Baden-Württemberg hat kürzlich ein Open-Data-Portal gestartet. „Daten BW“ wurde es als Teil von „digital Länd“ getauft. Zu einem „open“ oder „Transparenz“ im Namen konnte man sich entweder nicht durchringen oder man ist schon so weit, Open-Data-Kriterien als ganz normales Zugangs- und Nachnutzungsmerkmal in einer ohnehin längst überfälligen Dateninfrastruktur der öffentlichen Verwaltung zu verstehen. Hoffen wir Letzteres.
Da war doch was?
Akteur:innen der deutschen Open-Data- und Open-Government-Ursuppe dürften sich noch vage erinnern, dass sich das Land Baden-Württemberg bereits 2011 unter Federführung des Referats 52 mit dem Namen „E-Government, Open Government, Verwaltungsmodernisierung“ des Innenministeriums auf den Weg zu einem Open-Data-Portal machte. Aufmerksamkeitsökonomisch selbstbewusst, wie man in Süddeutschland ist, stellte das Land das Portal als Prototyp auf der Cebit 2012, der weltweit größten Messe für Informationstechnik, der Öffentlichkeit vor. Von der ersten Initiative bis zu seiner Realisierung vergingen gerade einmal vier Monate, prahlte das Land. Auf den zweiten Blick ist die schnelle Entwicklung weniger beeindruckend. Denn die Entwicklung des Löwenanteils eines solchen Portals, nämlich des Katalog-Standards, schritt mit dem aus der Zivilgesellschaft erarbeiteten CKAN (einer webbasierten Datenkatalog-Software) bereits seit 2006 voran. Das Land musste lediglich ein Frontend darauf zu schneidern.
Anlass war der Koalitionsvertrag der baden-württembergischen Landesregierung vom Mai 2011. Darin hat die grün-rote Regierung, erstmals unter grüner Führung, unter der Überschrift „Transparenz des Regierungshandelns im Netz“ sich in einem Absatz dem grundsätzlich freien Zugang zu Informationen, Daten und Dokumenten verschrieben. Sie hielt fest: „Die Koalitionspartner orientieren sich hier am Grundsatz ‚Open Data’“. Im Oktober 2011 verabschiedete der IT-Planungsrat dann, unter dem Vorsitz von Baden-Württemberg, das Schwerpunktprogramm zur Umsetzung der Nationalen E-Government-Strategie (NEGS). Damit beschloss er auch das Steuerungsprojekt „Förderung des Open Government“. Das Thema Open Data schaffte es damals sogar unter § 11 „Veröffentlichungspflichten und Informationsregister“ in das Landesinformationsfreiheitsgesetz Baden-Württembergs, das auch Kommunen betrifft. Allerdings fristet es dort nur ein Dasein als Randnotiz für den Fall von besonders nachgefragten Informationen. Beim Prototyp des baden-württembergischen Open-Data-Portals aus 2012 blieb es jedoch – bis zum 20. Juli 2023.
Woran es haperte
Erst verhedderte man sich voller Ehrgeiz, das Portal für Kommunen mandantenfähig zu machen. Kommunen und Gemeindeverbände eine Möglichkeit zu geben, sich auf Basis des Portals mit einem Ausschnitt des Katalogs ihrer Open Data und etwas eigenem Erscheinungsbild zu präsentieren, ist an sich ein sinnvolles Entgegenkommen. Zumal die Kommunen in einer „Ja-Nein-Vielleicht-Zierde“ ihre Widerspenstigkeit bei Open Data zum Ausdruck gebracht hatten. Es hat dem Land aber bereits den ersten Schwung genommen. Angefixt von den Fortschritten des E-Governments in Österreich und Estland und angestachelt von einem recht über das Knie gebrochenen Onlinezugangsgesetz, sattelte man vollkommen auf digitale Behördengänge von Bürger:innen um, die im Unterschied zu Bedarfen der Wirtschaft in der Regel durchschnittlich nur ein bis zweimal im Jahr vonnöten sind. Entscheidungen des Staates und in der Gesellschaft auf Erkenntnisgewinn aus Daten der öffentlichen Hand zu gründen oder Anwendungen zum Beispiel als Alltagshelfer daraus zu entwickeln, und dies alles zu fördern, halte ich persönlich für mindestens ebenso wichtig. Im Zuge dessen vergaß man komplett, dass Open Data ein E-Government-Thema ist und dass die Verwaltungsdigitalisierung zusätzlich wichtige statistische Daten erzeugt, die Open-Data-Potenzial haben.
