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Smart City

Standpunkte Linked Open Data und semantische Webtechnologien als Chancen für Stadtdaten

Aurel von Richthofen, Leiter Cities Team bei Arup
Aurel von Richthofen, Leiter Cities Team bei Arup Foto: Michel Buchmann

Städte sollten offene Datenmodelle verfolgen. Nur mit ihnen ließe sich eine offene Datenstruktur bereitstellen, die ihnen als komplexe, lebendige und vielfältige Phänomene gerecht wird, schreibt Aurel von Richthofen, Leiter des Cities Team bei Arup, in seinem Standpunkt.

von Aurel von Richthofen

veröffentlicht am 26.01.2023

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Eine Grundannahme von Smart Cities ist , dass offene und vernetzte Stadtdaten wesentlich zur Digitalisierung der Städte beitragen können. Dazu werden aktuell viele Datenmodelle, Standards, Protokolle und Mechanismen entwickelt und diskutiert. Die Trends lassen sich unter der Begriffen Data-Spaces, Data-Lakes, Gaia-X und Minimal Interoperability Mechanisms (MIMs) zusammenfassen. Um dieses Thema drehte sich vergangene Woche auch ein Interview im Tagesspiegel Background mit Michael Mulquin von der Organisation Open & Agile Smart Cities. Auf einige seiner Gedanken möchte ich hier reagieren – und eine etwas andere Vision vorschlagen.

Linked Open Data als Alternative für Smart Cities

Die Grundlagentechnologie für offene Daten im Netz beruht auf Linked Open Data (LOD). Diese wurden bereits 2004 von Ian Jacobs und Norman Walsh beschrieben. Die beiden Forscher schreiben, dass Daten wie schon das Web generisch, offen und vernetzt sein sollten. Darauf aufbauend formulierten 2009 Christian Bizer, Tom Heath und Tim Berners-Lee, der bereits das World Wide Web erfunden hatte, die Grundlagen des semantischen Webs.

Vereinfacht gesagt erlaubt das semantische Web, Datenobjekte an sich und deren Verhältnis zu anderen Daten logisch zu beschreiben. Es geht also einen Schritt weiter als das aktuell verbreitete Web 2.0, indem es Daten nicht nur für Menschen, sondern auch für Maschinen lesbar macht. Dazu benötigt man ein verständliches, konsistentes und kontrolliertes Vokabular, sogenannte Ontologien. Damit lassen sich Wissensbereiche logisch beschreiben. Durch eine Beschreibung mit Objekt, Prädikat und Subjekt entsteht eine skalierbare, robuste, maschinen-lesbare, interoperable, offene und vernetze Datenwelt, ein sogenannter „Wissensgraph“.

Diese semantischen Webtechnologien werden bereits von den großen Tech-Firmen bei Internetsuche, Sprachassistenz und Industrieautomation eingesetzt. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die mit neuronaler künstlicher Intelligenz arbeiten, benötigen Wissensgraphen keine gigantischen Trainingsdatensätze. Ihre Entscheidungspfade sind logisch, transparent und nachvollziehbar.

Dieser Ansatz wird in der Forschung und Praxis auch bereits auf komplexe Systeme wie Städte angewandt. Es wurden nicht nur Ontologien als Beschreibungen der Städte entwickelt, sondern es können ebenfalls Prozesse, Management und Planungssupport abgebildet werden. Einige Beispiele sind der Cities Knowledge Graph der University of Cambridge und der ETH Zürich und der Digitale Zwilling der Stadt Freiburg.

Ein digitales Ökosystem statt kommerzieller Cloud

Nun stehen Städte auf dem Weg der digitalen Transformation aber vor einer Reihe ganz konkreter Anforderungen. Sie müssen Daten in Dienste und Systeme einbinden, harmonisieren und kuratieren. Es kommen immer neue Datenquellen hinzu. Der vermeintlich einfache Weg, die Daten in die Cloud kommerzieller Anbieter zu schicken, löst diese Problematik noch nicht. Damit ein digitales Ökosystem entstehen kann, braucht es eine vertrauenswürdige Datenumgebung.

Das europäische Projekt Gaia-X erarbeitet ein föderales System, das es privaten und öffentlichen Cloud-Dienstleistern erlauben soll, mit europäischen Daten nach EU-Standards zusammenzuarbeiten. Daten werden hier semantisch integriert und folgen keinen festen Schemata. Dadurch können eine Vielzahl von dynamischen Data-Spaces entstehen. Gaia-X ist der richtige Weg, wenn er weiterhin partizipativ beschritten wird.

