Erweiterte Suche

Smart City

Standpunkte Eine digitale Verwaltung ist nicht automatisch modern

Birgit Schenk, Leiterin des Kompetenzzentrums Digitale Transformation im öffentlichen Sektor
Birgit Schenk, Leiterin des Kompetenzzentrums Digitale Transformation im öffentlichen Sektor Foto: privat

Die öffentliche Verwaltung verliere sich in einem „aktionistischen Flickenteppich“, schreibt Birgit Schenk, die seit Jahren zum Thema forscht. Für einen Wandel hin zu einer wirklich modernen Verwaltung müssten die Verwaltungsspitzen anders denken und handeln, ist sie überzeugt.

von Birgit Schenk

veröffentlicht am 20.06.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Alle sprechen von digitaler Verwaltung, aber wie steht es um die Verwaltungsmodernisierung? Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen kurzen Rückblick. Anfang 2000 rückte der Begriff E-Government mit seinen Definitionen von Heinrich Reinermann und Jörn von Lucke sowie der Gesellschaft für Informatik in den Blickpunkt, nachdem in der Privatwirtschaft längst digital gearbeitet wurde. Bis heute blieb E-Government auf allen föderalen Stufen nach wie vor in Einzellösungen stecken und ohne große Konsequenzen. Vielleicht klangen erklärende Worte wie die von Tino Schuppan und Christoph Reichert aus dem Jahre 2002 für die Verantwortlichen zu bedrohlich?

Es geht bei e-Government um wesentlich mehr als um nett gestaltete Web-Seiten: Um Neugestaltung von Verwaltungsstrukturen und -abläufen sowie von öffentlichen Dienstleistungen unter Nutzung von IuK-Konzepten auf der Basis von verwaltungswissenschaftlichen und informationstechnischen Kenntnissen.“

Denn diese Worte verdeutlichen uns, dass sich Regieren und Verwalten mit Blick auf Bürgerorientierung, Wirtschafts- und Wohlstandssicherung von Grund auf neu denken lassen und dies auch erfordern. Von der Aufgaben(ver)teilung über die Aufgabenwahrnehmung bis hin zur Produkt- und Dienstleistungserbringung lässt sich durch die neuen technologischen Möglichkeiten im föderalen System losgelöst von Raum und Zeit theoretisch alles neu gestalten.

Dies könnte zu einer radikalen Veränderung der öffentlichen Verwaltung führen, die den Ansprüchen an Effizienz und Effektivität, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung genügt. Die Bürger:innen könnten ins Zentrum der Dienstleistungserbringung gestellt und der bürokratische Aufwand für sie reduziert werden. Im Ansatz zeigt dies bereits Elster, das Online-Steuerverfahren.

E-Government ist bisher nicht modern

Im Begriff E-Government ist unter anderem die Digitalisierung enthalten. Digital bedeutet „auf Digitaltechnik oder Digitalverfahren beruhend“ und auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie abzielend. Bisher blieben die Verantwortlichen bei der Digitalisierung stehen, so wurde die Verwaltung nicht im Sinne von E-Government „modern“. Denn „modern“ erfordert eine Transformation im Sinne der Nutzung von Technologien für eine radikale Verbesserung wie auch Erneuerung der Leistungserstellung sowie -erbringung.

Doch die Transformation geht nur zögerlich voran, wie zum Beispiel der europäische Desi-Index belegt. In Ermangelung strategischer Steuerung verliert sich die öffentliche Verwaltung nach wie vor in einem aktionistischen Flickenteppich aus Maßnahmen, die vor allem auf die Erzielung einer entsprechenden Außenwirkung gerichtet sind.

Paradebeispiel ist hierfür die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Weite Teile des Verwaltungsinneren bleiben nach wie vor in alten Mustern und Vorgehensweisen stecken. In der Konsequenz haben wir Einzelbereiche in der öffentlichen Verwaltung, die sich modernisieren und andere, die sich der Modernisierung verweigern.

Wie Verwaltungsspitzen sich ändern müssen

Um dies zu vermeiden, muss sich das Denken und Handeln der Verwaltungsspitzen verändern. Die Verantwortlichen müssten innovationsoffen werden, Neues wagen und die Belegschaft in die Zukunft mitnehmen. Neben dem notwendigen Aufbrechen der Grenzen in den Köpfen ist strategisches Denken und Handeln elementar. Nur dadurch lässt sich der Transformationsprozess zielgerichtet und aktiv gestalten.

Bürger-, Ergebnis- und Wirkungsorientierung sollten als wesentliche Orientierungsanker und Korrektive genutzt werden. Als Ergebnis kann dann eine zeitgemäße – also moderne – Verwaltung entstehen. Denn der Begriff „modern“ beschreibt, dass etwas dem neuesten Stand der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen entsprechend gestaltet ist.

Der Weg der Neugestaltung muss an der Bestimmung des Status quo ansetzen, dem Ausgangspunkt, sowie an einer konsequent gedachten Vision, die den antizipierten Zielzustand beschreibt. Wenn Ausgangspunkt und Zielzustand klar und gemeinsam verstanden sind, können Strategieentwicklung und -umsetzung greifen. Ansonsten laufen unter Umständen Maßnahmen ins Leere, versanden halbfertig oder bedienen oberflächliche Bedarfe.

Es braucht ein ganzheitliches digitales Commitment

Eine tiefgreifende Veränderung in den zugrunde liegenden Geschäftsmodellen und nachhaltige Entwicklungen werden so nicht angestoßen. Elementar ist, dass die Verantwortlichen die Organisation ganzheitlich in den Blick nehmen und sich der Zukunft nicht verschließen. „Digital Leadership“ ist hier ein Schlüsselwort. Die Führungskräfte müssen selbst beginnen, digital zu denken und zu handeln. Leben sie selbst die digitale Transformation vor und fordern diese aktiv von allen im öffentlichen Dienst Beschäftigten ein, kann die Veränderung gelingen.

Ein gemeinsam getragenes digitales Commitment der Verwaltungsführung ist notwendig, um in allen Bereichen der Organisation zielgerichtet die Transformation anzustoßen und voranzutreiben. Dabei gilt: Neue und alte Geschäftsmodelle, Strukturen und Abläufe, die Organisationskultur und das Lernen der Organisationsmitglieder müssen aufeinander abgestimmt sein und ineinandergreifend gestaltet werden.

Fazit: Die reine Digitalisierung bringt uns nicht zur Modernisierung! Es genügt nicht, Verwaltungsbüros mit Hard- und Software auszustatten, neue Zugangskanäle oder die Digitalisierung bestehender, noch analoger Verwaltungsprozesse eins zu eins zu schaffen. Moderne Verwaltung bedeutet, dass Verwaltung entsprechend allen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technologisch bedingten Möglichkeiten neu gestaltet und gelebt wird. Dies erfordert als notwendige Voraussetzung ein digitales Mindset sowie ein (Neu-)Denken der Verwaltung über bisherige Grenzen hinaus.

Birgit Schenk ist Professorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg und Senior Research Associate an der Fakultät für Informatik an der Universität Zürich. Sie forscht und lehrt unter anderem zu E-Government, Organisationsentwicklung und öffentlicher Verwaltung. Beim Zukunftskongress Staat und Verwaltung nimmt sie heute an einer Panel-Diskussion zu Verwaltungsinnovation teil.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen