„Digitale Souveränität festigen“, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vergangenen Donnerstag als eines der fünf Themenfelder ihres Digitalprogramms vorgestellt. Der Ansatz ist richtig: Eine souveräne Digitalisierung, die Abhängigkeiten reduziert, Resilienz schafft und unseren Werten und Gesetzen folgt, muss zentrales Ziel ein. Heute sind jedoch wichtige Teile der Verwaltungs-IT kritisch abhängig von wenigen Unternehmen, die mit Plattformstrategien über den gesamten Stack Marktanteile steigern wollen und damit Lock-Ins verstärken würden. Digitale Souveränität und Schritte zur Stärkung ebendieser gehören auf die Top-Agenda. Die gerade begonnene Legislaturperiode ist der vielleicht letzte Zeitpunkt, um souveräne Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben.
Öffentliche Verwaltung und Privatwirtschaft investieren wie noch nie in digitale Transformation. Die Pandemie hat die Geschwindigkeit massiv erhöht, wie man exemplarisch in den Feldern Bildung mit der Aufstockung des Digitalpakts Schule und Gesundheit beim Krankenhauszukunftsgesetz sieht. In den nächsten Jahren stehen grundlegende strategische Entscheidungen bei der Wahl von Software und Infrastrukturen, insbesondere im Bereich der Cloud, an. Falsche Technologieentscheidungen bedeuten einen bewussten kritischen Lock-In – im Fall der Verwaltung häufig für Jahrzehnte.
Der globale Konflikt um Technologieführerschaft zwischen Unternehmen aus USA und China macht europäische Angebote unerlässlich. Der regionale Markt entwickelt sich dynamisch. Unternehmen wie Ionos oder OVH für Infrastrukturen sowie Open-Source-KMU wie Nextcloud, Open-Xchange oder Univention zeigen die Wettbewerbsfähigkeit. Diese Ausgangssituation bietet Chancen für Wertschöpfung, Arbeitsplätze und gesunden Wettbewerb. Die richtigen Investitionsentscheidungen heute schaffen einen nachhaltigen Spielraum für die digitale Zukunft Europas.
Politische Unsicherheiten und Krisensituationen zeigen, wie wichtig verlässliche Alternativen sind. Resilienz und technologische Anpassungsfähigkeit sind unabdingbare Eigenschaften in unserer sich wandelnden Welt. Digitale Antworten auf große Herausforderungen müssen noch schneller und flexibler sein, als es beispielsweise bei der Corona-Warn-App der Fall war und sind für den Staat Evidenz demokratischer Durchsetzungskraft, die es zu stärken gilt. Es werden Ressourcen und Kompetenzen benötigt, die kurzfristig einsetzbar und verfügbar sind.
Entscheidungsträger:innen, ob in einer Regierung, in unternehmerischer oder gesellschaftlicher Verantwortung, müssen bestimmen, was ihr jeweiliger Zielkorridor für souveräne Digitalisierung ist. Drei Hypothesen sollen bei der Kursplanung helfen.
Erstens: Digitale Souveränität ist nicht nur bloße Technologieentscheidung
Reicht es aus, wenn in „souveränen Clouds“ der Abfluss von Daten – in einem konstanten Spannungsprozess der Ausgestaltung rechtlicher und vertraglicher Verhältnisse – verhindert wird? Und wohin führt dies langfristig: Droht etwa der Kompetenzverlust für Bewertung und Einsatz von Technologien?
Ich plädiere dafür, dass Souveränität auch als Bestandteil für Sicherstellung und Ausbau digitaler Kompetenzen in Europa begriffen wird. Neben offenen Schnittstellen und Standards sind hierfür eigene Wertschöpfung und technologische Souveränität in definierten Feldern und Szenarien notwendig.
Zweitens: Regierungen müssen ihre Kaufkraft bewusster nutzen
Digitale Souveränität ist – wie die Energiewende – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Mut und Investitionen verlangt. Initiativen wie das Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS), der souveräne Arbeitsplatz oder der Sovereign Tech Fund müssen schnell, finanziell solide an den Start gehen. Sie fördern die zeitnahe Realisierung großer Ambitionen souveräner Digitalisierung. Dabei sollte gemäß dem Grundsatz „Public Money, Public Code“ Open Source als Default durchgesetzt werden.
Ich wünsche mir Mut, staatliche Möglichkeiten strategisch und aktiv einzusetzen, um eine „europäische Digitalisierung“ zu begründen. Ein gelungenes Vorbild ist die mRNA-Entwicklung, die auch durch staatliches Wagniskapital ihren Durchbruch erreicht hat. Es braucht solche „Moonshots“, visionäre und konsequente Missionen im Sinne der Ökonomin Mariana Mazzucato, endlich auch für die Digitalisierung von Verwaltung und Gesellschaft in Europa.
Drittens: Das Ökosystem muss sich für souveräne Digitalisierung neu aufstellen
Die unterschiedlichen Akteure aus Europa, Bund, Ländern, Kommunen, etablierten Tech-Unternehmen und Start-ups – auch außereuropäischer Player – sowie der Zivilgesellschaft müssen Erwartungen austauschen, individuelle Rollen und Beiträge abgleichen. Nur wer Bereitschaft zu gezielter Neuaufstellung mitbringt, kann Teil des Ökosystems für souveräne Digitalisierung sein.
Ich arbeite daran, dass öffentliche IT-Dienstleister ihre Kenntnisse zu Anforderungen von Bund bis Kommune einbringen und mit ihrer Umsetzungskompetenz eine gestaltende Rolle im Ökosystem spielen. Auch für uns ist kontinuierliche Weiterentwicklung Grundlage für nutzerfreundliche und wirtschaftliche Angebote.
Die Dringlichkeit und Größe der Aufgabe machen souveräne Digitalisierung zu Teamwork. Alle sind gefragt, ihre Kompetenzen und Fähigkeiten einzubringen, um nachhaltig Gestaltungsspielraum und Resilienz zu etablieren. Aber vor allem müssen wir jetzt eines: konsequent handeln.
Frederik Blachetta ist seit März Chief Strategy Officer des öffentlichen IT-Dienstleisters Dataport. Zuvor war er zwölf Jahre Berater von Verwaltungen und Technologie-Unternehmen bei PwC. Im vergangenen Jahr wurde er vom Magazin Capital als Top 40 unter 40 ausgezeichnet. Dataport arbeitet an souveränen Lösungen für Verwaltungen, beispielsweise im Projekt Phoenix, einen Verwaltungsarbeitsplatz auf Open-Source-Basis.