Erweiterte Suche

Smart City

Werkstattbericht Prozessmanagement braucht einen ganzheitlichen Ansatz

Philipp Stolz, Leiter Stabsstelle Digitalisierung, Stadt Schorndorf
Philipp Stolz, Leiter Stabsstelle Digitalisierung, Stadt Schorndorf Foto: Quelle: Privat.

Sollen gute Ideen für Prozessoptimierungen generationenübergreifend erhalten bleiben, müssen sie erfasst und dokumentiert werden. Genau daran hakt es aber in vielen Kommunalverwaltungen. Die Stadt Schorndorf erarbeitet derzeit eine Prozesslandkarte, mit deren Hilfe sie Kernprozesse dauerhaft und strukturiert optimieren will. In seinem Werkstattbericht schreibt Philipp Stolz über Erfolge und Rückschläge.

von Philipp Stolz

veröffentlicht am 10.04.2024

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Wir saßen zu dritt beisammen: Unser langjähriger IT-Leiter, der neue Leiter der Abteilung Digitalisierung und ich. Als künftiger Manager unseres Prozessmanagementprojekts berichtete ich dem seit wenigen Tagen beschäftigten Abteilungsleiter voller Begeisterung von unserer neuesten Prozessoptimierung: Jubiläumsbriefe versenden. Während zuvor noch Mitarbeiter:innen monatlich Listen nach runden Geburtstagen, Hochzeitsjubiläen und anderen besonderen Meilensteinen durchforstet, die Daten überprüft und daraus Jubiläumsbriefe zur Unterschrift an den Oberbürgermeister erstellt hatten, konnten dieselben Mitarbeiter:innen sich nun komplexeren Themen widmen. Denn die entsprechenden Daten „marschierten“ jetzt ohne sie, die Jubiläumsbriefe erstellten sich selbst vollautomatisch. Ein toller Erfolg, fand ich – bis ich in die wachen Augen unseres IT-Leiters blickte, der mir eröffnete: „Das haben wir genau so vor 15 Jahren schon mal gemacht!“. 

Prozessmanagement – von oben gewollt

Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren alle meine Zweifel verflogen, dass nachhaltige digitale Transformation einen deutlich ganzheitlicheren Ansatz benötigt, als er in so mancher Behörde vorhanden ist. Uns allen ist klar: Wenn wir schlechte Prozesse eins zu eins digital abbilden, haben wir lediglich schlechte digitale Prozesse und keinen Mehrwert erzielt. Was aber auch bedeutend ist: Wenn wir selbst effiziente Prozesse nicht fortwährend dokumentieren, überwachen und permanent evaluieren, laufen wir Gefahr, gute Optimierungen später nicht zu wiederholen. Spätestens dann nämlich, wenn diejenigen Mitarbeiter:innen, für die wir in mühevoller Arbeit Prozessschritte kritisiert, Aktivitäten automatisiert und Lösungen erstellt haben, in Rente gehen oder die Stelle wechseln, wie es in diesem Beispiel geschehen war: Ein verbesserter Prozess stand bereit, aber niemand wusste, dass er existiert.

Damit war das Projekt „Prozesslandkarte“ geboren. Ziel ist es, sämtliche Kernprozesse der Verwaltung zu erfassen, diese zu dokumentieren, zu verknüpfen, einer Prüfung und anschließender strukturierter Optimierung zuzuführen und das Prozessmanagement der Organisation dauerhaft zu etablieren. Wenn dies geschieht, können wir die Effizienz unserer Arbeitsabläufe deutlich vereinfachen, bürokratische Hürden erkennen und beseitigen und Mitarbeiter:innen, die seit Jahren eine qualitative und quantitative Steigerung der Arbeitsbelastung erfahren, großflächig entlasten. Im selben Zug bauen wir dadurch auch eine Wissensdatenbank für die Tätigkeiten der Verwaltung auf, sodass (neue) Mitarbeiter:innen auch ohne fachliche Ausbildung schnell angelernt werden können – denn auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sind in der Verwaltung willkommen.

Prozessmanagement – von unten gedacht

Was dafür jedoch unersetzlich ist, ist die Expertise der jeweiligen Fachbereiche. Nur diese Akteure kennen die Abläufe ihrer Tätigkeit genau. Sie kennen ihr Umfeld, gesetzliche Anforderungen, operative Herausforderungen, sind Anwender:innen der Fachverfahren und haben meist schon häufig darüber nachgedacht, welche Arbeitsschritte sie besonders belasten. Sie müssen die tatsächlichen Prozesse dokumentieren und bei der Priorisierung von Optimierungen gehört werden. Sollte etwa ein Digitalisierungsspezialist jemandem aus dem Bauplanungsrecht erklären, wie seine tägliche Arbeit aussieht oder einer Sozialpädagogin darstellen, wie entlastet sie sein wird, wenn nur das Dienst-Pedelec leichter zu reservieren wäre? Daher wurden Beschäftigte jedes Fachbereichs in den Grundlagen des Prozessmanagements ausgebildet und damit beauftragt, die für ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich relevanten Arbeitsprozesse zu erfassen und gleichzeitig die Priorisierung hinsichtlich der Prozessoptimierung selbstbestimmt vorzugeben.