Nachdem dann noch eine geistesgegenwärtige Mitarbeiterin des nationalen Open-Data-Portals Govdata mit der Adaption des neuen europäischen Data Catalogue Vocabulary (DCAT) einen deutschen und europaschädlichen Alleingang mit dem eigenen Open Government Data Standard 2.0 abwendete, mussten diverse Anpassungen im Prototypen der Baden-Württemberger vorgenommen werden. Damit wurde das Open-Data-Portal in Baden-Württemberg politisch quasi komplett vergessen und begraben. Und die Verabredung mit dem Bund bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs 2016, ein Open-Data-Gesetz auf den Weg zu bringen, sitzt Baden-Württemberg ebenso immer noch aus.
Schwamm drüber…
…wird sich die Landesregierung nun gedacht haben. Denn jetzt, elf Jahre später, ist in der Festschrift zum Portal-Start kein Wort dieser merkwürdigen Geschichte zu lesen. Dabei ließ das Land seit 2012 die Open-Data-Szene Baden-Württembergs immer wieder im Glauben, dass ein Portal bald gestartet werde. Eine kleine Reflexion dazu wäre stilecht gewesen. Stattdessen geizt man in der Meldung zum Start von „Daten BW“ abermals nicht an großen Worten, deklariert das Portal als neuen Meilenstein der Innovationsregion Baden-Württemberg, die sich das Ziel gesteckt hat, die digitale Leitregion Europas zu werden.
Nicht auszudenken, wie lange sich das womöglich noch gezogen hätte, wenn nicht die Europäische Union (EU) mittlerweile Nägel mit Köpfen gemacht hätte. Die EU hatte unlängst an die Novelle ihrer Open-Data-Richtlinie (ehemals PSI-RL) beherzt eine Durchführungsverordnung, um bestimmte hochwertige Daten als Open Data bereitzustellen, gehängt. Diese ist just im Januar 2023 in Kraft getreten und wirkt –anders als bei einer Richtlinie, die erst in eigene Rechtsnormen der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss – direkt über alle föderalen Ebenen. Das gilt auch für Baden-Württemberg.
Üben wir uns doch mal in konstruktivem Journalismus: Angenommen, Baden-Württemberg will Leitregion Europas werden, beispielsweise in Open Data. Zurzeit zählt Baden-Württembergs Nachbar Frankreich zum Spitzenfeld beim Open Data Monitoring der OECD. Das gelang mit dem Gesetz für die Digitale Republik aus 2016. Dort wird die Umsetzung von Open Data in Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern beaufsichtigt. Baden-Württemberg kann in diese Liga erst vorstoßen, wenn „the Länd“ die Datennachnutzung zum zentralen Handlungsfeld erklärt.
Zum Beispiel, indem es ein Evidenz-Gesetz wie in den USA erlässt, welches Open Data als Notwendigkeit für möglichst niedrigschwellige und allgemeine Datennutzung in dessen Mitte nimmt und auch das Nutzungsversprechen innerhalb der Verwaltungen untermauert. Weiterhin muss die gesamte territoriale Ebene mit den Kommunen und Gemeindeverbänden in den Geltungsbereich der Rechtsnorm genommen werden, beispielsweise bis Ortsgröße 5000 Einwohner.
Zudem sollte das Land bei DCAT-AP Felder für die hochwertigen Daten der EU-Regulierung und für eigene priorisierte Musterdaten einfügen, damit ein Crawler als Regulierungstechnologie den Vollzug der Rechtsnorm überwachen kann. Ein eingebauter Rechtsanspruch an Open Data und Sanktionsmöglichkeiten stärkt die Vorschrift. Mit intersektoraler Infrastruktur, Bildungsstruktur und Finanzierung unterstützt das Land die Datenzugänge und Datenkompetenzen. Im besten Fall lässt sich das im E-Government-Pakt zwischen Land und Kommunalverbänden entsprechend anpassen und die gesamte Förderkulisse des Landes um Datenbereitstellung und -nachnutzung ergänzen. Das Land engagiert sich im Dateninstitut Deutschland, um in der deutschen und europäischen Datenpolitik auch eine gestaltende Rolle einzunehmen.
Oliver Rack ist Ansprechpartner für Zivilgesellschaft beim Open Government Netzwerk im Rahmen der Open Government Partnership Deutschlands und setzt sich für Open Data ein, etwa als Teil einer emanzipatorischen Informationsinfrastruktur in einer Open Governance. Er ist Teil der Initiative für ein Dateninstitut Deutschland und setzt sich auch für FAIR Digital Objects ein. Zudem ist Oliver Rack in der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landtags Baden-Württemberg Sachverständiger für Digitalisierung und offene Systeme, Mitglied des Smart City Standard Forum des DIN und im Vorstand von nextlearning. e.V., dem Trägerverein von Politics for Tomorrow.