Um städtische Prozesse, zum Beispiel Planungsabläufe, Live-Verkehrsmonitoring oder Umweltmessungen als Linked Data digital abbilden zu können, müssen sie in Form der oben beschriebenen Ontologien, beziehungsweise Vokabulare, abgebildet werden. Damit diese Vokabulare auch im Sinne der Einwohner*innen funktionieren und deren politischen Zielen entsprechen, müssen sie kontrolliert werden.

Städte müssen dabei nicht gleich den gesamten Wissensgraph für die Stadt entwickeln, sondern priorisieren, welche Ontologien sie zuerst entwickeln möchten. In der Praxis können auch nicht alle Daten als Linked und Open bereitgestellt werden, auch hier gilt es, zu priorisieren. Und es können nur bestimmte Daten als Linked und Open bereitgestellt werden.

Unweigerlich wird der offene Data-Space also zum Teil wieder eingedämmt, unterteilt, unsichtbar gemacht. Es ist also abzuwägen: Welche Daten kann und wieviel will man veröffentlichen – eine Grundsatzabwägung der Digitalgesellschaft. Idealerweise findet die Entwicklung der Ontologien und die Kuration der Daten deshalb offen und in einer Gemeinschaft statt. Dieser Prozess ist langwierig, aber führt zu einer gesamtgesellschaftlichen Datenhoheit. Wichtig dabei: Linked Data ist ein grunsätzlich offenes Datenmodell, das zwar Einschränkungen ermöglicht, aber keine Möglichkeiten verbaut.

Der kleinste gemeinsame Nenner funktioniert nicht

Für viele Anbieter ist der Weg der Linked Open Data und des semantischen Webs noch Neuland. Man könnte fast vermuten, ihr prioritäres Geschäftsmodell stünde dem gemeinsamen Erarbeiten eines offenen Netzes von Stadtdaten im Wege. Parallel zu den internationalen Standards des Open Geographic Consortium (OGC) und des W3C's Web Ontology Language (OWL) entwickelt eine Gruppe der Open & Agile Smart Cities sogenannte Minimal Interoperability Mechanisms (MIM) als pragmatische Antwort auf komplexe Datenmodelle, -Austauschformate, und -Prozesse.

Diese sollen nicht weniger als „universelle Werkzeuge zur Interoperabilität von Daten, Systemen und Dienstleistungen in Städten“ werden (siehe Introduction - OASC MIMs). Leider sind viele Bausteine noch nicht implementiert, die Entscheidungsfindung zur Erstellung der MIMs folgt nicht den akademischen Exzellenzmechanismen der Peer Review, das technische Komitee ist mehrheitlich aus Technologie-Anbietern besetzt.

So löblich die von Mulquin im Interview erklärte Erarbeitung von Minimal Interoperability Mechanisms erscheint, so sehr vergisst sie jedoch die dynamische und komplexe Natur des Phänomens, das es zu beschreiben gilt, nämlich Städte! Um es ganz klar zu sagen: Keine Stadt gleicht der anderen, jede hat ihre eigene Zivilgesellschaft mit eigenen Anliegen und Prioritäten, jede Stadt braucht ihr eigenes Datenmodell. Eine Stadt ist keine funktionale Maschine, die sich auf einen vermeintlich kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren lässt.

Städte sind lebendige, komplexe, vielfältige Phänomene. Städte, die sich als solche verstehen, sollten daher (zukunfts-)offene Datenmodelle, wie zum Beispiel der Linked Open Data und des semantischen Webs verfolgen. Nur darauf lässt sich eine offene Daten-Infrastruktur bereitstellen, die Städte auf dem Weg der Digitalisierung voranbringt. Nur so lassen sich die Weichen einer digitalen Stadtgesellschaft zukunftsweisend stellen.

Aurel von Richthofen leitet das Cities Team bei Arup in Berlin und ist assoziierter Forscher am Future Cities Laboratory der ETH Zürich in Singapur. Der Architekt und Stadtplaner hat sich auf datenbasierte digitale Werkzeuge und digitale Stadtzwillinge spezialisiert, um komplexe urbane Themen an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu bearbeiten.

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