliche Analyse kann ein positives Narrativ der Transformation glaubwürdig vermitteln und zugleich den Aufbau industrieller Kapazitäten erleichtern.

Damit all diese wichtigen Entwicklungen möglich werden, braucht es jetzt die Rückbindung an zentrale politische Verantwortlichkeiten. Das Zeitfenster hierfür schließt sich schnell.

Peter Kurz, geboren 1962, war von 2007 bis 2023 Oberbürgermeister von Mannheim und Aufsichtsratsvorsitzender in zum Teil börsennotierten, städtischen Tochtergesellschaften. Er begleitete Funktionen in europäischen und internationalen Gremien, wie seit 2018 dem Ausschuss der Regionen der EU, bei United Cities and Local Governments (UCLG) als Mitglied im Weltbüro und im Exekutivbüro. Als Gründungsmitglied des Global Parliament of Mayors (GPM) 2016, übernahm er von November 2019 bis August 2023 den Vorsitz.

Caroline Paulick-Thiel, geboren 1978, ist eine strategische Designerin, die sich auf die Demokratisierung von sozial-digital-ökologischen Transformationen spezialisiert hat. Mit Politicsfortomorrow.eu arbeitet sie mit politisch-administrativen Institutionen auf allen Ebenen für einen öffentlichen Wandel. Im Berliner Smart City-Kernteam begleitet sie die Umsetzung der Smart City-Strategie und gründete für Creative Bureaucracy eine Akademie, die co-kreative Arbeitsansätze für öffentliche Herausforderungen fördert.

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