Prozessmanagement – von anderen unterstützt

Eine Kernherausforderung des Projekts ist es dann aber auch, die Motivation und den Einsatz der sogenannten „Power-User“ hochzuhalten. Prozessmanagement findet sich selten in einer Stellenbeschreibung wieder und das Engagement in der Projektgruppe „Prozesslandkarte“ kommt zusätzlich zum oft überbordenden Tagesgeschäft hinzu. Zudem hat die eigentliche Aufgabe Vorrang, auch um den Geschäftsablauf nicht zu gefährden. Daher ist es unverzichtbar, die Mehrwerte, die durch das Projekt erzielt werden, immer wieder greifbar darzustellen. Wenn eine Mitarbeiterin beispielsweise die Geschäftsprozesse „Aufenthaltsgestattung erteilen“ oder „Grundsteuer erheben“ aufnehmen und via BPMN („Business Process Model and Notation“, Modell und Notation für Geschäftsprozesse) dokumentieren soll, muss das Versprechen der Optimierung dieser Prozesse glaubwürdig und terminiert sein. Daher ist die Erstellung eines Optimierungsfahrplans für diese Prozesslandkarte nicht nur zur Kapazitätsplanung, sondern auch zur Motivation der Mitarbeiter:innen für das Projekt unbedingt zu empfehlen.

Zum Glück fängt man selten bei null an, denn die Aufgaben einer Behörde (hier: einer Kommune) finden sich größtenteils auch bei anderen Behörden abgebildet. Darüber hinaus bestehen Netzwerke und Angebote, die bereits einige Materialien zum Prozessmanagement von Behörden beitragen, wie beispielsweise die Prozessdatenbank der KGSt oder Datenbanken verschiedener Herstellerfirmen von Prozessmanagementssoftware, die die modellierten Prozesse ihrer Kunden transparent darstellen. Die sprichwörtliche Herkulesaufgabe, sämtliche Geschäftsprozesse zu erfassen, kann so heruntergebrochen und wesentlich unterstützt werden, denn die inhaltlichen Aufgaben der Behördenebenen ähneln sich stark.

Prozessmanagement – vom System gehemmt

Staatliches Prozessmanagement könnte nun so simpel, so effizient gestaltet und gesteuert werden, wenn uns nicht ein anachronistisches Hindernis hemmen würde, das auch den großen aktuellen Digitalisierungsprojekten im Weg steht, sei es nun im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) oder des Registermodernisierungsgesetzes: die überbordende Heterogenität der öffentlichen IT-Strukturen. Behörden können dieselben Aufgaben wahrnehmen, eine ähnliche Organisation oder Rechtsgrundlage aufweisen und im Falle von Kommunen direkt aneinander angrenzen: die angewandten Fachverfahren, die IT-Infrastruktur und letztlich die operative Ausgestaltung ein und desselben Prozesses unterscheiden sich meist massiv. Daraus folgt, dass jede Behörde ein und dieselben Prozesse aktuell selbstständig optimiert.

Man stelle sich vor, wie aktuell 11.000 Kommunen Zeit und Ressourcen in die Verbesserung ein und desselben Prozesses investieren, statt diesen zu standardisieren und ganzheitlich zu optimieren – und dies lässt außer Acht, dass die überwältigende Mehrheit von (gerade kommunalen) Behörden keinerlei Ressourcen für ein breit angelegtes Prozessmanagement ihrer Organisation hat. 80 Prozent aller Kommunen haben weniger als 10.000 Einwohner:innen. Hier kann niemand intern das Knowhow aufbieten, um Prozesse zu automatisieren. Diese Leistung wird Prozess für Prozess teuer eingekauft oder – noch schlimmer – der Status Quo wird erhalten.

Die Konsolidierung der staatlichen IT muss daher dringend noch intensiver betrieben werden. Die entsprechenden Bewegungen gewinnen zuletzt an Fahrt, jedoch scheint noch bei vielen digitalpolitischen Entscheidungsträger:innen der Glaube vorzuherrschen, dass eine gute IT-Lösung per Strg+C und Strg+V problemlos in jedes System übertragen werden kann. Hier gilt es Argumente zu schärfen, damit staatliches Handeln die Effizienzsteigerung erfährt, die sie verdient und wir Prozesse nicht häufiger anfassen als nötig. Und falls jemand Anregungen braucht, wie man beispielsweise Jubiläumsschreiben seiner Mitbürger effizient abwickeln kann: Wir haben ja jahrzehntelange Erfahrung!

Philipp Stolz ist Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in Schorndorf (Baden-Württemberg).

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen